Bela Wolf
Eigentlich wollte ich ja heute über die Grünen schreiben, und über die neue Unsitte, Hunde mit Flüchtlingen zu vergleichen oder überhaupt ganz generell über mutmaßlich arme Menschen zu brabbeln, sobald es irgendwo um gequälte Tiere (oder um tierische Fragen) geht. Wo sich Fragen aufwerfen wie die: "Sind Hunde gefährlicher als Aggrobettler?" Wem zum Henker fällt sowas ein? Richtig, den Grünen.
Ach, die armen Menschen, heißt es dann beispielsweise, wo doch eigentlich die Umweltverschmutzung, der Atomkrieg, die Flüchtlingskrise, der Butterpreis und der Rest sowieso von den Hunden stammt, könnte man meinen. Wenn man ein Grüner wäre.
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Dann aber wurde mein Kleiner plötzlich krank. Ziemlich krank. Wenn der Hund vom Tierarzt krank wird, ist das für den dazugehörenden Menschen eine mittlere Katastrophe, jedenfalls für mich ist es so. Augenblicklich fällt ein schwerer schwarzer Vorhang über alles und der Schatten verdeckt jeglichen Sonnenstrahl. Dabei habe ich sonst ein sehr sonniges Gemüt, aber wenn es um die Gesundheit und das Leben meiner Liebsten geht verschieben sich die Relationen und nichts ist mehr wichtig. Ein neues Auto? Teure Uhren, Urlaub? Alles vergessen, alles nichts wert. (Die unwichtigste Partei der Welt verschwindet sowieso als erste im gedanklichen Keller.)
Bitte lass den Kleinen schnell gesund werden, schreit jede Faser von mir.
Manche denken, als Tierarzt hätte man es als Hundebesitzer besser als der Laie, wenn der Hund kränkelt. Weit gefehlt. Ich kann Ihnen garantieren, sobald ich den leisesten Hauch einer körperlichen Unstimmigkeit bei meinem Hund bemerke, fängt mein Gehirn blitzschnell an zu rotieren, Verdachtsdiagnosen zu erstellen, Therapiepläne auszuarbeiten und alle möglichen Horrorszenarien durchzuspielen, die die Veterinärmedizin so zu bieten hat.
Kollegen werden kontaktiert, die besten teuersten schmackhaftesten Medikamente gekauft.
Dass ich die Krankheit überhaupt entdeckte, verdankt der Hund meinen Argusaugen. Akribisch verfolge ich seine Ausscheidungen (Kot, Harn), seine Schleimhäute, Atemzüge und überhaupt sein gesamtes Verhalten.
Neulich sprang der Hund zufällig über die vorderen Autositze ins Auto, dabei verlor er einen einzigen Tropfen Harn auf dem weißen Sitzbezug. Hinten liegen Decken, da wäre mir dieser Tropfen gar nicht aufgefallen. Während der Tropfen feucht war, schimmerte er leicht dunkel. Trocken sah er wieder gelblich aus. Ich dachte nicht weiter darüber nach, speicherte die Information aber im Gehirn.
Zwei Tage später bemerkte ich einen winzigen Tropfen Blut am Unterschenkel meines Hundes, klitzeklein, kurz bevor der Hund sich nach dem Pinkeln die Schenkeln sauber leckte.
Alarmglocken schrillten.
Jeder andere hätte das als bedeutungslos abgetan. Ein winziger hellroter Tropfen, keine Symptome. Weder Harndrang, Schmerzen beim Wasserlassen noch Apathie oder Körpergeruch.
Ich nahm augenblicklich ein sauberes Gefäß und schritt zur Tat. Es war schon finster draußen, der Hund pinkelte mir munter auf die eisigen Finger, während ich die Harnprobe in einer sauberen Teetasse einfing und da war er, der Beweis: der Harn war dunkelgrün und schleimig-fadenziehend. Normal sieht Hundeharn gelb aus, gelb wie die Sonne und ist durchsichtig und klar. Mir wurde schlecht. Das Rad in meinem Kopf begann sich augenblicklich zu drehen. Von Penisverletzung über Prostatatumor, von Niereninsuffizienz bis Leberschaden und Steinen war alles präsent, was man sonst sehr gerne und gut verdrängt. Bestenfalls handelte es sich um eine sehr böse Blasenentzündung.
Die Harnprobe wurd noch am selben Abend ins Labor geschickt, um Harnkristalle abzuklären und ein Antibiogramm zu erstellen.
Ein Kurzcheck ergab viel Blut, aber wenig Entzündungszellen im Harn.
