Über Listenhunde, die Macht der Medien und sinnlose Vergleiche

Bela F. Wolf

Seit der Listenhund Chico seine beiden Besitzer totgebissen hat und gleich darauf ein Säugling an einem Hundebiss verstarb hört die Debatte über die bösen Hunde scheinbar nie wieder auf. Es hören auch die Vergleiche nicht mehr auf. Chico wird nun „zeitnah eingeschläfert“.

Und man hört immer wieder die gleichen unsinnigen Dinge, in Artikeln diverser Schmierblätter genauso wie in angesehenen Tageszeitungen. „Alle Hunde sind völlig unberechenbare Bestien!“, wird geschrien und Dinge wie „Stirbt ein Mensch, muss der Killerhund sofort exekutiert werden!“, hieß es gestern erst wieder.

Das Thema ist heiß, da muss man drüber berichten auch wenn man keine Ahnung hat, oder wenn man eine dahergelaufene Hundetrainerin aus Unbekannt ist, denn das bringt Quote und Werbung und vor allem muss man auch als Nichthundehalter dazu unentwegt kommentieren.

Da wäre zum Bespiel der Mann, der sofort wusste, dass der „Killer“ aus Hannover ein „Kinderschänder und Mörder ist und sofort eliminiert gehört!“. Hat man je dümmeres gelesen? Ein Hund ist also ein Sexualverbrecher, der ein Kind vergewaltigt hat. Soso.

Und weiter geht’s mit der scheinbar fehlenden Rangordnung, dem ebenfalls fehlenden Alphatier Mensch und natürlich mit der sicher unterlassenen Unterordnung. Sowas darf nicht fehlen im Text. Natürlich alles Dinge, die dazu geführt haben, dass diese beiden Hunde gemeingefährliche und völlig unberechenbare Zombies wurden!

Nicht fehlen darf auch keinesfalls, dass man natürlich Rücksicht nehmen muss auf die Toten. Dass der eine Hund wahrscheinlich krank war oder sonstwas. Ich warte nur darauf, dass endlich die Diagnose psychisch krank fällt, denn menschliche Amokläufer, bestialische Vergewaltiger und Kindermörder sind ja auch immer mutmaßlich psychisch krank, hatten wenigstens eine schwere Kindheit oder sonst mindestens ein Trauma wenn nicht gar zwei. Irgendeinen Grund muss man schließlich finden, für das Böse im Menschen.

Wir wissen (zum Glück) alle miteinander nicht, was geschah, weshalb der Hund Chico zwei Menschen, die ihn jahrelang gefangen hielten, plötzlich umbrachte. Wurde er wieder mal angegriffen und musste um sein Leben bangen? Ich schließe das nicht aus. Ich kenne unzählige Fälle von Tiermisshandlungen, unzählige Male, wo Hunde schwer verletzt, vergewaltigt oder verprügelt wurden und sich nie wehrten, bis, ja bis es dem Opfer zu viel wurde.

Die, die den Hergang erzählen könnten, sind tot. Und der Hund kann leider nicht reden, sonst hätte er sicher viel Übles zu berichten, von Beißkorb und Schlägen und dem Dahinsiechen in einem kleinen Metallkäfig, über sein Leben auf einem winzigen Balkon, Winter wie Sommer und auch, dass er nie einen Tierarzt gesehen hat, nur irgendeine unqualifizierte Hundetrainerin, die schon damals wusste, dass der Hund „böse“ sei und die jetzt endlich auch im Fernsehen live darüber plappern darf. Mich wundert, dass man nicht daran dachte, Herrn Millan einfliegen zu lassen. Der ist doch sonst immer der Held, der solche „üblen Fälle“, diverse Red Zone-Killer und andere Monstergeschöpfe vor dem sicheren Tod durch Einschläfern rettet, oder haben die das ausnahmsweise verschlafen?

Der andere Fall, wo ein kleines Kind durch einen Hund getötet wurde, wirft noch mehr Fragen auf. Traurig, sehr traurig für die Eltern. Aber wieso zum Henker lässt man ein kleines Kind alleine mit einem Hund? Wie kann so etwas passieren, wo waren die Aufsichtspersonen des Kindes? Ich kann es nicht verstehen.

Ich kann wirklich nicht verstehen, wie Eltern unentwegt ihre Aufsichtspflicht vernachlässigen.

Gestern erst sah ich wie zwei kleine Kinder munter aus der Türe einer McDonald‘s Filiale quer über eine stark befahrene Fahrbahn und wieder retour rannten, niemandem fiel das weiter auf, am wenigsten den Eltern. Ich sehe Elternteile auf ihr Handy starren, anstatt in den Kinderwagen, den sie lustlos und rauchend vor sich herschieben. Es ist Frühling! Keiner merkts.

Eltern sehen entzückt dabei zu, gerne auch noch das üble Szenario mitfilmend, wie ihre Sprösslinge den Haushund terrorisieren und belagern, ihm den Knochen aus dem Maul nehmen, aus seinem Napf essen, in seinem Napf sitzen, ihn an den Ohren ziehen, ihn unentwegt am Halsband hinter sich herzerren, gegen die Wand werfen oder auf ihm reiten. Ach wie zuckersüß, die Kleinen, sagen die Eltern dann und lächeln. Das arme Vieh erträgt das alles jahrelang geduldig. Manche teilen diese Bilder anschließend auf Facebook, da regnet es dann Herzchen oder winkende Rehe, die ebenfalls Herzchen in die Luft werfen.

