Verschweigen, vernebeln oder gegen die eigene Überzeugung reden kann im politischen Kontext manchmal sogar vernünftig und strategisch zielführend sein.“ Alexander Van der Bellen

Thurnhofer.cc https://ethos.at/aktuelles/politik-2/1017-zur-lage-der-nation-2024

Der Nationalfeiertag fällt heuer in eine Phase der Regierungsbildung, und diese sieht der Bundespräsident in einer „Patt-Situation“. Auf der einen Seite ein "Volkskanzler", dessen Partei bei der NR-Wahl mit 29 Prozent der Stimmen als Nummer 1 ins Ziel ging, mit dem aber keine andere Partei eine Koalition bilden will; auf der anderen Seite die „Koalition der Verlierer“ SPÖVP, die wahlweise mit Neos oder Grünen eine „Ampel“ bilden kann und das auch will.

Eine Minute nach Bekanntgabe des vorläufigen Wahlergebnis begannen die Massenmedien die Menschen mit der Wer-kann-mit-wem-Frage zu bombardieren. VdB erteilte vorerst keinen „Auftrag zur Regierungsbildung“ (der laut Verfassung nicht vorgesehen ist). Nach informellen Gesprächen der Parteiführer trat VdB am 22.10.2024 mit einem Statement an die Öffentlichkeit, das ORF2, ORF III, ORF ON und ORF.at live übertragen haben. Der ORF bestätigt damit einmal mehr das ethos-Urteil: ORF = Österreichischer Regierungsfunk.

Wie zu erwarten, hat VdB den neuen Strahlemann der ÖVP mit der „Regierungsbildung“ beauftragt und ergänzt, dass er Gespräche mit der SPÖ wünsche und allenfalls mit einer dritten Partei! Auf bundesprasident.at findet sich die ganze Ansprache des Staatsoberhauptes.

Hier die Gründe, mit denen die FPÖ disqualifiziert wurde, diktiert von ÖVP und SPÖ: „Die Gründe gegen eine Koalition mit der FPÖ unter Herrn Kickl, die mir von den Parteivorsitzenden von ÖVP und SPÖ genannt wurden, waren unter anderem: + Sorgen um die liberale Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Gewaltenteilung. + Mangelnde pro-europäische Haltung und damit Beschädigung des Wirtschaftsstandortes Österreich. + Russlandpolitik und Putin-Nähe. + Massive Sicherheitsbedenken, da ausländische Geheimdienste die Zusammenarbeit mit Österreich bei einer Regierungsbeteiligung Kickls massiv einschränken würden. + Spaltende und herabwürdigende Sprache sowie mangelnder Respekt. + Rückwärtsgewandtes Frauenbild. + Und fehlende Abgrenzung gegen Rechtsextremismus.“

Kickl reagiert auf Twitter: „Heute hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Bevölkerung wissen lassen, dass er mit den bewährten und normalen Prozessen unserer zweiten Republik bricht und nicht den Wahlgewinner und Erstplatzierten der Nationalratswahl – also die FPÖ – mit der Regierungsbildung beauftragt. Das mag für ganz viele von Euch wie ein Schlag ins Gesicht wirken. Aber ich verspreche Euch: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.“ Das werden die FPÖ-Wähler wohl als Versprechen in die nächste Wahl mitnehmen, alle anderen Wähler werden darin eine Drohung sehen.

Auf fpoe.at wurde indessen ein „Fahrplan für Sondierungsgespräche“ publiziert. Dieser enthält allerdings keine Auskunft darüber, mit wem die FPÖ diese Gespräche führen will. Empfehlung an Kickl (Vorsicht Zynismus): Die FPÖ sollte zu den Sondierungsgesprächen die Bierpartei, KPÖ, LMP, GAZA, MFG, Keine und die Ungültig-Wähler (wo immer sie zu finden sind) einladen. Diese haben nämlich zusammen über fünf Prozent der Stimmen errungen. Rund 10-12 Mandate für diese Stimmen hat zur Gänze die FPÖ kassiert.

Empfehlung an den Bundespräsidenten: Lesen’s die Verfassung, insbesondere Artikel 19, 56 und 70 B-VG.