Ich fing mit der Therapie an. Antibiotika einzugeben ist bei meinem Hund eine Herausforderung der Spitzenklasse. Klar könnte ich sie ihm subcutan spritzen. Aber wer mag schon gerne das eigene Tier mit Nadeln traktieren, noch dazu, wo Amoxicillin dickflüssig ist und eine dickere Nadel nötig ist? Ich sicher nicht. Ein Röntgenbild zu schießen ist dann erst recht der totale Supergau mit einem Tier, das sich von niemand angreifen und schon gar nicht festhalten lässt.
Schmackhafte Kautabletten mögen zwar für 99 Prozent der Hunde schmackhaft und reizvoll sein, jedoch meiner ist schon gesund der schlechteste Esser vor dem Herrn, man kann ihn kaum zum Fressen animieren.
Zweimal täglich eine grosse Tablette in den kleinen Wolf hineinzumogeln ist ungefähr so einfach, wie einen Handstand zu machen, wenn man absolut unsportlich ist. Sicher, man könnte die Tablette täglich brutal in seinen Rachen schieben aber Brutalität ist nicht mein Ding.
Mein Hund ist hochsensibel, so wie ich auch. Wir gehen sanft miteinander um. Was muss, das muss gibt es bei uns nicht.
Ich kenne alle Tricks, um den Hund bei Fresslaune zu halten. Wir haben selbstgebackene Kekse gerieben und dazwischen die schmackhaften Tabletten versteckt, wir haben Leberwurst, wir haben Schinken. Wir haben den "Dann frisst es halt ein anderer Hund!"-Schmäh und einige andere lustige Dinge mehr, die ich hier nicht aufzähle, es reicht, wenn ich mich vor meinem Hund lächerlich mache, es muss nicht auch noch öffentlich geschehen. Denn leider mag er Leberwurst und Schinken genauso wenig wie Fleisch,Wurst, Käse oder sonstwas. Essen war noch nie sein Ding, das war immer schon so. Essen, würg, denkt er und schaut mich angewidert an mit seinen unergründlichen wunderschönen wölfischen Bernsteinaugen.
Schatzilein, ich würde die Tabletten gerne für dich schlucken, sogar Kutteln würde ich für dich essen, wenn es dir dann besser ginge. Ich würde mir die Spritze für dich geben lassen, ich würde mir an deiner Stelle Blut abnehmen lassen. Ich würde alles für meinen Hund tun, damit er ihm gut geht und er gesund wird.
Unsere Tage vor Weihnachten beschränken sich daher auf Pfötchenhalten, lustige Verrenkungen machen, um den Hund zum Essen zu bewegen, Harnproben zu vergleichen, sich zu freuen, dass die Farbe von grün wieder zu gelb wechselt, Magenschutz heimlich in gekochten Hühnchen zu verstecken, die Darmflora mit Omnibiotic bei Laune zu halten und ihn draussen im Kalten mit warmen Decken zu nerven.
Nein, Biberbär, du darfst jetzt nicht auf den kalten Steinen liegen. Du musst extra viel trinken, mein Hase. Weil nicht immer eine Infusion nötig ist, um die Nieren zu spülen, wenn man den Hund mit dem Wassernapf verfolgt und ihn ununterbrochen dazu animiert, zu trinken: "Weil sonst trinkt das Eichkatzi/Katzi/Vogi dein Wasser!"
Im Laborbefund waren dann Oxalatkristalle zu finden, neben Staphylococcen und Blut. Nun bleibt genauer abzuklären, ob diese hartnäckigen widerlichen Dinger die Probleme verursacht haben. Wir sind ihnen jedenfalls auf der Spur.
Mag sein, dass es überall auf der Welt größere Probleme gibt als kranke Hunde. Mag sein, dass jetzt viele schreien werden, aber Menschen sterben grad in irgendwo und der Doktor faselt da über seinen Hund und dessen Urinfarbe.
Das mag alles sein.
Für mich ist es aber momentan das einzig wichtige Thema.
Erst wenn der Hund wieder gesund ist bin ich wieder ein Mensch mit alltäglichen Wünschen und Bedürfnissen.
Bis dahin habe ich nur den einen Wunsch: Bitte, liebes Christkind, lass ihn schnell wieder gesund werden. Lass es nur eine hundsordinäre Blasenentzündung gewesen sein. Lass den nächsten Laborbefund steinfrei ausfallen.
Noch nie habe ich mich so über einen sonnengelben Harnstrahl gefreut wie gestern.
Bleiben Sie gesund, vergessen Sie den Kaufrausch, schenken Sie Zeit.
Frohe Festtage wünscht herzlich
Bela Wolf
Tierarzt, Autor, Journalist