Beiläufige Betrachtungen über den Individualverkehr anlässlich des beinahe vergeblichen Versuchs, den Fluss E. in der Stadt H. zu unterqueren

Um die Wege, die ich zu erledigen habe, zu erledigen, reichen mir für gewöhnlich das Fahrrad und öffentliche Verkehrmittel. Nun aber unternahm ich mit einem Freund, der fuhr, eine Autoreise und dabei mussten wir die norddeutsche Stadt H., durch die der untertunnelte Fluss E. fließt, durchqueren.

"Das kann dauern", sagte der Fahrer, der die Verkehrsmeldungen, die einen langen und zähen Stau ankündigten, verfolgte. Ob man auf einem anderen Weg vielleicht schneller durch die Stadt käme? Aber wer weiß, wie voll es auf diesen Wegen wäre? Und außerdem störte man die Städtebewohner vielleicht beim Feierabendbier.

Also blieben wir in der Schlange, und die kam kaum voran, weswegen sich recht rasch nicht nur im eigenen Wagen eine gewisse Stumpfheit breit machte. Wer nicht apathisch vor sich hin oder ins Handy blickte, konzentrierte sich darauf, Lücken, die sich ergaben, schnell zu füllen, Spuren zu wechseln, auf Zack zu sein, um ein paar Meter gut zu machen. Das erinnerte mich an das Wettrennen, das in deutschen Supermarktschlangen beginnt, wenn eine neue Kasse aufmacht: Stets ein bizarres Schauspiel, das viel über die zivilisatorischen Qualitäten der Einheimischen verrät.

Ein Mädchen von drei oder vier Jahren, das vom Kindersitz eines Transporters aus den anderen Fahrenden zuwinkte, wurde kaum beachtet.

Kleines Rechenexempel: Wenn so ein Auto im Durchschnitt 4 Meter lang ist (wahrscheinlich liegt der Wert weit darüber), dann sind pro Fahrspur 250 Autos pro Kilometer Schlange unterwegs, bei einem zweispurigen Stau von 10 Kilometer Länge sind das 5000 Autos mit vielleicht 10000 Passagieren. Könnte man die nicht mit E-Bikes schneller -? Und die Autos mit einem Eisenbahn-Shuttle- ? Nein?

Der Mythos von der Mobilität: Irgendwo gibt es bestimmt einen Indianerstamm, der für das Auto den Namen "Das Ding aus Blech, das herumsteht" gefunden hat.

Die Verkehrshinweiser im Radio duzen die Fahrer und "hoffen, dass ihr da schnell durchkommt". Als wäre der Stau etwas, das einem unglücklicherweise widerfährt und nicht etwas, zu dem man beiträgt - als warte man auf eine Lösung und wäre nicht Teil des Problems.

Vielleicht wäre es besser, die Stauer zu beschimpfen: "So und jetzt kommt wieder so eine Blechlawine, die ihr zu verantworten habt, ihr Deppen! Ist euch nichts anderes eingefallen als dieser Stau, nein? Habt ihr keine Fantasie? Geschieht euch recht! Vergammelt doch in euren Maschinen!" Wer traut sich das?

In Nordrhein-Westfalen schaffen die Autofahrer an manchen Tagen über 350 km Stau. Das ist weiter als die Wegstrecke einmal quer durchs Land, weiter als von Aachen bis nach Minden.

Der Mythos vom Individualverkehr: Wirklich individuelle Handlungen (zum Beispiel: Aussteigen und den Wagen stehen lassen, weil man genug hat) sollte man vermeiden, möchte man nicht gelyncht werden. Du bist Teil der Masse und hast ihr zu gehorchen. Im Zug könnte man wenigstens lesen. In der Werbung fahren Autos meist auf leeren Straßen durch autofreie Felsenlandschaften, die so wirken, als seien sie eigens für diese Werbung gebaut worden. Die Werber halten die Käufer wohl nicht für die hellsten. Stimmt wohl auch.

Der Stau entsteht auch dadurch, dass die Autobahn auf 8 Spuren erweitert wird, da die 6 Spuren, die gebaut wurden, als 4 Spuren nicht mehr ausreichten, nicht mehr ausreichen. Und niemand hat eine Idee, was passiert, wenn die 8 Spuren nicht mehr ausreichen.

Wenn ich Rudi in der Stadt K. besuche, müssen wir, um an den Fluss R. zu gelangen, mindestens zwei vierspurige Schnellstraßen überqueren. Die urbane Lebenswelt ist zugerichtet auf die Bedürfnisse der Automobilisten, dem Flaneur wird alles zu schwör.

Am Straßenrand, zwischen Lärmschutzwand und Fahrbahn, hüpfen zwei Krähen herum und strafen das Treiben der Stauer mit Verachtung. Was mögen sie von den merkwürdigen Zweibeinern halten, die so wenig anzufangen wissen mit der Welt, die sie sich erobert haben?

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invalidenturm

invalidenturm bewertete diesen Eintrag 28.10.2021 08:33:56

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