"Ich lebe gerne, denn sonst wäre ich tot" - der Titel der Lebenserinnerungen einer (oder der einzigen?) österreichischen Rocklegende ist der schwächste Teil seines Buches. Diese Bemerkung vorweg, um künstlich eine kritische Distanz zu einem Promi herzustellen, den ich schon vor Lektüre seiner Lebenserinnerungen für einen leiwanden Hawara gehalten habe. Der Ostbahn Kurti ist ein Erzähler und kein Schreiber, die Schreibarbeit hat ihm sein Verleger Christian Seiler abgenommen. Das Ergebnis ist ein authentischer Herr Professor Kurt Ostbahn, dessen Stimme in jedem Satz mitklingt.

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Seine Geschichte beginnt am 21. Dezember 1948 in Stinatz, genau genommen zwei Jahre früher mit der Geburt seines älteren Bruders Erich, besser bekannt mit seinem zweiten Vornamen Lukas. Bis in die Schulzeit und Gründung seiner ersten Band war Willi das „Beiwagerl“ von Erich. Der Vater war ehrgeizig, so ist die Familie nach Wien „dorthin gezogen, wo Stinatz am nächsten war: nach Favoriten, in die Nähe des Südbahnhofs, wo der Zug nach Stinatz abfuhr. Der Südbahnhof war damals eine Ruine. Er war notdürftig mit Pfosten und Staffeln begehbar gemacht worden“. (S 30)

Nach dem ersten Kulturschock haben die jungen Buben Halt in der Kirche gefunden. „Dort gab es Rituale, die so ähnlich waren wie die in Stinatz. Aus irgendeinem Grund habe ich da Vertrauen gespürt. In der Kirche am Keplerplatz gab es einen jungen Kaplan namens Adolf Holl. Der war, wie man heute sagen würde, ein cooler Typ.“ (S. 42)

„Die Transsubstantiation - das Wort hab ich natürlich auch von Adolf Holl gelernt – wurde täglich vollzogen. … Aber ich war auch sehr kritisch. Zum Beispiel haben wir immer den ‚englischen Gruß‘ gebetet, der mit England ja gar nichts zu tun hat, und da kommt der Satz vor ‚Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.‘ Jetzt habe ich natürlich schon gewusst, wer das fleischgewordenen Wort war, aber wo es gewohnt haben soll, hat mir nicht eingeleuchtet. Weil unter uns haben die Trakall gewohnt, die haben auch zwei Kinder gehabt, aber die sind nicht wie wir regelmäßig in die Kirche gegangen, sondern nur zu Weihnachten und sonst nie. Das fand ich, wie vieles andere, sehr ungerecht. Denn so viel, wie wir gebetet haben und in die Kirche gegangen sind, hätte das fleischgewordene Wort gerechterweise bei uns im zweiten Stock wohnen müssen und nicht im ersten bei den Trakall.“ (43 f)

Bei allen Turbulenzen des Mitbegründers der Schmetterlinge (die eigentlich Zitronenfalter heißen wollten), sowie der späteren Inkarnation des Ostbahn Kurti, ist dem Erzähler die naive Sicht auf die Ereignisse erhalten geblieben. Auch in dem Jahrzehnt, wo der Kurti den Rocker nicht nur dargestellt, sondern mit kräftiger Alkoholunterstützung auch gelebt hat. Einem anderen Autor, der seine Erfolgsstory erzählen will, müsste man unterstellen, dass er die weniger netten Gschichtln, die übermäßiger Alkoholkonsum zwangsweise nach sich zieht, unterschlagen hat. Doch jeder, der sein Hirn beim Lesen nicht ausschaltet, kann sich diese Szenen selbst dazu denken.

Empfehlung: ein Buch nicht nur für Kurtilogen und Kurtiloginnen, sondern für jeden, der die 1970er, 1980er und 1990er nochmals miterleben will. Und für die Jungen, die nur noch erlebt haben, wie man Bands aus der Retorte produziert, ein Stück Musikgeschichte, das beweist, dass ein Musiker mit Herz und Seele nicht nur am Rande der Musikindustrie Existenzberechtigung hat, sondern die einzige wahre Musikerexistenz ist.

Willi Resetarits

Ich lebe gerne, denn sonst wäre ich tot

Christian Seiler Verlag, 2018

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Aron Sperber

Aron Sperber bewertete diesen Eintrag 22.12.2020 06:59:43

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