Ein Buch, das sich 30 Jahre auf den Bestsellerlisten hält, hat auch einmal verdient gelesen zu werden. Noch dazu, wenn es sich dem Reisenden bereits in jeder Bahnhofsbuchhandlung feil bietet. Den Plot findet der Leser auf der Rückseite des Covers: „Über der englischen Küste wird ein Flugzeug in die Luft gesprengt. Die einzigen Überlebenden eines Terroranschlags sind Gibril Farishta und Saladin Chamcha, zwei indische Schauspieler, die buchstäblich vom Himmel fallen und wie durch ein Wunder unversehrt bleiben. Doch nach dem Absturz gehen seltsame Dinge mit ihnen vor: Der Muslim Gibril zeigt immer mehr Ähnlichkeit mit dem Erzengel Gabriel, während sich Saladin, der stets seine Herkunft verleugnete, zu einem Abbild des Teufels entwickelt. Doch das ist erst der Beginn einer überwältigenden Odyssee zwischen Gut und Böse, zwischen Fantasie und Realität.“

Albert Hoffmann: Endzeit www.kunstsammler.at

Ein Leser, der nachvollziehen kann, dass zwei Schauspieler einen Flugzeugabsturz überleben, kann vielleicht auch den ausufernden, detailverliebten Schilderungen von Salman Rushdie etwas abgewinnen. z.B: „Es war so und auch wieder nicht, daß der Zustand Saladin Chamchas, dessen Gefangenschaft im Körper eines Teufels und in der Dachkammer des Shaandaar Bed and Breakfast nun schon Wochen und Monate dauerte, sich unübersehbar verschlechterte. Seine Hörner (ungeachtet jener einmaligen, kurzlebigen und unbemerkten Verkürzung) waren sowohl dicker als auch länger geworden, drehten sich mittlerweile zu phantastischen Arabesken, wickelten sein Haupt in einen Turban aus nachdunkelndem Knochen. Ihm war ein dichter, langer Bart gewachsen, eine irritierende Entwicklung bei jemandem, dessen rundes Mondgesicht noch nie durch besondere Behaarung aufgefallen war; er war überhaupt am ganzen Köprer haariger geworden, und dort, wo sein Rückgrat endete, war ein schöner Schwanz gewachsen, der mit jedem Tag länger wurde und ihn bereits dazu zwang, auf das Tragen von Hosen zu verzichten; er stopfte das neue Körperteil statt dessen in sackartige Salwarhosen, die Anahita Sufyan aus der großzügig geschneiderten Kollektion ihrer Mutter entwendet hatte.“ (S. 365)

Und so weiter, endlose Assoziationsketten, so als würde ein Drehbuchautor zu jedem nebensächlichen Kurzdialog fünfundzwanzig Regieanweisungen schreiben. Sogar meine katholische Ehrfurcht vor den Schriften großer Literaten hat mich verlassen und gewissenlos hab ich jede zweite Seite überschlagen.

Spannend an diesem Buch ist vor allem seine Wirkungsgeschichte. Dass der Mullah und damalige Staatschef Ayatollah Khomeini den Autor Salman Rushdie am 14. Februar 1989 mittels Fatwa zum Tode verurteilte, wurde sogar in der islamischen Welt außerhalb Irans nicht anerkannt. Doch das Urteil wurde vom Iran nie annulliert, ganz im Gegenteil: in regelmäßigen Abständen hat der Iran das Kopfgeld auf Salman Rushdie erhöht, zuletzt 2016 auf vier Millionen Dollar. (Quelle: NZZ 24.2.2016) Trotz all dem lebt Rushdie mittlerweile wieder ohne Personenschutz, Opfer von Anschlägen wurden hingegen mehrere Übersetzer seines Romans, zwei überlebten, der Japaner Hitoshi Igarashi wurde am 11. Juli 1991 erstochen. (Quelle: Erzbistum Köln)

Der Stein des Anstoßes für die Mullahs und Gotteskrieger ist das zweite, knapp 50 Seiten umfassende Kapitel seines 700-Seiten Romans. Es bezieht sich auf die 53. Sure des Koran, wonach Mohammed zunächst drei von dreihundert der alten Gottheiten, und zwar die Göttinnen Lat, Uzza und Manat, neben Allah anerkannt hat. Quasi als Schwestern des Erzengels Gabriel. Später aber, nach einem Kampf mit dem Erzengel, hat der Verkünder dies als Eingebung Satans widerrufen. Das Kapitel heißt „Mahound“, eine im Mittelalter übliche Verfälschung von Mohammeds Namen, die „der Teufel“ bedeutet. Abgesehen davon, dass Rushdie den Gründer des Islam salopp als den „zum Propheten gewordenen Geschäftsmann“ bezeichnet, ist die Geschichte seiner Versuchung plausibel, und im Unterschied zum Rest des Romans schnörkellos, nachvollziehbar und sachlich erzählt:

„Nach wenigen Augenblicken betritt er das Dichterzelt. Im Zelt reagiert das Publikum auf die Ankunft des unbeliebten Propheten und seiner armseligen Anhänger mit Hohn und Spott. Aber während Mahound nach vorn geht, die Augen fest geschlossen, verstummen die Buhrufe und Pfiffe, und Stille tritt ein. Mahound öffnet die Augen nicht für eine Sekunde, aber seine Schritte sind sicher, und er erreicht die Bühne ohne Stolpern oder Zusammenstöße. Er geht die wenigen Stufen hinauf ins Licht; noch immer sind seine Augen geschlossen. Die versammelten Lyriker, Verfasser von Meuchelmord-Elogen, Verserzählungen und Satiren – Baal ist natürlich auch hier – blicken belustigt, aber auch mit ein wenig Unbehagen auf den schlafwandelnden Mahound. In der Menge kämpfen seine Anhänger um gute Plätze. Die Schreiber drängen sich in seine Nähe, um festzuhalten, was immer er sagen wird.“ (S. 154 f)

Resümee: Wer nicht auf Fantasy steht, kann auf „Die Satanischen Verse“ von Salman Rushdie verzichten. Wer sich um ein tieferes Verständnis der Wurzeln des Islam bemüht, für den ist das Kapitel „Mahound“ aus dem skandalisierten Romann ein Muss!

Siehe auch: Der Koran aus Sicht eines Frevlers

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Leela Bird

Leela Bird bewertete diesen Eintrag 14.02.2018 10:52:36

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