Große Oper oder Seifenoper? Da ich nie ein Opernfan war, fällt mein Urteil positiv aus, wenn ich den Roman „Freiheit“ als Seifenoper einordne. Doch warum bloß nennt Jonathan Franzen sein 700-Seiten-Epos „Freiheit“? Wenn der Titel eines Romans nicht nur Kalkül ist (was kommt beim Leser am besten rüber und am Markt am besten an: ein Wort!), sondern auch Programm für den Inhalt und vielleicht sogar für die Botschaft des Romans, dann stellt sich schon die Frage, warum ist der Titel dieses Buches nicht Unfreiheit, Gerechtigkeit, Ungerechigkeit, Naturschutz, Vogelschützer oder Papageno 2.0?

Nese Banu Argadal - Freiheit oder sowas Ähnliches www.kunstsammler.at

Der Spannungsbogen des Romans hält weitgehend aufgrund einer klassischen Dreiecksgeschichte. Der brave Streber, Muttersöhnchen und Seelentröster Walter teilt sich eine Studentenwohnung mit dem lässigen, meistens erfolglosen Musiker Richard, der keine Gelegenheit auslässt einzulochen, wenn ihm eine Frau zu nahe kommt. Nur bei Patty, deren steile Karriere als Sportlerin nach einer Verletzung abrupt abbricht, ist er vornehm zurückhaltend. Nobel lässt er Walter den Vortritt.

Walter und Patty heiraten und spielen zwei Jahrzehnte das klassische Zwei-Kind-Familiendrama. Weder Tragödie, noch Komödie. Weder Zauberflöte, noch Aida und auch sonst keine große Oper. Alltag – wär übrigens auch ein passender Titel für den Roman gewesen, in neumodischer Schreibweise vieldeutig aufgeladen: All.Tag.

Noch nicht volljährig zieht der frühreife, hochintelligente Sohn aus dem Haus der Eltern, die brave Tochter geht brav aufs College und Walter nimmt einen neuen Job an, während Patty nach Verlust ihrer klassischen Mutterrolle sich neu entdecken muss. Richard, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, kommt da gerade richtig.

Mit seinem neuen Job begibt sich Walter in Teufels Küche. Er soll sich um den Aufbau eines riesigen Vogelschutzgebietes kümmern um den Preis, dass vorher große Teile dieses Gebietes für Kohleabbauf frei gegeben werden. Was ein Kapitalist unter Freiheit versteht, ist somit geklärt. Wie sich ein Kapitalist einen überzeugten Vogelschützer, nämlich Walter, kauft und wie der mit seiner Situation fertig wird, ist natürlich die spannendere Angelegenheit.

Und Franzen erzählt glaubwürdig von den inneren Konflikten Walters, aber auch Pattys. Viele lange Dialoge - ungewöhnlich für einen Bestseller sogar Schachtelsätze - aber nie verschachtelt oder langatmig. Man liest den Roman nicht, um endlich eine (versteckte) Botschaft über Freiheit zu finden, sondern weil es ein Vergnügen und Genuss ist, ihn zu lesen. Dieser Roman ist, wie jede gelungene Seifenoper, ganz großes Kino!

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