„Verheimlicht. Vertuscht. Vergessen.“ Der Jahresrückblick von Gerhard Wisnewski erschien viele Jahre beim renommierten Knaur-Verlag. Kurz vor Jahresende 2015 kündigte Knaur jedoch den Vertrag mit dem Autor. Sollte „Verheimlicht...“ selbst vertuscht werden? Immerhin hat Knaur den Titel noch im Vorjahr („Was 2014 nicht in der Zeitung stand“) mit über 100.000 Auflage auf Platz 1 der Spiegel Bestsellerliste gepuscht.

Nun erscheint das Jahrbuch im Kopp-Verlag, der u.a. Bücher in den Rubriken „Verbotene Archäologie“, „Phänomene“, „Prophezeiungen“ und „Enthüllungen“ publiziert. Über den Wechsel des Bestseller-Autors informiert der Kopp-Verlag mit der Schlagzeile „Das nächste Opfer der Säuberungswelle: Knaur-Verlag schiebt Bestsellerautor Gerhard Wisnewski ab“. Außer einiger alternativer Blogs hat kein „Leitmedium“ über diesen Vorfall berichtet.

Diese Vorgeschichte ist bedenklich, aber sicher kein Grund, Wisnewski zum Märtyrer zu stempeln. Wisnewski stellt zu vielen Ereignissen, die er beleuchtet, wichtige Fragen, hat aber leider immer vorab eine Antwort parat. Und das ist immer ein und dieselbe Antwort, nämlich Wisnewskis Wirklichkeit:

Kopp-Verlag http://info.kopp-verlag.de

„Der geostrategische Zusammenhang besteht darin, dass alle großen, dem Islam zugeschriebenen Attentate der Agenda des von den USA selbst heraufbeschworenen 'Kampfes der Kulturen' dienen – seien es die Taten von Boko Haram in Nigeria, des IS in Syrien und im Irak oder eben von versprengten 'Islamisten' im Westen.“ (S. 32)

„ISIS wurde nirgendwo anders als in dem US-Gefangenenlager Camp Bucca aus der Taufe gehoben. ISIS-Gründer Haji Bakr rief unter der Obhut der Amerikaner einen regelrechten Terror-Workshop ins Leben.“ (S. 141)

„Niemand anderer als 'Nato-Partner' wie die USA haben die einst sicheren Lebens- und Rückzugsräume der Menschen in Nordafrika zerstört. … Die Wahrheit ist: Der Dritte Weltkrieg hat längst begonnen. Länder wie Afghanistan und der Irak wissen das schon seit 2001 beziehungsweise 2003. Aber nicht nur diese befinden sich im Fokus des US-Imperiums, sondern die ganze Welt. 'Freundschaften' und 'Bündnisse' zählen da gar nichts.“ (S. 268)

Dass die USA, konkret US-Geheimdienste, in vielen, wahrscheinlich in den meisten Krisenherden dieser Welt zündeln oder zumindest ihre Finger im Spiel haben, ist wohl unbestreitbar. Möglich ist sogar, dass es unter tausenden IS-Terroristen tatsächlich einzelne „CIA-Terroristen von Boko Haram und ISIS“ (S. 94) gibt. Dass die USA und der CIA aber die einzige Ursache für alle Terroranschläge und Menschenrechtsverletzungen sind, die diesen Planeten jeden Tag erschüttern, ist ein haarsträubender Unsinn und eine maßlose Unterschätzung tausender, zum Teil politisch legitimierter Verbrecher aus anderen Ländern dieser Welt.

Die USA wollen eine „totalitäre Diktatur errichten, für die Pläne schon in der Schublade liegen“ (S. 109), behauptet Wisnewski, verrät aber nicht, in wessen Schublade diese Pläne liegen. Wenn´s darum geht Beweise zu liefern, zitiert Wisnewski gern sich selbst („siehe auch mein Buch 'Die Wahrheit über das Attentat auf Charlie Hebdo'“, S. 40), oder er beharrt auf dem Wahrheitsgehalt eines dementierten Kissinger-Zitates mit einer entwaffnenden Logik: „aber dann ist es zumindest gut erfunden, denn es klingt ziemlich authentisch“ (S. 222).

