Genau genommen müsste der Titel heißen: warum Politiker handlungsunfähig sind. Doch was ist Politik sonst als Handeln? Handeln nach bestem Wissen und Gewissen – wird gemeinhin vorausgesetzt. Oder doch vielmehr nach Glauben und Parteidisziplin? Oder in Wirklichkeit bloß nach Eigen- und Klientel-Interessen?
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Auf welchem Fundament basieren die Entscheidungen der Politiker? Die meisten Menschen haben verlernt zu handeln, weil sie nie gelernt haben, Entscheidungen zu treffen. Das trifft auch auf die meisten Politiker zu. Darin liegt einer der Hauptgründe für die Orientierungslosigkeit unserer Zeit.
Ein Beispiel europaweit völlig paralysierter Politiker hat uns die Flüchtlingswelle im Jahr 2015 geboten. Lang zuvor haben die Politiker versagt, als es darum ging, in den Gremien der EU eine für alle Länder verbindliche Quoten für die aus allen Nähten platzenden Flüchtlingslager in der Türkei zu finden. Ganz nebenbei bemerkt hat Jordanien damals still und leise über eine Million Syrien-Flüchtlinge aufgenommen. Solidarität, Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft wurden somit schon in dieser Phase als europäische Werte zu Grabe getragen, weil die EU-Politiker ihren Wählern zu Hause offenbar die Notwendigkeit einer geordneten Flüchtlingspolitik nicht „verkaufen“ konnten oder wollten.
Das Jahr 2015 zeigt deutlich den Verlust jeglicher Moral und die totale Überlagerung des Moralitätsprinzips durch das Legalitätsprinzip. „Das Recht steht über Allem“, wird heute von Politikern als selbstverständlich voraus gesetzt. Und wer könnte das in Frage stellen? Ich bin überzeugt: Wenn die Konsequenz darin besteht, dass die Politiker zu reinen Bürokraten verkommen, dann ist es höchste Zeit, das Legalitätsprinzip als einzige Maxime des politischen Handelns in Frage zu stellen.
In der ständigen Angst, nicht rechtmäßig vorzugehen, handeln die Politiker überhaupt nicht mehr. Doch Politik heißt nicht primär, Gesetze einzuhalten, sich gesetzeskonform, letztlich nur konform zu verhalten, sondern zu handeln. Und wenn es die Umstände erfordern, dann müssen Politiker einen neuen gesetzlichen Rahmen schaffen um handlungsfähig zu bleiben. Das aber geht nur auf Basis von Werten. Die Verständigung auf Grundwerte ist somit unumgänglich, wenn die Politik wieder handlungsfähig werden will.
Es gibt allerdings keinen europäischen Common Sense über unsere Grundwerte. Deshalb war 2015 auch kein einziger europäischer Politiker fähig das Notwendige zu sagen, und zwar: Wir sind in einer Ausnahmesituation, auf die wir nicht vorbereitet sind. Demnach haben wir dafür auch keine gesetzlichen Regelungen und müssen kurzfristig - und befristet - Notverordnungen erlassen. Diese haben die humanitäre Erste Hilfe zu regeln, nämlich die Erstversorgung in Notquartieren und gleichzeitig die Registrierung aller Einreisenden. Sobald dies geregelt ist müssen wir in kürzest möglichen Fristen klären, wer bleiben darf und wer nicht. Und danach ist zu klären, ob die bestehenden Gesetze ausreichen um die neuen Herausforderungen zu regeln oder ob wir neue Spielregeln brauchen.
O.W. Geberzahn, "The Circle" www.thurnhofer.cc
Diese Klärung ist nur dann möglich, so behaupte ich, wenn es einen Konsens über europäische Grundwerte gibt. Die Diskussion darüber kann beginnen – hier und jetzt auf fuf!