Die Umdeutung der Vergangenheit (genauer: die Banalisierung und Relativierung der NS-Verbrechen) ist eines der zentralen Projekte der AfD-Faschisten, bei dem sie mittlerweile mit bemerkenswerter Schamlosigkeit vorgehen. Ich möchte das an zwei Beispielen demonstrieren: Das erste stammt von einem Mandatsträger der AfD, dem brandenburgischen Landtagsabgeordneten Dominik Kaufner, das zweite von Michael Klonovsky, der zwar nicht Mitglied der AfD ist, aber bereits eine lange Karriere als Mitarbeiter resp. Redenschreiber diverser Funktionsträger dieser Partei (Petry, Gauland, Meuthen etc.) hinter sich hat.

Kaufner begründet auf dem Blog der rechtsextremen Zeitschrift „sezession“ (28.11.2024), warum er im November 2024 an einem „Heldengedenken“ für gefallene Wehrmachtssoldaten teilgenommen habe. Er verweist dabei auf das Kernproblem der späten Bundesrepublik (...): Wie stehen wir zu unserem Volk, zu unserer Geschichte und den bestehenden moralischen Kategorien? Dass ihm die bestehenden moralischen Kategorien nicht passen, macht er an dem Beispiel der SS-Entschuldigung Krahs deutlich, welche dazu führte, dass andere europäische Faschisten der AfD die kalte Schulter zeigten: Zuletzt konnte man mit Krahs „Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher“ einen substantiellen Gegenentwurf zum Kult der Selbsterniedrigung sehen. Was es mit Selbsterniedrigung zu tun hat, sich einzugestehen, dass SS-Männer und Wehrmachtssoldaten wehrlose jüdische Zivilisten, Männer, Frauen, Kinder zusammentrieben und erschossen, erfährt man von Kaufner nicht, dafür um so mehr über seinen merkwürdigen Begriff von Ursache und Wirkung: Schuld ist individuell, nie kollektiv. (…) Ich zögere daher nicht, die bis zuletzt tapfer kämpfenden Soldaten der deutschen Wehrmacht, die sich – obwohl sie sich völlig im Klaren waren, daß der Krieg schon verloren war – der heranbrandenden Roten Armee entgegenwarfen und damit vielen Kindern, Frauen und Versehrten die Flucht ermöglichten, als Helden zu bezeichnen. Ausgehungert, ausgezehrt, auf verlorenem Posten kämpfend, standen diese oft blutjungen Männer gegen einen vom Material her und auch zahlenmäßig weit überlegenen Feind, der mit unfaßbarer Grausamkeit deutsche Frauen, Minderjährige und Greisinnen schändete, die Männer erschlug und die Gemarterten wie in Nemmersdorf an die Scheunentore nagelte. Warum der Feind heranbrandete, scheint Kaufner, immerhin ein promovierter Historiker, nicht zu interessieren, er ignoriert, dass die Wehrmacht nicht nur die Flucht in den Westen, sondern auch die Vernichtung der europäischen Juden abzusichern half. Sein Text ist ein Schritt zurück in die Zeit vor der „Wehrmachtsausstellung“, mit der das Hamburger Institut für Sozialforschung erstmals mit der deutschen Legende aufräumte, die Wehrmacht sei ein im Grunde unpolitischer Haufen junger Männer gewesen, die wie viele anderen Zeitgenossen auch das Schicksal ereilt habe, Krieg führen zu müssen. Bemerkenswert ist auch, dass Kaufner mit der Erwähnung von Nemmersdorf einen Fall zitiert, mit dem Goebbels die letzten Kräfte für einen aussichtslosen Kampf mobilisieren wollte. Doch es geht ihm nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch um die Gegenwart: Wenn diese Männer wüßten, daß dieselben Leute, die ihr Andenken besudeln, unsere Grenzen zugunsten einer stillen Landnahme aufgegeben haben, daß sie ohne Not Millionen Fremde in unser Land lassen, daß unsere Frauen im eigenen Land vielerorts zu Freiwild geworden sind – was würden sie wohl von uns denken, wenn wir hier nicht laut und energisch Einspruch einlegten? Der Vergleich von Geflüchteten mit den heranbrandenden Truppen der Rote Armee ist ebenso beabsichtigt wie obszön: So wie diese Frauen mit unfassbarer Grausamkeit behandelten, so stehen jene wegen der aufgegebenen Grenzen (kleiner Hinweis: es gibt diese Grenzen noch immer, sie sind seit dem Schengener Abkommen allerdings geöffnet, TS) als Feinde im Land, die man nicht mehr loswird. Und der Deutsche, der doch einst so heldenhaft zu kämpfen verstand, steht da wie gelähmt: Der pathologische Selbsthaß, das Suhlen in der eigenen Schuld, macht uns handlungsunfähig. Die bestehenden Eliten der Bundesrepublik (...) sollen ein entkerntes, ziel- und stolzloses Deutschland in ein internationales Siedlungsgebiet überführen. Weird stuff: Weil man die Deutschen daran erinnert, dass sie einst auf wehrlose Juden schossen, sind sie nun nicht mehr in der Lage, Syrer, die an den Grenzen auftauchen, abzuknallen, denn die Eliten wollen aus Deutschland ein internationales Siedlungsgebiet machen. Man muss wohl nicht allzu lange rätseln, um herauszufinden, im Auftrag welcher wurzellosen Kosmopoliten diese Eliten der BRD handeln. Verglichen mit dieser Verschwörungserzählung nimmt sich pathologischer Selbsthaß wie ein Schnupfen gegen Organversagen aus.

