Entsetzliche Erben oder Die Blödheit des Bürgertums, Teil 2

Man schreibt mir: Hallo Thomas Schweighäuser, während immer mehr Milliardäre Unsummen dafür ausgeben, den Rand des Weltalls für ein paar Minuten zu besuchen, bleiben uns die wunderschönen und unendlichen Weiten des Bücherregals. Damit können wir reisen wohin wir wollen – ganz ohne ein Vermögen ausgeben zu müssen! Bei einer literarischen Reise ins All sparen Sie bei uns bis zu 70 %!

Die einen verschwenden also Ressourcen für ihre Quickie-Hüpfer in den allnahen Raum, den anderen bleibt nur die Lektüre. Interessant ist dabei das Bild von den kulturbeflissenen Prolls, die bei medimops gebrauchte Bücher kaufen müssen, auf der einen und den verblödeten Superreichen auf der anderen Seite, die aus lauter Langeweile das ausprobieren, was sie noch nie ausprobiert haben. Aber stimmt dieses Bild?

Ja. Die derzeitige Bourgeoisie kann man sich kaum geistverlassen und öde genug vorstellen. Exemplarisch deutlich wird das beim Umgang mit dem kulturellen Erbe. Bei einem Besuch in einem Antiquariat erzählte mir neulich die Besitzerin, dass die Erben eines reichen Unternehmers dessen wertvolle und unersetzliche Autographensammlung weggeschmissen hätten, da sie die Blätter für belanglose private Aufzeichnungen gehalten hätten. Ein anderer Antiquar erzählte, dass eine kostbare Sammlung von Erstausgaben auf einer Müllkippe gelandet sei. In beiden Fällen muss die Entsorgung dem Zweck gedient haben, eine Immobilie möglichst schnell leerzuräumen, deren materieller Wert allerdings kaum an den der entsorgten Autographen oder Erstausgaben heranreicht, vom ideellen ganz zu schweigen. Und das sind nur zwei Einzelfälle, was sonst noch von BWL-Barbaren weggeschmissen wird, mag man sich gar nicht vorstellen. Wenn sich aber eine ganze Klasse als unfähig erweist, die kulturellen Werte weiterzugeben, also mit all ihrem Geld nichts anderes anzufangen weiß als den fünften SUV neben dem siebten Oldtimer (Wertanlage, Bro!) in der Tiefgarage zu parken, sollte man sie vom Zwang, den ihnen ihr Vermögen offenkundig auferlegt, befreien. Wie wäre es, um einmal klein anzufangen, mit der Zahlung einer Vermögenssteuer? Oder überhaupt dem Zahlen von Steuern?

Aber lieber lassen sich rich people vor der nächsten Spitztour mit dem Porsche Carrera (einfach die beste Wertanlage, Digga) von der Betriebsnudel Heidenreich einreden, wie kulturlos doch die Jugend sei: Sie hat überhaupt keine Sprache. Sie kann nicht sprechen. Das sind Kinder, die nicht lesen. Das ist diese Generation, von der ich immer wieder merke, wie sprachlos sie ist, wie unfähig mit Worten umzugehen. Den Hass auf die angeblich sprachlose Jugend kann man getrost als letzte Zuckung einer kultur- und verantwortungslosen Schicht alter weißer Männer sehen, die das, was ihnen eine alte weiße Frau erzählt, zwar kaum begreifen, aber nur zu gerne glauben.

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Ttavoc

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Fischer Horst

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