Seit Basic Instinct (1992) wird in Hollywood immer weniger Fleisch gezeigt. Wollte man mit „Babygirl“ die Grenzen ausloten, wie weit man 2024 noch gehen darf? Die erste Frage nach einem wenig befriedigenden Filmabend: wird die ein paar Sekunden ganzkörpernackte Romy (Nicole Kidman) zum Skandalon des Jahres, oder die Tatsache, dass sie und ihr Liebhaber Samuel (Harris Dickinson) dem Laster des Rauchens frönen? Nichts von dem, meint Kurier.at: „In dem fesselnden Film sorgt vor allem eine ganz bestimmte Szene für Aufruhr. Dabei spielt ein Glas Milch eine bedeutende Rolle.“ (Kurier.at 7.2.25)
Wer sich Spannung und Erotic wie in Basic Instinct erwartet, wird enttäuscht. Auch die Schablone Ältere-Dame-Jugendlicher-Liebhaber, Aufreger seit der „Reifeprüfung (The Graduate)“ 1967 und „Liebe ist nur ein Wort“ (Roman von J.M. Simmel aus dem Jahr 1963, verfilmt 1971) ist als Skandolon nicht mehr geeignet. So bleibt von dem Film „Babygirl“ nur eine Aneinanderreihung von Andeutungen und Vorspielen zu Sexszenen, mit ziemlich oberflächlichen Dialogen als Verbindungsglieder.
Sogar das Bild der Roboterfirma, der Romy (die Firmenchefin hat nicht einmal einen Familiennamen, man spricht sich nur mit Vornamen an) ist eine Schablone – die flache Aufsicht auf ein automatisiertes Regallager. In Zeiten, in denen bereits „lebensechte“ Sex-Roboter hergestellt werden, ist dieser Schauplatz Ausdruck von Phantasielosigkeit oder einer ziemlich prüden Phantasie.
„An explosive game of seduction“, verspricht der Trailer. Meine Warhnehmung: Roboterhaft, vielleicht sogar von AI generiert, erscheinen die Dialoge und der schematische, erwartbare Ablauf der Szenen: vom Praktikanten Samuel, der sich beim ersten Zusammentreffen mit CEO Romy mit einer blöden Frage bemerkbar macht, über die Machtspielchen und absehbaren Probleme aufgrund der Vermischung der beruflichen und privaten Interessen, bis zur Schlägerei Samuels mit Romys Ehemann Jacob (Antonia Banderas), ist kein Platz für Überraschungen oder unerwartete (Ein-)Stellungen.
Es gibt nur drei Geschichten, die geradlinig ablaufen: Romy und ihre Family, Romy und ihre Sexphantasien, Romy und ihre Firma. Diese drei Linien werden künstlich zu einem Dreieck verbunden, daraus entwickelt sich aber keine (kunst)sinnige oder sinnliche Dreiecksgeschichte.
„Babygirl“ ist ein Film über Sex, der ohne Erotik, ja sogar ohne Verbalerotik auskommt. Die Verführung ins Bett ist genauso prickelnd wie die Verführung zur Zigarette. Eine Brise „Freud für Dummies“ mit Andeutungen prägender Kindheitserlebnisse, kann den Film nicht retten, sondern nur bestätigen, dass es hier nicht darum geht, Grenzen auszuloten, sondern innerhalb der bestehenden Grenzen alle Klischees des 2020er Jahrzehnts „politisch korrekt“ zu bedienen.
1972, als die Trends der sexuellen Aufklärung auch in Österreich, das damals noch von 90 Prozent Katholiken besiedelt war, langsam Einzug hielten, kam der Film X, Y and ZEE in die Kinos, der eine Dreiecksbeziehung (reicher Ehemann + streitsüchtige Ehefrau + sensible alleinerziehende Mutter) mit Leben füllt, obwohl auch die Figuren dieses Films nur Schablonen sind. Doch diese Figuren werden wie drei transparente Farbkreise ineinander und übereinander verschoben, so dass der Film ohne jegliche Sexszene zu einem schrillen, traurigen und amüsanten Drama wird. Nicht nur dank Eliszabeth Taylor (als Zee Blakely), Michael Caine (als Robert Blakely) und Sunnah York (Stella) in den Hauptrollen, sondern auch aufgrund eines Drehbuchs der irischen Autorin Josephine Edna O’Brien.
Medienecho auf Babygirl: Elle.de über Babygirl: „Eine Sexologin erklärt, wieso junge Männer offener für Sexspiele sind und nicht nur erfolgreiche Frauen sich im Bett dominieren lassen.“ Hier wird zumindest klar gestellt, dass „Babygirl“ keineswegs – wie Kurier.at behauptet - „fesselnd“ war: „Lustvolle Unterwerfung – das ist ein weiteres altes Vorurteil – hat nämlich erst mal nichts mit BDSM (kurz für Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism) zu tun. Auch im Film gibt es keine Fesselspiele, Schläge oder Peitschen.“
Natürlich darf die Feminismus-Frage in dem Artikel nicht fehlen: „Und wie verträgt sich das mit dem modernen weiblichen Selbstverständnis? Mit dem Feminismus? „Der Wunsch, sich im Bett zu unterwerfen, ist eine klassische Frauen-Sexfantasie,“ erklärt die dänische Paartherapeutin und Sexologin Ann-Marlene Henning. „Sogar eine der häufigsten.“ Wahrscheinlich ranken sich deshalb um sie viele falsche Klischees. Romys erotische Sehnsüchte, die Zügel aus der Hand zu geben, hätten beispielsweise nichts mit ihrem beruflichen Erfolg zu tun. Und auch unfeministisch seien ihre Wünsche nicht. „Im Bett dürfen wir frei sein. Im besten Fall ist es eine große Spielwiese“, sagt die Sexologin.“
Diese Freiheitsdefinition – genauer gesagt die Einschränkung des Freiraums auf die Spielwiese im Bett – wird von den wenigen Feministinnen, die ihre Bewegung noch als politische betrachten, sicher zurückgewiesen werden. Da war die Neudefinition von Barbie als Feministin (Barbie, 2023 mit Margot Robbie in der Hauptrolle) noch progressiver und vergleichsweise revolutionär. Immerhin hat Barbie die (politische) Idee des Matriarchats neu belebt und mit Humor und Ironie auch besser kommuniziert, als das sterile Lehrstück mit dem Lehrsatz: auch Frauen müssen ihre sexuellen Phantasien ausleben dürfen.