Anlässlich der öffentlichen Verkündung, dass sich der Nachrichtensprecher Schreiber nicht mehr zum Thema Islam äußern möchte, behauptete der „Ruhrbaron“ Stefan Laurin: „Die Behauptung, es gäbe (gemeint ist: gebe, TS) keine cancel culture, ist Bestandteil der Taktik ihrer Wegbereiter.“ Wie kommt er zu dieser Meinung? Schließlich hat Schreiber seinen Roman „Die Kandidatin“, bei dem es sich um eine Art deutsche Coverversion des anspruchsvolleren Vorgängers „Die Unterwerfung“ von Michel Houellebecq handeln soll, bei einem der größten deutschen Verlage veröffentlichen können. In dem Roman arbeiten Muslime an der Unterwanderung der deutschen Gesellschaft, ein Unterfangen, bei dem ihnen eine ganze Reihe von Diversitätsquoten helfen. Was Herr Schreiber sich da als „düstere Zukunftsfantasie“ bzw. „Dystopie“ ausgedacht hat, beschreibt durchaus wohlwollend Harald Martenstein in der „Welt am Sonntag“ vom 16.9.23: „In den Betrieben“ mit ihrem „strengen Quotensystem“ dürfen „maximal 25% des Managements (…) weiße Männer sein“, es gibt auch eine Mindest-Quote von 15% „für nicht-binäre Sexualitäten“ und eine noch höhere für Muslime, denn die Machtverlustängste weißer Männer verkaufen sich immer gut. Prompt befindet sich Deutschland „auf dem Weg in den Bürgerkrieg, eine politische Mitte existiert praktisch nicht mehr“, die Antifa paktiert, natürlich, mit „Scharia-Brigaden“ und das ist für Martenstein kein paranoider Stuss, wie er Boomerbrains entspringt, sondern keineswegs „unrealistisch, sofern man die gegenwärtigen Tendenzen konsequent in die Zukunft fortschreibt.“ Martenstein veröffentlicht seinen Text nicht im Samisdat, sondern in einer der großen Sonntagszeitungen, klagt aber ebenso wie Schreiber über „Vorsicht, wenn es um gewisse Themen“ („Islam, auch Klima oder Migration“ ) gehe, und er „kenne etliche Kollegen aus den Medien, die ihre Meinung zu solchen Themen inzwischen ebenfalls für sich behalten, außer im Freundeskreis.“ Da geht es dann wohl hoch her.
Laurin aber, um auf den zurückzukommen, schreibt, Schreiber wisse, wovon er spreche, da er „als Journalist in der Region“ gearbeitet habe und daher mitbekommen hat, wie „der Islamer“ (J. Roth) tickt. Klar, dass es hier bald aussehen wird wie dort, wenn die wehrhaften Deutschen aussterben. Der Autor Stephan Buchen sieht dagegen in der „Kandidatin“ strukturelle Ähnlichkeiten mit einem antisemitischen Naziroman, was er sehr ausführlich begründet („ein langes Stück“ klagt der Focus – jede Wette, sie haben es nicht gelesen). Schreiber bezeichnet diese Analyse als empörend, sie sei „einfach Diffamierung“, „keine Debatte“, die er doch eigentlich liebe, und er lässt durchblicken, dass er in ihr einen der Gründe für seinen Rückzug sieht – und weniger in der Torte, die man ihm in der Uni Jena ins Gesicht warf.
Alexander Kissler in der NZZ sieht Schreiber als einen „Aufklärer im besten Sinn“, der nun aber „vor der Gegenaufklärung“ kapituliere, bzw., wie es Kissler in dem ihm eigenen Deutsch schreibt, „in Ansehung des Islams den Notausgang des Verstummens“ genommen habe. Mich erheitert es nicht wenig, von diesem dezidiert katholischen Autor einen Satz wie den folgenden zu lesen: „Die Gegenaufklärung sammelt ihre Bataillone, die Freiheit muss sich rechtfertigen.“ Oder, um es mit Laurin zu sagen: „Cancel culture ist real. Sie will Debatten lenken und die Freiheit zerstören.“ Oder, um es mit Ulf Poschardt zu sagen: „So stirbt (gemeint ist: sterben, TS) die Freiheit und der Westen.“ Oder, um es mit mir zur sagen: Wenn Schreiber behauptet, es sei auch die mangelnde Unterstützung von Kollegen gewesen, die ihn zu seinem Entschluss bewegt habe, könnte man seinen scheinbaren Rückzug auch als Versuch auffassen, alle, die ihn wie Buchen fortan fundiert inhaltlich kritisieren wollen, als unsolidarische Komplizen derjenigen finsteren Macht (Islam) darzustellen, die ihn bedroht. Was aber wäre diese Diskursverhinderung anderes als „cancel culture“?
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Übrigens: Das Kulturfestival der Linken in Schwaan musste nach Drohungen von Rechten abgesagt werden. Haben Sie davon gelesen? Nein? Das wundert mich nicht. Ist wohl keine cancel culture.
https://katapult-mv.de/artikel/festival-nach-drohungen-aus-rechtem-spektrum-abgesagt
https://katapult-magazin.de/de/artikel/freundliche-uebernahme