Nach intensiver Diskussion haben sich die Chöre, die den Schlager „Sonderzug nach Pankow“ des Sängers Lindenberg im Begleitprogramm einer Ausstellung im Humboldt-Forum aufführen wollen, dafür entschieden, die Metapher „Oberindianer“ durch ein „Ober-“ und ein langgezogenes „I“ zu ersetzen, da in dem Begriff die „Gewaltgeschichte der Kolonisierung indigener Bevölkerungsgruppen nachklingt.“ Das ist eine künstlerische Entscheidung, zu der die Beteiligten gekommen sind, nachdem sie lange über den Text nachgedacht haben. Ob Lindenberg dieser Änderung zustimmt, entzieht sich meiner Kenntnis, aber es wäre nicht der erste Fall, in dem eine Coverversion textlich verändert wird. Also, was soll‘s?
Aber in Zeiten, in denen sich die Rechten und die ihnen angeschlossenen Medien und Trolle dem Kampf gegen angebliche „cancel culture“ verschrieben haben, ist die Aufregung gekünstelt groß, der Sprecher für Kultur der AfD-Fraktion in Berlin sprach von „Zensur“ (was Quatsch ist) und hatte das Glück, dass sein Beitrag ohne Namensnennung oder Quellenangabe auf dieser Plattform veröffentlicht wurde. Noch weiter ging ein Kommentar in der Bild-Zeitung, in dem gefordert wurde, den „Sprachhenkern“ die Förderung zu streichen, da diese „selbsternannte Gefühls-Elite (...) unser Zusammenleben“ vergifte. Die Frage, ob es nicht eher das Zusammenleben vergiftet, wenn unliebsamen Künstler*innen sofort die Förderung entzogen wird, übersteigt offenbar den Horizont der selbsternannten Sprachelite der Bild-Zeitung.
Dass das Gerede von „cancel culture“ vor allem dazu dient, im Kulturkampf die Opferrolle einzunehmen, zeigt die Lektüre des Bändchens „Volkstheater“, in dem der Journalist Peter Laudenbach die teilweise gewalttätigen rechten Eingriffe (natürlich ist auch die AfD dabei) in das kulturelle Leben bis 2021 aufzählt. s. dazu auch https://www.fischundfleisch.com/thomas-schweighaeuser-ex-gotha/danke-dafuer-afd-oder-die-mehr-als-ueberfaellige-wenn-auch-ungewollte-entlarvung-des-cancel-culture-83701