Die Flüchtlinge, laut Wisnewski „Massenmigrationswaffen“, ziehen sich wie ein roter Faden durch den Jahrgang 2015:

In Wirklichkeit ist die Migrationswelle in Deutschland und Europa kein Zufall. … Die 'Flüchtlingswelle' hat ihren Ursprung hauptsächlich im 2003 von den USA angezettelten Irak-Krieg sowie im sogenannten 'Arabischen Frühling', einer seit 2010 über Nordafrika hinwegrollenden Welle von Revolutionen, Bürgerkriegen, Putschen und Kriegen, … Mithilfe westlicher Stiftungen und 'Menschenrechtsorganisationen' angefacht, ...“ (S. 82)

„Während Medien und Politiker auf die Tränendrüsen drücken, geht es in Wirklichkeit um etwas ganz anderes. Nämlich darum, zuerst die Herkunfstsgesellschaften der Flüchtlinge und dann die 'Zielgesellschaften' der Migranten zu zerstören.“ (S. 158)

Wem geht es - in Wirklichkeit - darum? Wisnewski bleibt die Antwort schuldig, wer konkret die Drahtzieher der „neuen Weltordnung“ sind. Einmal sind es Staaten oder Organisationen wie USA, UNO, CIA, dann „höhere Mächte“ oder die“ neue Weltelite“. Und die Bilderberger dürfen auch nicht fehlen. Sogar der G7-Gipfel im Juni war nur ein „dreistes Ablenkungsmanöver“ (S. 173) für das Bilderberger-Treffen in Tirol, das eine Woche später stattgefunden hat. Angeblich wurden „Tagungsort, Teilnehmer, Teilnehmerzahl und Themen bis zum Schluss geheim“ gehalten (S. 177). Vielleicht keine „Wirklichkeit“, aber Fakt ist: die Teilnehmerliste des Bilderbergertreffens kann jeder im Internet abrufen.

Der Autor, der sich laut Selbsteinschätzung mit den „verschwiegenen Seiten der Wirklichkeit“ (S. 4) beschäftigt, neigt leider auch dazu, Wirklichkeiten zu erfinden: In Wirklichkeit wurde die Bundesrepublik von der DDR übernommen – nämlich von ihrem dubiosen Personal aus der zweiten und dritten Reihe, das nach wie vor im Verdacht steht, für die Stasi gearbeitet zu haben“ (S. 292), und seit „23. September 1990 besitzt Deutschland in Wirklichkeit gar kein Staatsgebiet mehr.“ (S. 293)

Resümee: Ich halte es grundsätzlich für legitim und notwendig die Sichtweisen der sogenannten Leitmedien und der sogenannten Lügenpresse zu hinterfragen. Wenn aber hinter allen verworrenen Ereignissen und komplexen Zusammenhängen "in Wirklichkeit" nur eine Wahrheit steht, dann ist mir diese Weltsicht zu eindimensional. Meistens sind Wisnewskis Argumente haarsträubend monokausal. Und manchmal sogar hanebüchen. So findet eine behinderte Frau als Model Erfolg und mediale Beachtung und Wisnewski zieht daraus den - für ihn - einzig möglichen Schluss: Nur behinderte Frauen sind 'echte Frauen' … Die Schönheit soll aus der stilprägenden Modewelt verschwinden. Die schönen und gesunden Vorbilder für unsere Jugendlichen sollen weg. … In Wirklichkeit soll das Magersucht-Vorbild nun durch das behinderte Vorbild ersetzt werden.“ (S. 77)

Zweimal hab ich Wisnewskis Jahresrückblicke gelesen. Jede weitere Lektüre seiner Werke wäre - in Wirklichkeit - Zeitverschwendung.

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fischundfleisch

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