Nur wenig verwunderlich, dass es dem Hund irgendwann mal reicht. Nicht jeder lässt täglich alles Schmerzhafte stoisch über sich ergehen. Und dann hat er eben zugebissen, der böse Hund! Dann muss er sofort weg, nachdem er vorher fast totgeprügelt wurde. Bestenfalls ab ins Heim, schlimmstenfalls ertränkt oder ausgesetzt. Wieder so ein Fall für die Presse, wieder so ein blutrünstiges, aggressives und total unerziehbares Killermonster auf der Welt.

Ich sehe Hundehalter, die ihre Hunde achtlos ohne Leine rennen lassen, quer über befahrene Straßen, kommt ein Auto und hupt, bekommt der Fahrer gerne den Stinkefinger gezeigt. Gerne rennen diese Hunde auch leinenlos und unkontrolliert auf Kleinkinder oder Kinderwägen zu, weil "Unserer macht eh nix!", Sie wissen schon. Auch Hundehalter verletzen gerne ihre Aufsichtspflicht. Alles schon mehrmals erlebt. Uneinsichtige rücksichtlose Menschen, haufenweise, täglich. Alle überfordert, gestresst und psychisch irgendwie angeschlagen.

Kind, Hund, Arbeit und was weiß ich noch für Ausreden; der Zigarettenkonsum steigt, der Alkoholkonsum steigt auch und Psychiater sind ausgelastet wie noch nie zuvor.

Haarsträubend dumme Vergleiche, wohin man schaut: Schreibt man von misshandelten Hunden, kommen sicher die Vergleiche mit den armen Flüchtlingen. Schreibt man über gequälte Schweine, kommt der Vergleich mit Kühen. Aber die Affen! Aber die Nashörner! Aber die Todesstrafe, die Prostituierten, Kim und Donald, aber Atomreaktoren, Hitler, der Klimawandel, Gluten, Arsen und dunkelbraune Fritten!

Berichtet man über das grausige Dog Meat Festival in China, wo man abertausende Hunde bestialisch tonnenweise abschlachtet und frisst, kommt garantiert mindestens ein Rudel Veganer daher und schreit: Aber die Ferkelkastration! Aber der Echtpelz in Österreich! Und noch die nicht artgerecht gefärbten Wollsocken aus Indien!

Geht es um Stierkämpfe kommen die Singvögel ins Spiel, dann die Pestizide dazu und vielleicht auch noch die Lederschuhe dazwischen. Geht es um Kauknochen, kommen die Barfer mit dem Wolf; geht es um Kinder, kommen die Hundeleute mit dem Welpenschutz, handelt ein Blog von krummen Gurken, kreischt man über die vernachlässigten ovalen Tomaten und giftigen Weizen, der ohnehin längst durch toxischen Zucker von Platz eins der Todbringer verdrängt wurde.

Redet man von Trockenfutter, bricht sicher sofort eine Anti-Impfdebatte los, geht’s um Obdachlose kommen die Flüchtlingskinder ins Spiel.

Sie lesen über die Kastration von Katzen? Aber das Aussterben der Singvögel durch Katzen! Aber die Würmer, die Flöhe, der Rotlauf, die Hexen, die gepflückten verstorbenen Kräuter und die Allergie!

Kraut und Rüben, Fisch und Fleisch!

Bitte!

Mal die Kirche im Dorf lassen, ginge das?

Man kann doch ein Tier nicht zum Verbrecher abstempeln, weil es einen Menschen gebissen hat. Ein Hund ist ein Hund, ein Mensch ein Mensch. Ein Hund kann nicht reden und sagen: Du tust mir weh! Er kann nicht zum Schlüssel greifen und einfach gehen, wenn er es nicht mehr aushält. Er kann nicht zur Waffe greifen und einen Mord planen. Ein Tier kann niemals ein Verbrecher sein, nur der Mensch handelt vorsätzlich.

Man kann doch nicht sagen, tötet das Vieh, weg mit der Bestie. Warum aber Schwerverbrechern und Kinderschändern, die nachweislich nie wieder normal werden, eine lebenslängliche Therapie schenken?

Denen schon?

Gnade für Mensch, weil die was Besseres sind?

Sind sie?

Ich denke nicht.

Nur Menschen sind die echten Bestien. Sie machen Tiere gefährlich, aggressiv und krank durch ihre menschliche Brutalität, ihre penetrante allgegenwärtige Dummheit und ihre gnadenlose Ignoranz, ihre ewigen Vergleiche und ihr unentwegtes Pochen auf ein selbstgestricktes Menschrecht.

Menschen dürfen das. Weil sie als Menschen geboren wurden, aus keinem anderen Grund.

Hunde haben zu parieren und zu funktionieren, sonst gehören sie eben weg, so lautet die Devise. Gegebenenfalls auch in den Hundehimmel durch Menschenhand. Und die doofen Tierschützer, die da so ein Getue machen wegen einem Mörderhund, die sollten doch lieber an irgendwas anderes denken, an die Weinernte vielleicht, die heuer schlecht ausfallen wird wegen der langen Kälte oder an den Dieselskandal, an Germanys next Topmodel, Backen ohne raffinierten Zucker, Kuhmilch und Weizenmehl oder an den Chirurgen, bei dem Donatella Versace ihr Gesicht verloren hat.

Rip Chico. Die Welt ist böse, nicht du. Ich hoffe, sie sind wenigstens nett zu dir gewesen, die paar Tage, bevor du „zeitnah eingeschläfert“ wurdest.

Viele Menschen haben an dich gedacht. Ich auch.

Herzlichst, Bela Wolf

Tierarzt, Journalist und Autor

www.tierarzt-wien.com

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