Die bittere Wahrheit

Da haben wir alle aber ganz schön blöd aus der Wäsche geschaut. Wer hätte aber auch damit rechnen können, dass ausgerechnet ein so verstaubt wirkender Politiker wie der steirische Landeshauptmann Franz Voves vor laufender Kamera auspackt und genau das tut, was man Politikern für gewöhnlich abspricht – nämlich die ungeschönte Wahrheit zu sagen.

Ungewöhnlich ehrlich äußerte er sich im Puls4-Interview mit Corinna Milborn und sprach davon, dass „die Politik von multinationalen Konzernen overruled“ wird, „das System gegen die Wand fährt“ und es „einen Krieg auf der Welt“ geben wird, wenn wir nicht schleunigst eine Kehrtwende einleiten.

Das sind ja plötzlich ganz neue Töne. So etwas sind wir ja gar nicht gewohnt. Seit dem ominösen Jahr 2009 wird uns eingeredet, dass diese so genannte Wirtschaftskrise doch gleich wieder vorbei sei. Nur ein kleines Gesundschrumpfen und gleich kann’s wieder weiter gehen mit der hemmungslosen Shopperei. Doch von Tauwetter keine Spur: Die Arbeitslosenrate ist auf einem Rekordhoch und war nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit höher, die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander, die Politikverdrossenheit wächst mit dem Reformstau und die Krisenherde auf der Welt spitzen sich zu. Aber hey, psssscht, alles mit der Ruhe – wird schon wieder!

Der Filmemacher Erwin Wagenhofer („We feed the World“, „Alphabet“) hat einmal zu mir in einem Interview folgendes gesagt: „Natürlich wollte der Mensch immer über sich hinauswachsen, das liegt unserer gesamten Evolution zugrunde. Doch was nutzt es ihm, wenn er irgendwann drei Meter groß ist? Wir standen bereits in den 1980er-Jahren vor einem Scheideweg. Damals war der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg quasi abgeschlossen, und es wäre möglich gewesen, den Fokus statt auf Quantität nun auf Qualität zu legen. Doch heute wissen wir ja, wohin die Reise ging.“

Diese Aussage beschäftigt mich bis heute und nachdem ich das Interview mit Franz Voves gesehen habe, musste ich mich wieder besonders stark daran erinnern. Ja, der Turbokapitalismus ist uns um die Ohren geflogen. Der Tempel des goldenen Kalbes hat bereits grobe Risse, doch noch geht es uns offensichtlich zu gut, noch dringt nur ein leichtes Prasseln von dem Sturm ein, der da draußen tobt. Die gefühlten fünfhundert linksgedrehten Wohlfühljoghurts im Tiefkühlregal und die nicht mehr enden wollenden Zeilen an Fetzenläden, die uns in einem Abstand von zwei Wochen von Kindern zusammengenähte Billigware anbieten, damit wir schnell und günstig dem letzten Trend hinterher jagen können, verwässern unsere Sicht.

Während Menschen mit Champagnerglas in der Hand im güldenen Kleidchen dieses Wochenende am Lifeball bis zur Ekstase tanzten und sich nur darüber Sorgen machten mussten, ob ihr Wohlstandsbäuchlein auch schön kaschiert ist, müssen vor Krieg und Elend Geflüchtete in einem erbärmlichen Zelt auf einem Fußballplatz Unterschlupf suchen. Und das in einem der reichsten Länder der Welt. Aber zum Glück wird nächste Woche die Eisheilige Sophie über ihnen wachen: Regen und Kälte sind angesagt. Wie schön, so lernen diese ohnehin Gestrauchelten auch gleich einmal das raue österreichische Wetter kennen. Sie sollen sich ja nur nicht zu wohl und heimelig fühlen hier, in unseren schönen, weißen Zeltern. Sonst wollen sie auch noch einen Zipf von unserem schönen, glänzenden Rock – und wie wir letztes Wochenende gesehen haben, ist da davon eher nur noch sehr wenig Stoff übrig.

Wie weit ist es mit unserem Land schon gekommen, frage ich mich öfters. Immerhin so weit, dass uns sogar Politiker die Augen öffnen und nicht nur auswischen wollen. Das sollte uns wirklich zu denken geben.

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