Nicht, dass man die „jungle World“ nicht loben könnte, auch wenn sie mittlerweile zu einer Art „Zeit“ für Studienräte ohne Eigenheim sich entwickelt hat. Aber ein Altpapierstapel jenes Wochenblatts nimmt nicht nur weniger Platz in der Wohnung ein als einer mit alten Ausgaben von di Lorenzos Schnarchblatt, nein, es finden sich in der „jungle World“ immer noch gute Artikel, die man anderswo selten zu lesen bekommt. Für Klopotek, Achtelik oder Mense nimmt man eben einen Schulz oder Bozic in Kauf, auch wenn man immer befürchten muss, dass allzu häufige Trips zu den Bahamas das Schiff bald kentern lassen werden.
Zu loben ist auch der zivilisierende Einfluss, den diese immer noch irgendwie linke Zeitung auf einige ihrer Autoren zu haben scheint: So schrieb ein „Ruhrbaron“, der die Springerpresse mit clanporn aus Essen-Altenessen versorgt und sich spätestens mit dem Ukraine-Krieg zu einem fanatischen Schreibtischkrieger entwickelt hat, dessen ganzer Hass „Putin-Verstehern“, zu denen er auch die biederen Sozialdemokraten der Partei „die Linke“ zählt, gilt, so schrieb also Stefan Laurin, mutmaßlich zähneknirschend, über einen Anschlag auf das Büro dieser Partei in Oberhausen, vergaß dabei aber nicht zu erwähnen, dass die AfD am häufigsten das Ziel von Angriffen gegen Parteien sei. Auch Magnus Klaue, der für den Umgang mit Geflüchteten resp., so seine Diktion, „jungislamischem Bevölkerungszuwachs“ die wissenschaftliche Vorbereitung durch Disziplinen wie „nicht-akzeptierende Sozialarbeit, klinische Psychologie, Kriminologie und Rechtswissenschaft“ (Bahamas 79/2018) empfiehlt, hält sich in seinen Beiträgen in der „jungle World“ mit seinem Hass auf Muslime etwas zurück.
Der Ukraine-Krieg brachte es mit sich, daß viele Linke sich genötigt fühlten, Position zu beziehen, was in dem albernen Exodus gipfelte, den ehemalige Konkret-Autoren inszenierten, da sie bei diesem Magazin eine Vernarrtheit in Putin vermuteten. Als Ziel gaben einige Ehemalige die jungle World an, wo im April 22 ein über jeden Verdacht der Putinliebe erhabener Artikel erschien: Wer „an der Seite Putins steht, macht alles falsch und hat schon verloren“, wer aber mit Selenskij sei, „macht alles richtig“, da „die Geschichte (…) gerade eine Epochenschwelle“ überschreite, „nach den konfusen 90er Jahren“, den „bleiernen Merkeljahre(n)“, einer „Dekade der ewigen Gegenwart“, also einer Zeit, in welcher der Verfasser gerne Epochenschwellen überschritten gesehen hätte, die ihm diesen Anblick aber noch verwehrte: „Selbst das Thema Islam vermochte kaum noch jemanden aufzuregen. Der Rest war Klimawandel und Identitätspolitik“, also nicht Schweigen, sondern eine sich nicht mehr nur anbahnende Katastrophe auf der einen und Feuilletongeschwafel auf der anderen Seite. Der Hinweis auf das „Thema Islam“ läßt vermuten, daß man auch im „Rosa Salon Trier“, wo dieser Artikel zuerst vorgetragen wurde, den Ressentiments der AfD-Wähler durchaus Verständnis entgegenzubringen vermag, zumal von den Ukrainern im ironischen Duktus gesagt wird, sie seien „keine Muslime“, sondern „ziemlich weiß“, weswegen sie „bloß das öde Eigene repräsentieren“, das eine Frage der gemeinsamen Hautfarbe sein muß. Aber wer meint, mit dem Begriff des „Eigenen“ sei das Maß an reaktionärer Diktion, das der Leserschaft einer linken Zeitung zugemutet werden kann, bereits überschritten, täuscht sich: Putins Krieg, welcher „die Geschichte zurück auf die Tagesordnung“ bringe, vollziehe sich „zugleich als historisches Reenactment“, nur seien es „diesmal keine deutschen, sondern russische“ Panzer, welche im Schlamm stecken blieben.
Ist dies einmal gesagt, hat auch der Autor – Dr. O.M. Piecha – keine Hemmungen mehr, sämtliche Schwellen zu überschreiten: „Zu viele Berichte über das Wüten der russischen Soldaten verweisen auf Erzählungen, von denen man immer behauptete, dass nur alte Nazis sie gerne erzählen“ – über das Wüten der Roten Armee, pardon: des Iwans? Wird wohl so sein: Putin zerstöre „den mit Sieg der Roten Armee über Nazideutschland verbundenen Ruhm“, wie überhaupt – hat man etwa doch das falsche Schwein geschlachtet? – „die ungeheure Gewalt und Brutalität, die von der Sowjetunion ausgegangen ist, im Westen verdrängt, verhüllt und verschwiegen wurde.“ Sind die Russen von heute also die neuen Nazis? Einer auf jeden Fall: „Niemand fragt die deutschen Patentinhaber, ob der Hitler-Putin-Vergleich auch genehm ist.“ Man kann sich als Deutscher eben nicht dagegen wehren, wenn die Welt sich weiterdreht. Da liegt auch die folgende Erkenntnis nicht fern: „Vor allem aber hat Putin die Russen zum Tätervolk gemacht.“ Jetzt ist es raus und spätestens jetzt wissen die Deutschen, daß, wenn schon nicht die Westalliierten, doch immerhin sie das richtige Schwein zu schlachten versucht haben, gleichsam in vorweggenommener Westintegration, wenn auch nicht erfolgreich.
Mehr ist über den Artikel in der jungle World nicht zu sagen, außer vielleicht, daß man den Verfasser von einem gewissen Humor nicht freisprechen kann: „Das bedeutet nicht, die Verbrechen der Deutschen relativieren zu wollen.“ Genau.
Was machen aber die Exodus-Autoren, die „die Zurückweisung jeder Relativierung und Instrumentalisierung der Shoah“ nicht mehr als „das Markenzeichen von Konkret“ erkennen konnten, nun in Sachen „jungle World“?
Zuerst hier erschienen: https://wordpress.com/view/angenehmwiderwaertigzugleich.home.blog