Selbstverständlich sind die Grünen für ihren Opportunismus zu tadeln, der sie von der Friedens- zur Aufrüstungspartei und von einer Beinahe-Volks- in die Nähe einer Splitterpartei gebracht hat. Das jüngste Beispiel lieferte der Landwirtschaftsminister Özdemir, als er den rassistischen Diskurs vom lüsternen Orientalen befeuerte – als wäre das Patriarchat längst abgeschafft, nur die Migranten hätten es noch nicht mitbekommen – und es zugleich zuließ, dass der Diskurs über no-go-Areas für people of colour im Osten unterdrückt wurde. Für jeden Linken, der etwas auf sich hält, sind die Grünen, die sich ihrer zurechnungsfähigen Kader (Ebermann, Trampert, Ditfurth) seit langem entledigt haben, keine Option und doch muss man sie gegen ungerechtfertigte Anfeindungen in Schutz nehmen. So musste ich in diesen Tagen eine Reise durch die westfälische und niedersächsische Provinz antreten und wählte dafür das bequemste Verkehrsmittel, die Eisenbahn. Leider wurde ein Teil der Strecke, auf der ich reisen wollte, gesperrt, welche Nachricht nicht die Bahn, sondern ein etwas schüchterner Polizist verbreitete, woraufhin die auf dem Bahnsteig Wartenden in die nur vage bezeichnete Richtung des Schienenersatzverkehrs aufbrachen. Es folgten die üblichen Unmutsbekundungen („Deutsche Bahn!“ ) und ein mittelalter Mann, dessen absurd beschrifteter roter Anorak sich über einen wohlgemästeten Bauch wölbte, deklamierte mehrfach „Und dann gibt es noch Leute, die immer noch die Grünen wählen!“, bis er dann, beim Warten an der (falschen) Bushaltestelle, dazu überging, genüsslich auszuführen, was er mit den Leuten machen wolle, die „jetzt immer noch die Grünen wählen“.
Man kann in der Tat die Grünen für vieles verantwortlich machen, für den Zustand des deutschen Bahnwesens, der das Ergebnis einer buchstäblich kriminellen Vernachlässigung ist, können sie allein schon deswegen nicht verantwortlich gemacht werden, weil es noch nie einen grünen Bundesverkehrminister gab. Die letzten Exemplare dieser Gattung (Scheuer von der CSU, Wissing von der FDP) widmeten sich mit Hingabe dem Autobahnausbau, der Verhinderung eines Tempolimits und versuchten Kinder und Jugendliche davon zu überzeugen, dass einzig ein Fahrradhelm sie vor den Gefahren des Straßenverkehrs bewahren könne. Dass der aktuelle Inhaber des Amtes den Preis des 9-€-Tickets auf bald 58 € hochjazzte, wird ebenfalls nicht dazu beitragen, die wahnhafte deutsche Fixiertheit auf Raserei und fossil befeuerte Mobilität zu kurieren. Und so suchte sich die Wut des Wutbürgers am Bahnhof das falsche Objekt: die Grünen haben bislang nie die Chance gehabt, am Desaster des Schienenverkehrs (dem der Autoverkehr mit seinen Staus in nichts nachsteht) irgendetwas zu ändern.