"Die Parteien stecken also in einer Krise. [...] Es ist ein Teil der Krise der großen Parteien, daß das alte demokratische Prinzip der Gewaltenteilung heute nicht nur nicht beachtet wird, sondern auf manchen Gebieten gar nicht mehr gelten kann. Die Parteien sind zuweilen stärker als die Institutionen, weil sie sowohl in- als auch außerhalb dieser verankert sind, und das erzeugt ihren Einfluß. Wenn sie heute zum Beispiel im Parlament sozialpolitische Materien behandeln, brauchen sie den sozialpolitischen Experten. Dieser berät das Gesetz mit und beeinflußt damit seinen Inhalt entsprechend; er ist darüber hinaus in der Folge aber auch der Exekutor des Gesetzes. Wie wir dieses Problem befriedigend lösen können, darauf vermag ich freilich keine Antwort zu geben." (Der Mensch im Mittelpunkt, S 120)
Kremayr&Scheria / Manz https://ethos.at
Rund 30 Jahre nach Bruno Kreiskys Bekenntnis seines Unvermögens in grundlegenden demokratiepolitischen Fragen über den Tellerrand des Parteipolitikers hinaus schauen zu können, ist das Buch "Baustelle Parlament" erschienen, das die Frage der Reform ganz einfach beantwortet: Österreich braucht eine fundamentale und radikale Erneuerung seiner Verfassung, damit elementare Fragen wie die Gewaltenteilung, die zwar (von Verfassungsexperten) als eines von sechs Prinzipien der bestehenden Verfassung interpretiert wird, aber explizit in der Verfassung als solches nicht ausgeführt wird. Österreich braucht nach einem Verfassungskonvent, bei dem alle Bürger unseres Landes teilnehmen, eine schlanke Verfassung, mit der sich alle Menschen des Landes identifizieren, und die eine Spaltung zwischen Verfassung und Realverfassung im Kern verhindert.
Bruno Kreisky: "Die Geringschätzung der Männer und Frauen, die politisch wirken, ist das Krebsübel der Demokratie." (Der Mensch im Mittelpunkt, S 118)
ethos.at kommentiert: Die Geringschätzung der Männer und Frauen, die außerhalb der etablierten Parteien politisch wirken, ist einer der Faktoren der Demontage unserer Demokratie durch die etablierten Parteien.
Bruno Kreisky: "Nun darf man nicht vergessen, daß sich Westeuropa zur Zeit der Staatsvertragsverhandlungen auf ein einziges Problem konzentrierte: auf die künftige Richtung der NATO und die Frage der Einbeziehung der Bundesrepublik. Das scheint mir eine Krankheit des Westens zu sein, daß er sich auf ein Problem versteift und daß ihn dann alles andere nicht interessiert. Daß die Russen damals ihre Bereitschaft bekundeten, sich aus Österreich zurück zuziehen, war ein letzter Versuch auch im Hinblick auf Deutschland. Aber der Westen blieb unbeweglich. Hinzu kam ein weiteres Handikap: Wenn man ein Militärbündnis schließen will, ist das, wie die Entstehung der NATO zeigt, eine politische Sache; bestimmt wird die Diskussionen jedoch weithin von den Militärs. [...] Wie wir wissen, sind das in den bürgerlichen Staaten nicht immer die intelligentesten Leute, und es hängt oft vom Zufall, Stand und Aussehen ab, ob einer in die Armee geht. Auf einen einfachen Nenner gebracht, war die Haltung eines großen Teils der NATO-Generalität die, man dürfe die österreichische Brücke zwischen Italien und Deutschland nicht aufgeben. [...] Wenn man den Staatsvertrag streng und ehrlich beurteilt lief er auf die Preisgabe der militärischen Interessen des Westens hinaus. Inwieweit das die Russen bestärkt hat, weiß ich nicht." (Im Strom der Politik, S 107)
ethos.at kommentiert: Spätestens seit dem Ende des Warschauer Paktes 1990 ist die NATO eine antiquierte Einrichtung, die keine Existenzberechtigung mehr hat.
SIEHE AUCH: Bruno Kreisky über den Staatsvertrag und die österreichische Neutralität