Neulich sah ich vor einem Einkaufszentrum meiner Wahl einen Chihuahua zwischen parkenden Autos herumeilen. Weit und breit war kein dazugehörender Mensch zu sehen, nur sehr viele geschäftige, telefonierende oder Einkäufe schleppende Menschen, ein paar schreiende Kinder und hupende parkplatzsuchende wild gestikulierende Autofahrer sowie der obligate rumänische Bettler. Das Hündchen hätte ganz leicht unter die Räder kommen können, ich sah mich schon aus dem Auto springen und es zerquetscht unter Winterreifen hervorholen, da schlurfte eine gelangweilte Dame in Zeitlupe herbei, packte das erschrockene Hündchen, hob es am Genick hoch und schleuderte das arme Tier mit einem Schwung, mit dem ich vielleicht einen Sack Kartoffel befördern würde, aber sicher keinen winzig kleinen Hund, in ihren leeren Einkaufswagen. Zu diesem Zweck ließ sie das arme Tier, das da in ihrer Hand in einer Höhe von dreißig Zentimetern hilflos über dem Einkaufswagen schwebte, einfach in den Wagen fallen. Das Hündchen schrie, als es mit den Minipfötchen auf und zwischen dem Metallgitter aufkam, was die Dame nicht sonderlich bis gar nicht beeindruckte; sie nahm es nicht einmal zur Kenntnis, warf ihre Handtasche dazu und bevor ich noch einschreiten konnte, entschwand sie mitsamt dem zitternden Vierbeiner, der verzweifelt versuchte, sich in den Gitterstäben nicht die Zehen zu brechen oder mit den Krallen hängenzubleiben, im Gewühl. Wäre es so schwer gewesen, da eine kleine Decke, ein Handtuch, ja ein Taschentuch oder Handschuhe hätten schon gereicht, unter das Hündchen zu legen, damit es sich nicht verletzt, und es dann vorsichtig daraufzusetzen?

Manchmal frage ich mich, wozu sich manche Menschen einen Hund anschaffen. Eine Hunderasse wie der Chihuahua wird oft missbraucht für alles Mögliche, nur ein hundegerechtes Leben darf er nicht leben. Aber wenn er sich dann in einer öffentlichen Hundezone befindet, soll er sich schon zurechtfinden wie ein großer Hund. Und mit den Großen klar kommen, denn die, wie wir alle wissen, wollen doch nur spielen. Hunde machen aber keinen Unterschied zwischen Groß und Klein. Sie maßregeln einen Mini genauso wie einen gleich großen oder größeren Kameraden. Weil, Sie wissen schon, „Die machen sich das schon untereinander aus!“, und „Da muss er durch!“ sowie „Die wollen doch nur spielen!“ gibts nur im Flüstererland, aber nicht im wirklichen Leben.

Wer dann anschließend zum Tierarzt fährt ist sicher nicht der Pitbull oder der Husky. Es ist der Chihuaha. Oder Shih Tzu, Zwergspitz, Affenpinscher, Löwchen und Mini Malteser.

Weil die Besitzer dieser kleinen Hundekostbarkeiten oft genug nicht achtsam im Umgang mit ihren Minivierbeinern sind.

Sie haben sich für die Minimundus-Ausgabe eines Hundes entschieden? Nun müssen Sie auch so agieren.

Chihuahua kommen nicht selten mit einer offenen Fontanelle im Schädeldach zur Welt, einer Öffnung am Kopf, die sich kurz nach der Geburt schließt, aber eben leider nicht immer. Diese rassespezifische Besonderheit, die früher sogar erwünscht war, macht den Miniwauwau besonders anfällig für Kopfverletzungen. Streichelt man den Hundekopf zu heftig, fällt ihm etwas auf den Kopf oder zwickt man den Kopf nur ganz leicht ein, endet das tödlich. Dazu zählt leider auch eine derbere Spielattacke, ein Pfotenhauer oder ein Biss.

Kein schöner Gedanke, zumal diese Hunde recht teuer in der Anschaffung sind. Das liegt daran, dass pro Wurf nur zwei, drei oder meist überhaupt nur nur ein Welpe geboren werden, und die Geburt fast nicht ohne Kaiserschnitt möglich ist. Die riesigen Glubschaugen schreien geradezu nach lebenslänglichen Augenproblemen, auch die Patella, also die Kniescheibe, macht sich oft unliebsam bemerkbar. Die Patellaluxation ist die häufigste Krankheitsursache dieser Hunde und kann vererbt sein, tritt aber auch bei jungen und alten Tieren auf. Meist denken die Besitzer, der Hund hüpft so lustig wie ein Clown, dabei verschiebt sich gerade dessen Kniescheibe schmerzhaft, was den Hund zu dieser Gangart zwingt. (Und irgendwann eine Operation erfordert.)

Auch bei Impfungen gibt es fast immer Probleme mit den Kleinsten, weil eigentlich die halbe Impfdosis ausreicht, aber meist die ganze verabreicht wird. (Weil es so im Beipacktext steht und von der Pharmaindustrie empfohlen wird, obwohl es dazu keine Studien gibt.) So kommt es gerade bei Minihunden zu Impfreaktionen, die vom geschwollenen Gesicht bis zum anaphylaktischen Schock reichen. Die Zeckenimpfung (Borreliose-Impfung) wird besonders schlecht vertragen.

Dazu kommt, dass nicht alle Tierärzte extra dünne Nadeln für extra kleine Tiere verwenden, und sich dann wundern, warum der Hund den Tierarzt bei der nächsten Impfung beissen will.