Artikel 19. (1) Die obersten Organe der Vollziehung sind der Bundespräsident, die Bundesminister und Staatssekretäre sowie die Mitglieder der Landesregierungen.

Artikel 56. (1) Die Mitglieder des Nationalrates und die Mitglieder des Bundesrates sind bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden.

Artikel 70. (1) Der Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt.

Auf dieser Grundlage könnte der Bundespräsident die Positionen der Minister und des Kanzlers – so wie jede Führungspostion im Staate – öffentlich ausschreiben. Damit könnte er den „unüblichen Fall“, die „klassische Pattsituation“ in einen echten Paradigmenwechsel überführen: Erstmals in der Geschichte hätten sich die Menschen, die Medien und alle gewählten Politiker Gedanken machen müssen über das Anforderungsprofil an Minister. Man hätte vermutlich in den bestehenden Ministerien und in der Zivilgesellschaft jede Menge an Bewerbern und Bewerberinnen für "die obersten Organe der Vollziehung“ gefunden.

Der Bundespräsident hätte gleichzeitig den Parlamentariern bewusst machen müssen, was der Artikel 1 B-VG bedeutet: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Die eigentliche Macht des Landes liegt bei den Nationalratsabgeordneten als gewählte Repräsentanten des Volkes; nicht bei den Ministern und beim Bundeskanzler! Das ist die Essenz der repräsentativen Demokratie.

Das ganze Ritual der „Regierungsbildung“ um vorab „eine stabile Mehrheiten im Parlament“ zu sichern, um ein „Regierungsprogramm“ zu erstellen, um die Interessen der Parteien bei der Besetzung der Ministerposten zu befriedigen – all diese Sandkastenspielchen könnte der Bundespräsident ein für alle Mal beenden. Nicht nur temporär, wie er es mit der Ernennung der „Expertenregierung“ 2019 gemacht hat, sondern dauerhaft – gemäß Verfassung – als Beitrag zu einer besseren Demokratie, insbesondere als Beitrag zur Durchsetzung der Gewaltenteilung. Mit dieser Lösung müsste sogar Herbert Kickl einverstanden sein. Als Führer der größten Partei hätte er damit die Macht in der Hand, in jeder Sitzung des Parlaments „das letzte Wort“ zu sprechen.

Angesichts mangelnder Visionen des Bundespräsidenten, angesichts der Selbstherrlichkeit der Altparteien und ihrer gängigen Haltung, dass sie die einzigen legitimierten Vertreter der Demokratie seien, wird es zu dieser neuartigen Regierung nicht kommen. Am Ende wird es eine „Ampel“ geben. In diesem Fall werden drei Tests zeigen, ob die kommenden Jahre Veränderungen ermöglichen, oder ob die Elefanten (gemäß ORF-Elefantenrunden) weiter jede demokratische Pflanze zertrampeln, noch bevor diese richtig sprießen konnte.

Ethiktest 1: Umgehende Abschaffung des „Krisensicherheitsgesetzes“. Eines der wenigen Gesetze, bei dem im Juli alle Oppostionsparteien dagegen waren. Diese haben nun eine komfortable Mehrheit, um diesen Unsinn zu stoppen.

Ethiktest 2: Andi Babler bleibt als Partei- und Klubobmann im Parlament und schickt einen Wiener SP-Bonzen als Vizekanzler in die Regierung.

Ethiktest 3: Das Parlament beschließt, den Mitarbeiterstab des Bundespräsidenten zu halbieren, die Zahl der Ministerien reduzieren und Staatssekretäre abzuschaffen. Beispiele für Einsparungspotenzial: Europa- und Verfassungsministerium kann aufgeteilt werden zwischen Außen- und Justizministerium. Beamtenministerium ist obsolet, weil jedes Ministerium mit seinen eigenen Beamten zurecht kommen muss. Kunst & Kultur kann vom Bildungsministerium übernommen werden. Landwirtschaft braucht kein eigenes Ministerium (wie die vergangene Legislaturperiode bewiesen hat, in der es kein einziges Mal öffentlich aufgefallen ist), sondern ist Teil der Wirtschaft.

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Jeff

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