In seinem Artikel „Überdosis Moral“ hat der Journalist Jürgen Pock den fundamentalen Nachweis erbracht, dass es grundsätzlich nicht notwendig ist, auch nur ein einziges Buch über Moralphilosophie zu lesen, bevor man einen Rundumschlag gegen „Moral“ publiziert. Nur drei Sätze, die so tief sind, dass es mir als Moralphilosoph nicht gelungen ist, ihrem Sinn auf die Spur zu kommen, geschweige denn ihren Wahrheitsgehalt auszugraben:

thurnhofer.cc www.ethos.at / Frank & Frei, Nr 7

„Moral duldet keinen Dialog, sie ist absolut für jene, die sich ihrer bedienen.“

„Mit irrationaler Inbrunst zu affektiven Begründungen diskreditieren die Hüter von Sitte und Anstand gegensätzliche Meinungen in dem Bewusstsein, das Wahrhafte zu vertreten.“

„Moral ist resistent gegen Fragen, zudem ist sie mittlerweile zur einzigen Ratgeberin im Rechtsstaat avanciert.“

Schreibend dekuvriert er die moderne Wehleidigkeit“, charakterisiert die Zeitschrift „Frank und Frei, Ausgabe 7“ ihren Autor Jürgen Pock. Weder bin ich imstande, diese Charakterisierung zu verstehen, noch die zitierten Pock-Sätze zu kommentieren. Aber sie mögen hier als empirischer Beweis dienen, dass „Moral“, oder das was manche Journalisten darunter verstehen, ein schlechtes Image hat. Das liegt naturgemäß auch daran, dass Moral oft gestrig, abgestanden und moralinsauer ist.

Der fundamentale Fehler im Artikel von Pock liegt nicht darin, ein Phänomen einfach pauschal zu diffamieren. Das kann in polemischer Absicht schon mal erlaubt sein – wenn es wenigstens eine stichhaltige Polemik wäre. Der fundamentale Fehler im Denkansatz von Pock – und nur deshalb ist sein Beitrag wichtig, weil dieser Fehler sehr oft passiert – liegt darin, über „die“ Moral zu sprechen, als wäre „die“ Moral ein weltweit einheitliches Ding (oder Unding). Tatsache ist: Es gibt viele Moralen. Aber: es gibt nur eine Ethik. Daraus folgt die Frage, was ist der Unterschied zwischen Moral und Ethik?

Mit dieser Frage beschäftigen sich hunderte, meist sehr akademisch gehaltene, philosophische Abhandlungen, von denen die meisten nur beweisen, dass sich sogar Moralphilosophen schwer tun, den Unterschied zu erklären. Typisch dafür ist die diffuse Formulierung von Julian Baggini: „Meiner Auffassung nach behandelt Moral die Handlungsweisen, die uns erlaubt oder nicht erlaubt sind, und zwar in erster Linie solche, die andere Menschen betreffen. Ethik ist ein etwas weiter gefasster Begriff, der alles einschließt, was damit zu tun hat, ob das Leben gut oder schlecht verläuft.“ Soweit der Autor des Buches „Die großen Fragen. Ethik“.

Diese Definition von Ethik ist nichts anderes als ein erweiterter Moral-Begriff. Dass Ethik „alles einschließt, was damit zu tun hat, ob das Leben gut oder schlecht verläuft“, ist eine mehr als schwammige Formulierung. Auf viele Moralen folgen damit viele Ethiken, die Verwirrung hat kein Ende sondern einen neuen Anfang.

Überraschender Weise habe ich nun ausgerechnet in dem Computer-Magazin CHIP.de eine grandios einfache Differenzierung in einem Erklär-Video gefunden:

„Das Wort 'Moral' leitet sich aus dem lateinischen 'mos' ab und bedeutet übersetzt soviel wie 'Sitte' oder 'Vorschrift'. Das heißt, eine Moral gibt Menschen einen konkreten Handlungsrahmen für angebrachtes Verhalten vor. … Das Wort 'Ethik' hingegen leitet sich vom griechischen 'Ethos' ab und bedeutet Charakter. Im Gegensatz zur Moral geht es bei der Ethik nicht um einen Verhaltenskodex an sich sondern um die Analyse verschiedener Moralvorstellungen. Sie ist quasi die Wissenschaft der Moral und beschäftigt sich mit Fragen wie 'Ist Stehlen immer falsch?' oder 'Wann ist Lügen akzeptabel?'“

In MORAL 4.0 kann man nachlesen: „Die Grundfrage jeder Moral lautet: „Was soll ich tun (oder unterlassen)?“ Die Grundfrage der Ethik lautet: 'Warum soll man etwas tun (oder unterlassen?)' Damit ist auch für jeden Nicht-Philosophen evident, dass die Ethik 'über' jeder Moral steht – nicht weil sie etwas 'Besseres' ist, sondern weil sie (andere) Fragen stellt, die sich auf einer Metaebene befinden. Vergleichbar mit Physik, die die Frage stellt, welche Naturgesetze gelten und wie sie wirken, während die Metaphysik die Frage stellt, warum es Naturgesetze gibt, ob es sie überhaupt gibt oder ob der Zufall die Welt regiert. Völlig überflüssige Fragen – für die Wissenschaft. Doch hat der Mensch deshalb kein Recht, diese Fragen weiterhin zu stellen? (Dies ist eine ethische Frage!)“

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HelennaJouja

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