Die Stadt Wien verfolgt all jene, die „illegaler“ Weise einen Fuß auf ihre U-Bahn-Durchgänge setzen, von hintrum – genauer gesagt über die in Hamburg angesiedelte „Full-Service-Inkasso“-Agentur „intrum“. So flatterte dem Autor dieser Zeilen heute eine „Inkassomahnung“ mit der „Forderung“ über einen Betrag von 265,22 Euro ins Haus. Das waren noch Zeiten, würde Tante Jolesch sagen, als man von Beamten der Stadt Wien gemahnt wurde und das Recht auf Einspruch hatte!

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Eine Erklärung der Herkunft dieser „Forderung“ muss mit einer Richtigstellung beginnen: nicht die „Stadt Wien“, sondern ihre 100-Prozent-Tochter, Mitarbeiter der Wiener Linien GmbH haben mich am Sonntag der Nationalratswahl (29.9.2024) zum Erwerb eines Fahrscheins genötigt. Die Eintreibung der nicht beglichene Rechnung passiert nun hintrum.

De jure also eine Angelegenheit zwischen zwei Geschäftspartnern, de facto aber eine Amtshandlung – nur deshalb ist diese an sich nebensächliche Geschichte relevant für einen Moralphilosophen, der sich schon lange mit dem Unterschied zwischen Legalitätsprinzip und Moralitätsprinzip beschäftigt.

Um mit meinen Parteigenossinnen der LMP, Madeleine, Monika und Nora, den erwarteten Triumph zu feiern, bin ich schon früh am Vormittag über den Semmering gefahren; mit dem Auto ganz ungrün, aber mit einem Werbebanner „Liste Madeleinne Petrovic“ am Heck. Im 18. Bezirk hat mich meine Freundin zum Mittagessen eingeladen. Danach wollten wir – vor der Jubelfeier – noch die Albertina im 1. Bezirk besuchen. In der Nähe von Karlskirche und Wienmuseum fand ich einen Parkplatz. Von dort gingen wir zu Fuß über den Resslpark durch den Bahnsteig der U4 um am anderen Ende des Bahnsteigs weiter zur Albertina zu gelangen. Dieser Weg war uns jedoch versperrt von rund zehn nicht behördlich gekleideten Abfangjägern, die sich wie Dobermänner und Doberfrauen benommen haben.

Meine Bitte um Durchlass wurde aggressiv abgelehnt, meine Erklärung, keine U-Bahn oder sonstige Öffis benutzt zu haben, wurde aggressiv ignoriert, so lange, bis ich „freiwillig“ der Aufforderung nachkam, einen Ausweis vorzuweisen. Meine Daten wurden aufgezeichnet und dann wurde mir eine „Ersatzfahrkarte 1 Fahrt WIEN“ zum Preis von 2,60 und zusätzliche Gebühren 112,40, in Summe runde 115 Euro aufgezwungen. Zynische Nachbemerkung: „Mit der können’s jetzt weiterfahren.“ Aus meiner Sicht ein klarer Tatbestand der Nötigung.

§ 105 StGB (Strafgesetzbuch) (1) Wer einen anderen mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.

Eine Nötigung liegt in diesem Fall vor, weil ich gezwungen wurde einen Fahrschein zu kaufen, ohne Beweisaufnahme am mutmaßlichen locus delicti. Der kurze Weg bis zum Auto, das nicht weit von dem U-Bahn-Ausgang geparkt war, wäre leicht möglich gewesen. Angesicht der Anzahl an Abfangjägern hätte der Abflug eines einzelnen den weiteren Einsatz der anderen nicht im Geringsten gefährdet. Ausdruck der erhöhten Aggressivität dieser paramilitärischen Kohorte war auch die Ignoranz der Zeugenaussage meiner Freundin, die den ruhig vorgetragenen Sachverhalt bestätigte.

Zur Verteidigung könnten die Dobermänner und Doberfrauen den Absatz 2 des § 105 StGB anführen: (2) Die Tat ist nicht rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder Drohung als Mittel zu dem angestrebten Zweck nicht den guten Sitten widerstreitet.

