Die meisten Autoren versuchen, uns eine schöne Geschichte zu erzählen. Sie konzentrieren sich auf den Aufbau, kümmern sich um die Handlung und um ihre Sprache. Und wenn sie gut sind, dann zeigen sie uns eine stimmige Welt, in die wir eintauchen können.
Dann gibt es ein paar wenige Autoren die eine gute Geschichte erzählen und gleichzeitig an tiefgreifende Gedanken rühren. Bei ihnen funkelt es auf manchen Seiten so von Gedankensplittern und Wortspielereien, dass man lachen könnte vor Freude.
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Danke!
Ich denke dabei an die Gespräche zwischen Settembrini und Naphta oder Tolstois Worte über Napoleon in „Krieg und Frieden“.
Natürlich gibt es auch Autoren, die an dieser Aufgabe gescheitert sind. Ich will nur zwei davon nennen, weil ich ihre Werke trotz dieser Schwäche liebe und sie mit Genuss gelesen habe.
Das eine ist „Sophies Welt“ von Jostein Gaarder, das andere ist „Der Schwarm“.
Beide erdrücken mit ihren Gedanken und Bemerkungen die Geschichten. J. Gaarder mit Absicht, denn sein Buch ist eine Einführung in die Philosophie für Kinder, die er in eine Rahmenhandlung gepackt hat, damit sie spannender wird.
Bei Schätzing ist es ein Hilferuf, ein Wutschrei über den Zustand der Welt, der den Lesefluss immer wieder unterbricht und der Geschichte viel von ihrer Schönheit nimmt.
Jemand, der diese Aufgabe wunderbar gemeistert hat, ist die französische Philosophin M. Barbery.
In „Die Eleganz des Igels“ erzählt sie eine Geschichte, die so wahr ist, die so nah am echten Leben schrammt, dass mir beim Lesen das Wasser in die Augen stieg.
Denn mich rührt die Erzählung einer alternden Concierge, die ihr Innerstes vor der Welt versteckt um sich ungestört dem Genuss von Kant, Mozart oder Ozu hinzugeben.
Und dabei ohne Bitterkeit auf die Menschen sieht, die sie nicht erkennen. Die nur das sehen, was ihnen ihre Augen vorspiegeln und daher über sie lachen.
Etwa, als ein Vermieter sie darum bittet, eine Inkunabel in Empfang zu nehmen.
„Na dann, viel Vergnügen“, sage ich und setze eine angewiderte Miene auf. „Ich bringe es Ihnen, sobald der Bote da ist.“
Die Aussicht, dass Pierre Arthens heute Abend an seiner Tafel als Bonmot die Entrüstung seiner Concierge zum Besten gibt, weil er vor ihr eine Inkunabel erwähnt und sie vermutlich etwas Anstößiges darin gesehen hat, erheitert mich außerordentlich.
Gott weiß genau, wer von uns beiden sich mehr erniedrigt.
Und ich liebe Barberys Idee, die Kritik am Zustand der Welt aus dem Munde eines Kindes erklingen zu lassen. Einer dreizehnjährigen Schülerin, die beschlossen hat, aus Verzweiflung über die Sinnlosigkeit des Erwachsenwerdens ihrem Leben ein Ende zu setzen.
Und die ihr Heft füllt mit Einsichten in das Wesen der Menschen und der Gesellschaft, mit Gedanken, die so wahr sind, dass ich weiß, irgendwo da draußen läuft Paloma durch die Straßen und weint.
„Von Zeit zu Zeit nehmen sich die Erwachsenen offenbar Zeit, sich hinzusetzen und die Katastrophe zu betrachten, die ihr Leben ist. Sie jammern dann, ohne zu verstehen, und wie Fliegen, die immer gegen die gleich Scheibe stoßen, werden sie unruhig, sie leiden, verkümmern, sind deprimiert und fragen sich, welches Räderwerk sie dorthin geführt hat, wohin sie gar nicht wollten.“
Und sie gibt sich selbst die Erklärung.
„Was schiefläuft, ist, dass die Kinder die Reden der Erwachsenen glauben und dass sie sich, wenn sie selbst erwachsen werden, rächen, indem sie ihre eigenen Kinder irreführen.“
Aber es sind nicht nur diese schönen Stellen, die mir das Buch so wertvoll machen. Wäre es so, dann hätte es nur den Wert einer Aphorismensammlung.
Doch die Geschichte als Ganzes steht einsam vor uns da und lässt ihre Figuren lebendig werden. Sie greift mir, was selten ist, ans Herz, lässt mich lächeln und wehmütig an längst verlorene Tage denken.
Und das ist mehr, als ich erwartet habe.
Das wieder Lesen, das erneute Blättern in einem solchen Buch ist wie ein Spaziergang in einem Garten.
Immer wieder entdeckt man neue Dinge. Auch wenn sich der Garten immer gleich bleibt, auch wenn der Gärtner an keiner Pflanze rührt, so sind es doch wir die uns immer ändern und die Dinge anders wahrnehmen. Und sie dadurch neu erblicken.
Gibt es nicht irgendwo die Theorie von der Erschaffung der Welt durch den, der sie sieht? Wenn nicht, dann ist es ein Buch, das es wert wäre, geschrieben zu werden.
Auch jetzt, bei meinem dritten Weg durch Barberys Werk entdecke ich wieder Neues. Ich sehe den Weg, den uns die alternde Renée zeigt, und bin bereit, ihn als Möglichkeit zu akzeptieren.
Ihr Ausstieg aus dem Hamsterrad der Geschäftigkeit und des Kampfes um einen Platz an der Spitze. Ein stolzes sich zurückziehen in die Welt der Kunst, der Worte und der Musik.
Um dort seinen Träumen nachzuhängen, seine Gedanken zu leben und glücklich zu sein.
Und einfach nur zu leben.
Und auch wenn das Buch tragisch endet und mich wütend zurücklässt, bin ich dankbar für das Geschenk, das Reneé mir gemacht hat.
Und ich bin mir sicher, dass Paloma noch immer durch die Straßen spaziert, etwas älter, etwas reifer, aber noch immer mit einem Leuchten in ihren Augen.
Traurig lächelnd.
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Mehr dazu gibt es auf meinem Blog: Der Leiermann