Drei wichtige Bürgermeister melden sich zu Wort oder: Doppelter Spurwechsel zum Arbeitsdienst

Es herrscht wohl Bürgerkrieg in Deutschland: Bei sommerlichen Krawallen sind in Stuttgart Schaufensterscheiben zu Bruch gegangen, in Frankfurt ein Buswartehäuschen. In Stuttgart wurden die Verdächtigen in Fußfesseln vorgeführt, in Frankfurt, was der größten Zeitung des Landes eine Titelschlagzeile wert war, wieder freigelassen.

Das alles bewegte die Bürgermeister der Weltstädte Schorndorf, Schwäbisch Gmünd und Tübingen dazu, einen „offenen Brief“ an den Ministerpräsidenten und den Innenminister Baden-Württembergs zu schreiben, in welchem sie die „zunehmende Aggressivität und Respektlosigkeit von Gruppen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen in unseren Städten“ beklagen, die zwar nicht Stuttgart oder Frankfurt heißen, sondern Schorndorf, Schwäbisch Gmünd und Tübingen, aber es muss sich wohl um echt ernste Probleme handeln. In dem Brief der drei schwäbischen Wichtigtuer, pardon: „Experten der Stadtgesellschaften“ wird Ursachenforschung betrieben bzw. das, was die drei darunter verstehen: Ja, es gebe Frust über die Coronabeschränkungen ebenso wie Debatten über den Rassismus bei der Polizei, aber: „Ein Aspekt findet jedoch in der Debatte bisher kaum Beachtung: Die Rolle von Geflüchteten bei der Entstehung einer gewaltbereiten Szene in der Stuttgarter Innenstadt.“ Diese Rolle, so analysiert von Schorndorf, Schwäbisch Gmünd und Tübingen aus, ergäbe sich daraus, „dass neun von 24 in der Nacht fest genommenen jungen Männer einen „Flüchtlingsbezug“ haben“, was immer das auch heißen mag. Und schon gerät man in ein Spekulieren, das nicht frei ist von Ressentiments gegen Geflüchtete, welche man von einem der Bürgermeister, Boris Palmer, bereits kennt: „Auf Videos und Fotos aus der Krawallnacht kann man erkennen, dass auch viele weitere Beteiligte an den Krawallen zu dieser Gruppe gehören könnten.“ „Könnten“ - nichts Genaues weiß man nicht, aber die drei schwäbischen Profiler erkennen einen Geflüchteten eben auch auf dem Videoschirm. Wahrscheinlich schwenkt der gerade seinen Duldungsbescheid. Und ebenso dünn ist der weitere Beleg: „In dieselbe Richtung deuten Aussagen der Polizei, wonach in den letzten Wochen bei Kontrollen in der Stuttgarter Innenstadt 70% der Probleme auf dort versammelte junge Männer mit Flüchtlingsbezug entfallen seien.“ Probleme bei Kontrollen, nicht bei Krawallen, aber aliquid semper haeret, und überhaupt: „Es ist keine Stammbaumforschung, sondern notwendige Präventionsarbeit, das präzise zu analysieren.“ Man könnte über die „Präzision“ dieser Sätze lachend hinweg gehen, wäre mit derselben Argumentation nicht auch racial profiling „notwendige Präventionsarbeit“. Die Bürgermeister aber haben ihr Thema gefunden und beklagen ein „Milieu nicht integrierter, häufig mit Kleinkriminalität und Straftaten in Verbindung zu bringender junger geflüchteter Männer“ in ihren Städten. Anstatt aber darüber aufzuklären, worin denn der Unterschied zwischen „Kleinkriminalität“ auf der einen und „Straftaten“ auf der anderen Seite bestehen könnte und warum sie nicht einfach die schorndorfer, gmünder oder tübinger Polizei verständigen, fordern die drei Bürgermeister einen „doppelten Spurwechsel“ auf eine autoritäre Überholspur, berichten von „Leistungsanreizen“, die sich durch die Arbeit als „Kofferträger“ oder „Helfer bei der Landesgartenschau“ ergeben könnten, und fordern zugleich, auffällig gewordene Geflüchtete „aus dem attraktiven Sozialraum der Städte“ (Schorndorf, Schwäbisch Gmünd und Tübingen) zu verbannen. Sie sollen wieder zurück „in die Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes“, um einmal mehr zu erfahren, dass für sie offenbar andere rechtliche Bestimmungen gelten als für die anderen Bewohner der Landes.

Was dann folgt, ist nichts weiter als die Rechtfertigung von Rassismus: Der, so behaupten die drei, werde nämlich geringer, „wenn wir die Kriminalitätsrate unter jungen geflüchteten Männern, insbesondere im Hinblick auf Straftaten im öffentlichen Raum, senken. Denn dies ist einer der Quellen für Ängste und Wut, aus denen Rassismus Energie bezieht.“ Ihre Ressentiments, bekommen die deutschen Rassisten, die auf Geflüchtete schießen und Aufnahmelager anzünden, gesagt, seien nicht grundlos. Und wenn sich die Objekte ihres Hasses nur etwas besser benähmen, wäre auch ihr Hass verschwunden.

Geht es noch schamloser? Doch, das geht, denn am Ende fordern die drei Palmers ein verpflichtendes Dienstjahr als „sozialer Trainingsraum“ (womit skurrilerweise auch die Bundeswehr gemeint ist). Es ist die triste Idee einer Gesellschaft, die jungen Menschen nichts anderes anzubieten hat als Unterdrückung und Ausbeutung.

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