Ich komme zu Michael Klonovsky. Er bezieht sich in seinem Weblog „acta diurna“ (21.Dezember 2024) auf Äußerungen in einem Interview, das der neurechte Historiker Karlheinz Weißmann mit der NZZ führte: Ich glaube, dass die Konzentration auf diesen Aspekt unserer Geschichte beendet werden muss (...) Gauck (...) hat davon gesprochen, dass die Beschäftigung mit der NS-Zeit längst ’neurotische Dimensionen’ angenommen habe und man die Nachgeborenen zu ‚Quasischuldigen’ mache. (…) Ich bin ganz seiner Meinung: Die Fixierung der kollektiven Erinnerung auf diesen Punkt hat meiner Meinung nach die nachteiligsten psychischen Folgen für das, was man einmal ‚Volksseele’ nannte. Ich will gar nicht auf den Umstand eingehen, dass es, gäbe es eine kollektive Volksseele, diese auch eine Kollektivschuld auf sich geladen haben könnte, sondern weise lieber darauf hin, dass sowohl Kaufner als auch Weißmann jeden Versuch, die NS-Zeit zu verstehen, als Ausdruck einer Krankheit begreifen, welche die Deutschen in der BRD irgendwie lähme. Dass man trotz dieser angeblichen Lähmung mehrere wirtschaftliche Aufschwünge, Aufrüstung, Großmachtambitionen, Kriege und eine nicht unerhebliche Gebietserweiterung bewerkstelligt hat, bleibt dabei unberücksichtigt, es vertrüge sich ja auch nicht mit dem Bild vom irgendwie handlungsunfähigen Volk, das auch Klonovsky in seinem Kommentar zum Interview beschreibt: Welchem Zweck nämlich dient die beharrliche Erinnerung an die NS-Verbrechen, wofür wird die Wunde immer schön offen und eiternd gehalten? Um die deutschen Täternachkommen darauf zu konditionieren, dass sie nicht nur ihren Wohlstand abgeben, sondern auch ihr Land, dass sie die nicht endende, ihre genetische Wolfssubstanz letztlich aus der Welt tilgende Masseneinwanderung als Sühne für die Taten ihrer Vorfahren klaglos hinnehmen. Wer aber hält nicht nur die Deutschen davon ab, sich gegen Einwanderung zu wehren, sondern hat es auch auf ihre genetische Wolfssubstanz (was immer da geraunt sein mag - Hitler, um auch das zu erwähnen, ließ sich in privater Runde gerne als „Wolf“ bezeichnen) abgesehen? Auch darauf weiß Klonovsky eine Antwort, denn die wölfischen Deutschen könnten sich gegen Wohlstandsverluste und Landraub durch Einwanderer durchaus wehren, wären sie nicht der Konsequenz der nationalen Selbstauslöschung, die deutsche sogenannte Eliten daraus gezogen haben schutzlos ausgeliefert. Die Eliten Kaufners sind bei Klonovsky sogenannte und ebenfalls in verräterischer Mission unterwegs. Mit ihnen kann es, so Kaufner, keine Gemeinsamkeiten geben: Aus meiner Sicht ist es jedoch notwendig, nicht durch irgendeinen Kuhhandel hinter die Brandmauer zu schleichen und sich dort behaglich einzurichten, sondern sie und all ihre im Kern antideutschen Narrative einzureißen. (…) Für viele mag das keine „Realpolitik“ sein (im Sinne erwünschter Beteiligung am Parteienstaat), aber gegen die würden sich bestimmt die Wehrmachtssoldaten aussprechen, wenn man sie heute noch fragen könnte: Viele junge Deutsche gaben in den letzten Tagen des Krieges ihr Leben, damit wir leben können. Wir sollten wenigstens den Mut aufbringen, uns vom Sofa zu erheben und der Multikulturalisierung und Auflösung unserer Heimat entgegenzutreten, damit unsere Kinder hier noch eine Zukunft haben. Ohne Kompromisse. Das hört sich nicht nur martialisch an, das ist auch so gemeint. Man sollte also Kaufner und seiner AfD den Gefallen erweisen und jeden Versuch der Realpolitik mit diesen Herrschaften vermeiden. Seit Stalingrad kann man mit ihnen nur verlieren.

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Matt Elger

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Kvasir

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Aron Sperber

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