Wenn es um gute Sitten geht, dann erlaube ich mir meine Expertise als Moralphilosoph einzubringen. „Anwendung von Gewalt“ ist nicht nur die in Wien immer beliebter werdende Drohung mit einem Messer, sondern auch die physische Hinderung eines unbescholtenen Bürgers, den öffentlichen Raum frei zu benutzen. Dass die vorliegende Anwendung von Gewalt „den guten Sitten widerstreitet“ begründe ich damit, dass es ein demokratisches Grundprinzip ist, eine Partei zu hören und deren Argumente zu berücksichtigen.

Allerdings geht es ja genau genommen nicht um die direkt oder indirekt demokratisch legitimierten Behörden der Stadt Wien, denn Mitarbeiter der Wiener Linien GmbH wurden tätig, um ein „Geschäft“ abzuschließen. Deshalb geht es hier um die Frage, wie weit die Macht eines Monopolbetriebs gehen darf, einen einfachen Bürger zu einem Geschäft zu nötigen, das er nicht im geringsten benötigt.

Dass das Betreten eines Bahnsteigs bereits ein Geschäft darstellt, ist so widersinnig, wie der Zwang, eine Fahrkarte nach Innsbruck zu lösen, wenn ich am Wiener Hauptbahnhof einen Besucher aus Tirol direkt vom Bahnsteig abhole (eine gängige Praxis). Sogar Museen wie die Albertina kann ich ohne Eintrittskarte betreten, wenn ich nicht die Ausstellung besuchen will, sondern nur den Museumsshop.

Kleine Pointe am Rande: Aufgrund meiner ursprünglichen Ablehnung, meinen Ausweis zu zeigen, führte mich der Dobermann ab zur nächstgelegenen Polizeistation. Der diensthabende Polizist hat die Amtshandlung verweigert mit der Begründung, er sei allein im Büro.

Kleine Verschwörungstheorie am Rande: die Dobermänner und die Polizisten haben einen Deal, dass sie die Nötigung zum Erwerb eines Fahrscheins nicht zu „amtlichen Fällen“ machen, da sonst entsprechende Einsprüche möglich sind und Beweisaufnahmen notwendig werden, bevor sich Mahnungen allenfalls in eine Strafzahlung verwandeln.

Ich bin gespannt, wie oft die Wiener Linien hintrum im kommenden Jahr Inkassomahnungserinnerungen senden werden, bis die Debitorenmanager verstehen, was vornrum schon längst klar ist: ein Moralphilosoph zahlt keine „Forderungen“, die moralisch nicht gerechtfertigt sind. Das schließt nicht aus, dass die paramilitärischen, an Rasterfahndung erinnernden Maßnahmen der Wiener Linien legal sind, da sie gewiss nach Richtlinien (Verordnungen, Gesetzen?) der Stadt Wien handeln. Ob diese Richtlinien allerdings den Grundrechten entsprechen, das hat vermutlich noch niemand geprüft.

Ob verfassungskonform oder nicht, jedenfalls hat die Stadt Wien den Begriff „Fahrlässigkeit“ neu interpretiert. Meine Fahrlässigkeit ohne einen Fahrschein zu lösen den U-Bahnbereich zu betreten, oder die Fahrlässigkeit der Behörde, einfache Mitarbeiter eines städtischen Betriebs mit Gewalten auszustatten, die diesen laut Verfassung nicht zustehen, werden die Reaktionen auf diesen kleinen Artikel vielleicht klären.

P.S.Den Begriff „Forderungen“ kann ich nur unter Anführungszeichen setzen, denn in mehr als 35 Jahren als Unternehmer habe ich offene Forderungen immer bezahlt, wenn vorab ein Angebot gelegt und danach eine entsprechende Leistung erbracht wurde. In dem Fall handelt es sich aber um kein rechtmäßig zustande gekommenes Geschäft, sondern – siehe oben.

P.P.S. Egal über welche Wege oder Umwege – derzeit lohnt sich eine Besuch der Albertina, und zwar um die faszinierenden monumentalen Kohlezeichnungen von Roberto Longo zu erleben. Ein Beispiel für Kunst, die man nur im Original erleben kann. Das Foto hier ist kein Ersatz für wahres Kunsterlebnis, das diese Werke bieten. Noch bis 26. Jänner 2025.

Roberto Longo https://www.albertina.at/ausstellungen/robert-longo/

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