Ror Wolf ist tot. Was sich hinter diesen vier Worten verbirgt, ist, nicht einmal zwei Monate nach dem Tod eines anderen Großmeisters der deutschen Sprache (https://www.fischundfleisch.com/thomas-schweighaeuser-ex-gotha/die-vorweihnachtszeit-18-die-vorweihnachtszeit-19-eine-schlechte-zeit-fuer-klassiker-61759 ), eine Katastrophe für die deutsche Sprache, die deutsche Literatur. Und mir komme jetzt bitte niemand damit, dass dieser Dichter ja bereits 87 Jahre alt und länger schon krank gewesen sei - ach was, ist das etwa ein Argument? Die 103 Jahre, die Ernst Jünger zugestanden wurden, hätte ich ihm gerne gegönnt, und er hätte sie gewiss sinnvoller genutzt.
Wie man hört, hat er bis zuletzt an seiner Autobiographie gearbeitet, der Darstellung eines Lebensweges voller Sprünge und Abstürze: Aufgewachsen im thüringischen Saalfeld machte Richard Georg Wolf im Jahre 1953 „rüber“ (und das ist nun wirklich eines der wenigen Dinge, die ich meinem Land übel nehme, dass es dieses Talent hat ziehen lassen), schlug sich im Westen als Hilfsarbeiter durch, studierte bei Adorno, wurde Redakteur bei der frankfurter Studentenzeitschrift „diskus“ und veröffentlichte als Ror Wolf 1964 „Fortsetzung des Berichts“, sein fulminantes Romandebüt. Ihm folgte 3 Jahre später „Pilzer und Pelzer“, ein als „Abenteuerserie“ bezeichneter Roman.
Seit dem Ende der 1960er Jahre widmete er sich dem Fußball, begleitete die Fans von Eintracht Frankfurt auf Auswärtsfahrten und machte aus ihren Gesängen O-Ton-Hörspiele, schnitt Radioreportagen neu zusammen, um die künstlerischen wie komischen Aspekte dieser Erzählung der Moderne herauszuarbeiten und war vielleicht in dieser Zeit so populär wie nie zuvor. Doch nach dem wunderbaren Kurzroman „Die Gefährlichkeit der großen Ebene“ ließ Suhrkamp seinen vielleicht bedeutendsten Autor fallen, der im Anschluss bei verschiedenen Verlagen Kurzprosa („Mehrere Männer“), Gedichte („Hans Waldmanns Abenteuer“) und vor allem den Beginn der „Enzyklopädie für unerschrockene Leser“ erschienen ließ, „Raoul Tranchirers vielseitiger großer Ratschläger für alle Fälle der Welt“, dem noch 6 weitere Bände dieser alphabetisch geordneten Sammlung kurzer Texte, die zwischen ridikülem Ernst und gravitätischer Heiterkeit oszillieren, folgen sollten.
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Für das wunderbare Hörspiel „Leben und Tod des Kornettisten Bix Beiderbecke aus Nord-Amerika“ erhielt Wolf den wichtigsten deutschen Hörspielpreis, blieb aber auch in den folgenden 30 Jahren seines Autorenlebens ein sehr bekannter Unbekannter. Er erhielt weitere Literaturpreise, deren Existenz man oft erst dann wahrzunehmen begann, als sie Ror Wolf zugesprochen wurden, er schrieb Gedichte und seinen letzten längeren Prosatext „Die Vorzüge der Dunkelheit“. Wie andere seiner Werke illustrierte er auch diesen „Horrorroman“ mit surrealistischen Collagen, die er aus Zeitschriften der Jahrhundertwende zusammenschnitt. Aber wer sein Werk dem schwammig definierten Genre der literarischen Phantastik zuordnen möchte, liegt nicht unbedingt richtig, denn die Erfahrungen, die seine oftmals stoischen Helden in einer Wirklichkeit voller Fallen und Katastrophen machen müssen, sind realistischer als vieles, was zeitgenössische Romane zu bieten haben, von der sprachlichen Brillanz ganz zu schweigen.
Am Montag ist Ror Wolf gestorben.