Der Martin erzählt. Ein Gedächtnisprotokoll

Es gehe ihm, berichtete Martin, so weit ganz gut, obwohl er natürlich traurig sei, dass er doch nicht nach Dresden habe reisen dürfen, um, eingeladen von Ellen und Susanne, über Raumgewinn, die Änderung des Bezugsrahmens und die Zusammenfassung der Ressourcen zu reden. Leider sei daraus nichts geworden, es sei eben dieser schwarze Schwan, dieses Corona dazwischen gekommen, dessen metabolische, ja metapolitische Konsequenzen nicht zu unterschätzen seien. Er sehe da allerdings auch Chancen, hoffe persönlich auf eine Verschiebung des Oberton- oder vielmehr Overton-Fensters in Richtung der patriotischen Richtung, seiner Richtung einer identitären Bewegung hin zu einem Europa der Vaterländer. Man nehme nur einmal, und da stimme er mit dem Götz, dem Martin und vielen anderen überein, die Quarantäne und ihre Vorschriften, die ebenso wie die unweigerlich folgende Wirtschaftskrise ein ziemlicher Stresstest für den Multikulturalismus werden dürften, er sei da ziemlich zuversichtlich. Solche Gesellschaften, daran glaube er fest, seien immer anfällig für Krisen, es fehle das soziale Kapital, das wechselseitige Vertrauen, die Solidarität, wie sie nur in ethnisch homogenen Gesellschaften funktioniere. Der Bevölkerungsaustausch, der, wie er ihn immer nenne, große Austausch, sei bereits so weit vorangeschritten, dass es nun in den Parallelgesellschaften und ihren Tangenten mächtig knirsche. Es sei doch so: nur die nationale Gemeinschaft, das jahrhundertelang zusammen gewachsene, zusammengeschweißte Kollektiv, die Leitkultur im mehr als merzschen Sinne bleibe gesetzestreu, friedlich, klaue nicht, mache keine Parties, während die, wie er sie hier nennen wolle, Anderen aus diesen tribalistisch-ethnoreligiösen Kulturen keine andere Sprache verstünden als die der Gewalt, wenn denen einer krumm komme in den Revieren ihrer Clans, dann rasteten die doch aus, diese Millionen jungen, geistig fremden Männer, das sei vielleicht ein Konfliktpotential, nicht zu glauben, meine Herren - also noch einmal, langsam, zum Mitschreiben: auf der einen Seite gebe es die Leitkultur, also Leute wie ihn, und auf der anderen Seite die mit ihm unvereinbaren importierten Kulturen, mit denen es keinen Austausch geben könne außer dem Austausch, also dem Austausch des Austauschs, der Remigration, wie er das nenne, um den irgendwie doof vorbelasteten Begriff Deportation zu vermeiden, keine Verständigung, kein Wort, nirgends, wofür er das beste Beispiel sei, er habe schließlich noch nie mit einem von denen geredet, abgesehen vielleicht von der Defend-Europe-Aktion, als er von seinem Schiff aus die Flüchtlinge in den Booten mit dem Megaphon angeschrien habe, er wisse es noch genau, „go back to Africa!“ habe er den staunenden Afrikanern zugerufen, „go back, don‘t make Europe your home“, und da seien die natürlich ganz schnell weitergefahren, als ihnen klar wurde, was er für ein Kerl sei, dass sie von ihm absolut nichts zu erwarten hätten, ja, das sei eine schöne Zeit gewesen, damals auf dem Schiff... Da sei für ihn schon so eine Art Traum wahr geworden, schließlich habe er in seiner Kindheit den Käpt‘n Iglo auf den Fischstäbchenpackungen immer bewundert und seiner Mutter erzählt, so einer wolle er auch werden, und immer habe die geantwortet, nein, das gehe doch nicht, und wie sehr sei er enttäuscht gewesen, als er erfahren musste, dass sie Recht gehabt habe, dass es in Österreich gar keine Marine gebe und auch der Käpt‘n Iglo eine Erfindung sei, damit habe er lange zu kämpfen gehabt, aber später doch noch einen Weg gefunden, damit klarzukommen, siehe oben. Jetzt habe er aber einen solchen Hunger bekommen, dass er wirklich was essen müsse, am liebsten natürlich Fischstäbchen, was sonst?

(Der 1. Teil bezieht sich in freier Gestaltung auf einen Text, den Martin Sellner am 14.4.20 auf sezession.de veröffentlichte. Das Ende nicht.)

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