Benjamin Netanjahu mit Vampirzähnen und blutbeflecktem Gesicht, diabolisch grinsend, während vor seiner Brust das Porträt einer mutmaßlich von der Hamas getöteten Familie, deren Leichen nun übergeben werden sollen, schwebt, daneben, dreisprachig, die Erklärung: „The War Criminal Netanyahu & His Nazi Army Killed Them With Missiles From Zionist Warplanes“ – alles an dieser Inszenierung ist antisemitisch, von der Karikatur des finsteren, blutrünstigen Juden bis zur Behauptung, Israel sei ein Wiedergänger des Nazireiches. Welche Bildunterschrift aber wählt die „junge Welt“ am 22.2.25? Diese: „Aus der Sicht der Hamas gehen Gewalt und Terror vom israelischen Besatzungsregime aus“ – sie liest sich, als würde ein Volontär in einer Lokalzeitungsklitsche sich gerade um einen besonders objektiven Tonfall bemühen und so verlogen ist sie auch. Ganz anders als objektiv klingt der Kommentar unter diesem Bild: „Aber egal, wie die Verhandlungen laufen und wie schließlich die Ergebnisse aussehen: Dass es danach einen dauerhaften Waffenstillstand oder gar einen politisch und rechtlich fundierten Friedensschluss geben wird, erscheint äußerst unwahrscheinlich. Israels Premierminister will den Krieg gegen die Hamas »bis zum totalen Sieg« und deren vollständiger Vernichtung weiterführen, wie er immer wieder erklärt.“ In dieser Sichtweise scheitert der Friedensschluss nicht an der Hamas, die ja auch einfach die Geiseln hätte freilassen und die Waffen strecken können, sondern an den Juden, deren Wunsch nach einem „totalen Sieg“ so klingen soll, dass die Nazivokabeln „Endsieg“ und „totaler Krieg“ sich gleichsam mühelos einstellen. Es ist an der „jungen Welt“ – von der manischen Fixierung auf das böse Israel bis hin zur putintreuen Abrechnung mit den „Bandera-Nazis“ – alles falsch, was an Linken, die in die falsche Richtung unterwegs sind, falsch sein kann, und es ist wohl nur mit einem Mangel an Publikationsmöglichkeiten zu erklären, dass gemeinhin zurechnungsfähige Autoren (Gärtner, Gsella etc.) sich dort trotzdem noch gelegentlich zu Wort melden. Mag man über die „jungle World“ und ihre Drift ins linksliberale Milieu denken, was man will – dergleichen antisemitische Täter-Opferumkehr wird man dort nie lesen.
Einen Tag zuvor hatte ein Geflüchteter aus Syrien in seinem Wunsch „Juden zu töten“ das Holocaust-Mahnmal in Berlin aufgesucht und einen spanischen Touristen schwer verletzt. Zum antisemitischen Wahn gehört es, den Juden als ebenso ortlos wie kosmopolitisch anzusehen, der nirgendwo und überall zugleich und dessen Einfluss nie zu unterschätzen sei. Dass daher der Attentäter die Stelle aufsuchte, an dem das Gedenken an die ermordeten Juden seinen Ort hat, ist ebenso abstrus wie innerhalb seines Wahnsystems verständlich: Irgendwo müssen sie ja sein, also warum nicht dort, wo ihrer gedacht wird?
Zur spezifisch deutschen Ausprägung der Auseinandersetzung mit dem Menschheitsverbrechen gehört auch, dass dieser Gedenkort gegen heftige Anfeindungen durch prominente Schriftsteller („fußballfeldgroßer Alptraum im Herzen der Hauptstadt“) und prominente Journalisten („Schandmal (...) gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland“) und erst dann errichtet wurde, als ein Großteil der Täter bereits gestorben war. Dass an demselben Wochenende eine Partei zweitstärkste politische Kraft im Bundestag werden wird, deren maßgeblicher Politiker diesen Gedenkort ein „Denkmal der Schande“ genannt hat, das – und man beachte die biologistische Metapher – „ins Herz der Hauptstadt gepflanzt“ sei, lässt befürchten, dass der Wahn seine Fortsetzung finden wird.