Wenn Menschen mit Migrationshintergrund sich als ebenso antisemitisch erweisen wie andere Deutsche, wenn sie kriminell werden oder wenn ihre Kinder in der Schule genauso versagen wie diejenigen ohne einen Migrationshintergrund, dann wird das in Deutschland nicht als Anpassung an die Landesgepflogenheiten gesehen, sondern im Gegenteil als „gescheiterte Integration“, was umgehend Experten bestätigen, die alle Ahmad Mansour heißen, wenn sie nicht auf den Namen Thilo Sarrazin hören. Aber keiner von ihnen fragt sich, ob nicht das, was sie Mehrheitsgesellschaft nennen, an einem falschen Bild von sich selbst leidet.
Ein weiteres Problem des Geschwätzes über gescheiterte Integration ist seine Willkürlichkeit und sein Beharren auf Details: X hat ein glänzendes Abitur gemacht, studiert und beginnt nun eine Ausbildung als Ärztin. Ist sie weniger integriert, weil sie bei der Ausübung ihres Berufes einen Hijab tragen möchte? Y lebt seit 30 Jahren in Deutschland, arbeitet, zahlt Steuern, zwei seiner drei Kinder haben Abitur. Ist er nicht integriert, weil er bei einem Fußballländerspiel zur türkischen statt zur deutschen Nationalmannschaft hält? Z ist ein sogenannter „Illegaler“. Er hat drei verschiedene Jobs und muss darauf bauen, dass keiner seiner Chefs ihn an die Polizei verpfeift. Er kifft gerne. Ist er weniger integriert, weil er auch Gras an Menschen mit legalem Aufenthaltsstatus verkauft?
Wer alle drei Fragen mit ja beantwortet hat, ist vielleicht schon in die Falle getappt, die von den oben erwähnten Experten ebenso aufgestellt wird wie von Sellner und der AfD: Es geht nicht um die Rolle, die jemand realiter in einer Einwanderungsgesellschaft einnimmt, sondern um das Beharren auf einer Definitionsmacht, und Macht ist in diesem Zusammenhang wörtlich zu verstehen: Mit der Behauptung, jemand sei nicht integriert, kann ich ihn oder sie sehr leicht als fremd markieren, als nicht zugehörig, selbst wenn alles passt außer Hijab, Fanjubel oder Dealen.
Von dieser Definition aus ist es nur ein kleiner Schritt zur Bezeichnung als „integrationsunwilliges“ Mitglied einer „Problemgruppe“, dessen deutsche Staatsangehörigkeit es nicht davor bewahrt, unter das Programm der „Remigration“ zu fallen. Ein erster Schritt, um die drohende Faschisierung zu verhindern, wäre also, das nur Defizite berücksichtigende Geschwätz von der „gescheiterten Integration“ zu beenden.