Der SPD geht es nicht gut, und so eilen die ungebetenen Ratgeber an das Bett des Patienten und empfehlen, dass es nun doch auch einmal gut sein könne mit dieser Identitätspolitik, sie solle doch „nicht mehr an kulturwissenschaftlichen Oberseminaren, sondern wieder am arbeitenden Volk“ sich orientieren, wie der durch Talkshows geisternde Talkprofessor Norbert Bolz Anfang Januar twitterte. Und bereits im November meldete sich der ehemalige Parteivorsitzende Sigmar Gabriel zu Wort und beklagte, es würden soziale Fragen bei der SPD nur noch „eine untergeordnete Rolle“ spielen, dagegen nähmen „Themen wie Schwulenrechte, Gleichstellungsrechte, Migration“ mittlerweile überhand. Und er verstieg sich sogar zu der Aussage, es sei heute eine andere die „Arbeiterpartei Deutschlands“, nämlich, ausgerechnet, die AfD.

Es zeugt von einem massiven Realitätsverlust, diejenige Partei, die den Kampf gegen die Armen zu ihrem Programm gemacht hat, als „Arbeiterpartei“ zu hofieren. Und die Annahme, es könne entweder um die Rechte so genannter „Minderheiten“, wozu Gabriel sogar Frauen zu zählen scheint, oder aber, worunter er sich offenbar nur weiße, heterosexuelle Männer vorstellen kann, um die der „Arbeiter“ gehen, mutet geradezu grotesk reaktionär an, als bedeute es eine Missachtung eines abhängig Beschäftigten, wenn sein schwuler Kollege nicht mehr wegen seiner Sexualität diskriminiert wird. Und dass auch und vor allem Migrant*innen unter prekären Arbeitsverhältnissen leiden, sollte man als Sozialdemokrat aus dem niedersächsischen Hartzschröderracket eigentlich wissen.

Aber weil es immer noch schlimmer geht, benutzt der eingangs erwähnte Professor Bolz den Begriff „arbeitendes Volk“, und wenn so einer „Volk“ sagt, dann meint er auch „Volk“ und entlarvt damit die Kritik an dem, was „Identitätspolitik“ genannt wird, ungewollt als Beschwörung der mythischen Zeiten, in denen ein deutscher „Arbeitsmann“ von seinem Lohn Häuschen, Familie, Auto unterhalten konnte. Dass ihm das heute kaum noch gelingt, hängt nicht mit den Rechten zusammen, um die „Minderheiten“ kämpfen, sondern mit der Politik des Kapitals, welche die Sozialdemokratie unter Schröder, einem „Glamour Boy mit männlichem Sex-Appeal“, dem „das Regieren Spaß machte“ (Norbert Bolz), gehorsam exekutierte.

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