Coole Kids haben keine Heimat (coole Erwachsene auch nicht)

How it starts: Frau A entwickelt eine temporäre Leidenschaft für ihren Mann (nennen wir ihn B) und es kommt zum Geschlechtsverkehr (vielleicht aber auch deswegen, weil B auf A oder beide aufeinander spitz sind). Da dieser ungeschützt ist, kommt es zur Befruchtung von Eizelle A durch Spermium B.

9 Monate später ist es dann soweit und der neue Mensch auf Erden hat nicht nur Eltern bekommen, sondern auch das, was man „Heimat“ nennt (wir bleiben vorerst bei dem neutraleren Begriff „C“), also den Ort, wo ihn A zur Welt bringt. In C, wohin der Zufall des Geborenwerdens gebracht hat, wächst der Mensch auf, geht zur Schule und in Vereine, lernt Freunde kennen und Sexualpartner und wenn alles nach dem Lebensplan läuft, dem die meisten Bewohner von C folgen, entwickelt er Gefühle für den Landstrich, die mit der „Heimat“ nur positive Assoziationen verknüpfen.

Anders sieht es aus, wenn dieser Mensch Eltern hat, die vielleicht nicht in C selbst geboren sind, sondern in D oder E, also Zugezogene sind, vielleicht sogar aus dem Ausland. Da kann es passieren, dass ihm von denjenigen, welche die Deutungshoheit über das, was als „Heimat“ gelten darf, beanspruchen, bescheinigt wird, dass sein Geburtsort nicht seine Heimat sei. Denn Heimat ist ja nicht einfach das Kaff, nicht die Käffer oder die Gegend, in der man aufwächst, sondern ein diffuses Gebilde, ein Racket aus Menschen, Gruppen und Landschaften, das vor allem eines eint: die Abwehr von allem, was von außen kommt. „Heimat“ definiert sich nicht als positive Gemeinschaft, sondern in der Abwehr nach außen, im Widerstand – bis hin zur offenen Gewalt – gegen alles, was als möglicher Eindringling angesehen wird. Folgerichtig benannte sich die Neonazipartei NPD in „die Heimat“ um, der Brandenburger AfD-Spitzenkandidat Berndt stand einem Verein namens „Zukunft Heimat“ vor, der in aggressiver Weise gegen Geflüchtete hetzte und die Mörderbande NSU ging aus dem „Thüringer Heimatschutz“ hervor.

Betrachtet man andere Aspekte des „Heimat“-Begriffs, so fällt auf, dass in seiner Beschränkung auf die Regionalität jeglicher Anspruch auf breitere Wirkung von vornherein aufgekündigt wird: ein Heimatfilm will erst gar nicht in den Kinos des Auslands auftauchen, ein Heimattschriftsteller kann froh sein, wenn seine Heimatromane wenigstens in einem kleineren, begrenzten Umfeld gelesen werden, und der grenzdebile Radiokanal WDR 4 wirbt für sich mit dem Slogan „Wir sind Heimat“. Die CDU in Thüringen postete im antifaschistischen Kampf gegen die AfD: „Thüringen – Heimat für Fleißige“ (vgl. Stefan Gärtners Artikel in titanic 10/24), für alle anderen soll sie wohl die Hölle werden. Zur Aggressivität des Heimatbegriffs gesellt sich als verstörender Aspekt das Minderwertige, der Eindruck tiefen Trashes.

Wenn also Kids, die etwas auf sich halten, mit der Frage konfrontiert werden, ob sie nicht ihre Heimat lieben und vielleicht sogar in irgendeinen Heimatverein eintreten wollen, werden sie dankend abwinken. Die Welt ist viel zu weit und groß, um im Sumpf der Heimat zu versinken.

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GansNetter

GansNetter bewertete diesen Eintrag 19.10.2024 13:23:39

Aron Sperber

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