Auch beim Thema "Chip" setzen schneidet ein Miniwelpe schlechter ab, die Haut ist besonders zart und dünn, der Hals "mini" und man wartet mit der Implantation des Chip besser etwas ab, bis eine größere Hautfalte da ist, als eine Verletzung im Hals/Nackenbereich zu riskieren. Die zwölfte Lebenswoche oder noch später reicht auch, es muss nicht die fünfte sein.

Was z.B. die "Bravecto"-Tablette gegen Zecken betrifft, darf sie nicht für die Anwendung bei Hunden mit einem Gewicht unter 2 kg angewendet werden, da entsprechende Daten dazu nicht vorliegen.

Minis sind in Bodennähe mehr als andere Hunde den Abgasen der Autos ausgesetzt, und sie erkälten sich auch eher, weil ihre kleinen Körper dem Boden sehr nahe sind. Man sollte sie daher auf keinen Fall im Winter bei Schnee und Eis vor einem Supermarkt angebunden warten lassen. Auch weil sie gerne dort gestohlen und teuer weiterverkauft werden.

Diese Hunde haben sehr wenig Unterwolle und frieren leicht, brauchen daher ein Mäntelchen im Winter, was wiederum die Hundebedarfs-Industrie zu Höchstformen der Hundeverunstaltung antreibt, vom military-look bis zum Prinzessinnen-outfit ist alles drin, was den Kleinsthund vor anderen Hunden blamiert. Ein Mäntelchen aus atmungsaktiver Baumwolle würde reichen, um vor Kälte zu schützen. Beachten muss man dabei, dass der Hund , wenn er ein Mäntelchen im Herbst trägt, immer ein Mäntelchen im Winter tragen sollte, nicht nur am Sonntag, da er sich sonst verkühlt, wenn er einmal mit und das andere mal wieder ohne gehen muss. Das Mäntelchen sollte nicht aus Plastik oder aus China-Viskose vom Diskonter sein, da es sonst unangenehme elektrische Ladungen zwischen Hundehaaren und Mantel hervorruft und muss auch nicht wie ein Anorak über die Beine gezogen werden, es genügt, wenn Rücken und Bauch bedeckt sind. Chihuahua brauchen auch keine Schühchen gegen Schnee und Salz, da man sie einfach an gestreuten Wegen hochhebt und vorbei trägt. Sitzen sie in Tragtaschen, benötigen sie ebenfalls kein Mäntelchen, da sie sonst einen Hitzestau bekommen, der bis zum Kollaps führen kann. Auch mit Polyesterweihnachtsmannkostümen macht man ihnen garantiert keine Freude.

Man darf nicht vergessen: Es handelt sich immer noch um einen Hund. Wenn auch um einen sehr, sehr kleinen.

Und vielen ist es immer noch nicht klein genug. Man züchtet immer wieder neue Rekorde, die die Standardgröße und das Gewicht von 0,5 bis 2 Kilo Lebendmasse noch unterschreiten sollen. Man stelle sich das vor, ein Hund, der so groß ist wie ein Handy, wer bitte findet so was schön? Abgesehen von den Totgeburten dieser Extremzuchten, die jeglichem Tierschutzgedanken widersprechen.

Seit ich während des Studiums einen Chihuahua während seines Klinikaufenthalts in einem leeren Aquarium sitzen sah, weil jeder noch so kleine Hundekäfig zu groß war, der mit einem Jugulariskatheter an eine Infusion angeschlossen, weil eine andere Form der Intravenösen Injektion dank der undankbaren Venengröße gar nicht möglich war, bin ich alles andere als ein Befürworter dieser Minihunde. Ich hätte zu viel Angst, sie zu zerstören.

Ich sah schon ihre zerquetschten Pfötchen, ihre zersplitterten Knöchlein und ihre gebrochenen Rippen, denn diese Hunde gehen enorm schnell kaputt, vor allem in Kinderhänden. Aber wie man sieht, schrecken auch erwachsene Menschen nicht vor rohem Umgang zurück, obwohl es die eigentlich besser wissen müssten, dass es sich beim einem Knochen, der so dünn wie ein Bleistift ist, nicht um eine robuste Masse handeln kann. Brechen Sie mal einen Bleistift. Das schaffen Sie locker mit zwei Fingern. Genauso schnell, wenn nicht schneller, geht so ein Minihundknochen kaputt. Und glauben Sie mir, die Wiederherstellung ist sehr teuer, denn das ist chirurgische Bastelarbeit.

Der Trend zu den Minis kommt aus Amerika, wo uns It-girls und Damen mit Silikon in Gesäß und Gesicht vormachen, wie trendy es ist, Miniaturlebewesen in Designerhandtaschen durch die Gegend zu schaukeln, was oft als sehr süß und charmant empfunden wird, außer von den betroffenen Hunden selbst. Denen die Nägel lackiert werden, wenn sie Pech haben. Oder die zum Hundeyoga müssen. Wenn sie Glück haben, werden sie nicht rosa eingefärbt und versterben daran. Schaudern macht mich auch die Tatsache, dass sich Hundeflüsterer und Gurus an den Kleinsten der Kleinen brutal vergreifen.

Es hat sich also nicht viel geändert, seit Aztekenpriester die Kleinen als Sakralspeise verzehrten oder sie mit ihren Besitzern mitverbrannten...

Was schade und traurig ist, denn die Minihunde wollen eigentlich nichts anderes, als die Normalos und die Riesenrassen.

Einfach Hund sein, mit allem drum und dran.

Mal ein zwergenhaftes Riesensteak einwerfen und sich im Dreck wälzen, mit den anderen Minis spielen und gelegentlich verlockende Hosenbeine verbellen.

Wenn man sie denn liesse...

Herzlichst Bela Wolf,

Tierarzt, Autor und Tiergesundheitsjournalist

https://tierarztwolfblog.wordpress.com

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