„Finanzindustrie“ ist der Schlüsselbegriff zum Verständnis des heutigen Finanzsystems und erklärt, warum die EZB-Milliarden die Inflation nicht in die Höhe treiben.
Paul Kaminski / Thurnhofer www.thurnhofer.cc
War die Finanzbranche noch bis Ende des vorigen Jahrhunderts ein Dienstleistungssektor, so hat die finanzindustrielle Produktion von Derivaten, Futures, Optionen, Swaps uvm den Dienstleistungsbereich (Kontoführung, Kreditvermittlung) weitgehend in den Hintergrund gedrängt. Seit Mitte der 1990er Jahre wurden Hedge-Fonds immer beliebter. Symptomatisch für den Durchbruch der Finanzindustrie. Es geht bei Hedge-Fonds nicht mehr um die Frage einer sicheren Veranlagung in Werte der Realwirtschaft (Aktien, Immobilien), sondern um die Frage der systematischen Vermehrung von Geld mit Mitteln der Finanzindustrie. Das weltweite Hedge-Fonds-Volumen ist von 117 Milliarden (1997) auf heute 2.715 Milliarden Dollar angewachsen. Nach einem Einbruch 2007/2008 von 2,1 auf 1,4 Billionen, haben die Staatsfinanzkrisen das Geschäftsmodell der Hedge-Fonds wieder ordentlich angekurbelt. Von 2012 bis 2014 ist das Volumen von 1,8 auf 2,5 Billionen Dollar gestiegen.
„Das Volumen der globalen Finanztransaktionen ist 73,5 Mal höher als das Welt-BIP“, schrieb Stephan Schulmeister 2009 in einem Wifo-Arbeitspapier und weist darauf hin, dass 1990 dieses Verhältnis noch bei 15,3 lag. Es ist schwer aktuellere Zahlen zu finden, doch schon die vorsichtige lineare Fortschreibung der Wachstumskurve lässt die Annahme zu, dass das Volumen der Finanztransaktionen heute 150 Mal höher liegt als das Welt-BIP.
Das vor einem Jahr in Kraft getretene EZB-Programm (60 Milliarden monatlich für den Kauf von Staatsanleihen, kürzlich auf 80 Milliarden erhöht) ist in diesem gigantischen Finanzkarussell kein großes Ding, sondern bestenfalls dazu geeignet, den großen internationalen Playern zu sagen, dass Europa weiter im Spiel bleiben will. Allein die Top 5 Hedge-Fonds haben ein Spielkapital von 350 Mrd Dollar.
Übrigens sind Staatsanleihen Griechenlands vom EZB-Programm explizit ausgenommen. Die größten Profiteure sind – nicht unerwartet – Deutschland mit 127,9 Mrd, gefolgt von Frankreich mit 101,7 Mrd und Italien mit 87,7 Mrd Euro Ankäufen aus dem Public Sector Purchase Programme (PSPP), wie es EZB-intern genannt wird . Österreich liegt bei den kleineren EU-Staaten mit 13,9 Mrd Euro hinter den Niederlanden (28,4 Mrd Euro), Belgien (17,6 Mrd Euro) aber noch vor Portugal (12,4 Mrd Euro). (Stand 31.1.2016)
Draghis angekündigter Investionsschub ist ausgeblieben. Warum eigentlich führt die Explosion des Finanzvolumens bis heute nicht zu einer Hyperinflation? Weil die Finanzindustrie ein geschlossener Kreislauf ist. Man könnte sagen, Draghi hat die PSPP-Milliarden durch die Allmacht seiner Position „erschaffen“. Auf diese Art und Weise fließen der Finanzindustrie täglich Milliarden zu, aber nur ein Bruchteil davon fließt wieder ab in die Realwirtschaft. Deshalb gibt es keine Inflation, und solange Regierungen und ihre Wähler die Parallelwelt der Finanzindustrie, der Irrealwirtschaft, akzeptieren, wird es auch keine Inflation geben.
Ich hab die Hyperinflation nach dem Ende der Sowjetunion live in Moskau miterlebt. Aufgrund dieser Erfahrung und der gängigen Inflations-Theorien habe ich 2007 angenommen, dass Obama zu Ende seiner ersten Legislaturperiode mit einer starken Inflation konfrontiert sein werde. Dieses Szenario ist bekanntlich nicht eingetreten. Mittlerweile bin ich zu dem Schluss gekommen, dass nach 2007 eine neue industrielle Revolution stattgefunden hat, nämlich die finanzindustrielle Revolution. Das heißt: die Interessen der Finanzindustrie diktieren seither das Verhalten der Politiker und damit der Gesellschaft. Das ist keine Verschwörungstheorie, sondern ein Sachverhalt, wie die Abhängigkeit der Menschen von der Gesundheitsindustrie, von der Agrarindustrie, von der Autoindustrie oder von der Telekommunikationsindustrie. Nur mit einem Unterschied: die Finanzindustrie steht heute über allem.
Die Finanzindustrie ist keine evolutionäre Weiterentwicklung der Finanzbranche, die Dienstleister der Gesellschaft war, sondern ein Systemwechsel. Die Revolution hat mit dem völlig unkontrollierten Wachstum der Hedgefonds begonnen. Die aktuelle Schieflage vieler Banken erhöht den Druck auf die Politik, nicht umgekehrt. Die anhaltende Erpressung der demokratisch gewählten Instanzen, die „alternativlos“ ihre Politik der Rettung der Finanzindustrie unterordnen, ist der Sieg der finanzindustriellen Revolution.
(Gekürzte Fassung des Artikels "Die finanzindustrielle Revolution" in a3ECO, 3-4/2016) Weitere Details siehe thurnhofer.cc