Sind wir alle Spießer?

Neulich las ich auf Facebook folgendes Posting:

Wann genau ist aus „Sex, Drugs & Rock n Roll“ eigentlich „Laktoseintoleranz, Veganismus & Helene Fischer“ geworden?

Da musste ich erst einmal herzlich lachen. Doch dann hielt ich inne. Denn irgendwie steckt da doch sehr viel Wahrheit in dieser Erheiterungs-Gesichtsbuchmessage.

Auch ich habe mir schon öfter gedacht: Wo sind eigentlich die ganzen Rebellen geblieben? Wie kann es sein, dass noch vor wenigen Jahrzehnten die freie Liebe und der Feminismus ausgerufen wurden – heute aber wieder Monogamie inklusive Ja-Wort in weißen Plüschungetümen vor kirchlichen Altären beschworen wird. Erst kürzlich wurde eine Umfrage der Singlebörse Parship präsentiert, die wiederum bestätigt, dass die sich die Generation unter 40 nach einem Neo-Biedermeier sehnt: Häuslichkeit und Familie haben oberste Priorität. Und natürlich sind es die Frauen, die am ehesten bereit sind, dafür ihre Karriere zu opfern.

Doch wir sind nicht nur in Punkto Lebenskonzept einfältig. Die Ideenlosigkeit zieht sich über alle Lebensbereiche. Noch vor zwei, drei Generationen hoben sich „Teenager“ und „Twens“ alleine durch ihre Kleidung deutlich von „diesen Erwachsenen“ ab und begründeten jeweils einen eigenen Modestil, der ganze Epochen definierte. Bei einer 70er oder 80er Themenparty wissen alle ganz genau, dass wir uns in die Glockenhose oder das Sakko mit den Schulterpolstern schmeißen müssen. Doch wie schaut das dann schon bei einer 90er oder 00er Party aus? Eben.

Heute ist irgendwie alles und gar nichts Mode.

Wir kauen Trends wieder wie Kühe ihr Fressen. Und so sieht es dann halt auch aus: Vier Mal wieder hervorgewürgt und wild durchgemixt. Gerade sind Vollbärte der letzte Schrei. Aber die waren schon bei den Wikinger in (die hatten aber immerhin die Ausrede, das Dreifach-Rasierklingen noch nicht erfunden worden sind).

Ähnlich verhält es sich mit der Musik: Sogar mein kleiner Cousin geht mit einem Nirvana T-Shirt in die Schule (die Bob Marley-Phase hat er schon abgeschlossen). Dabei war doch sogar ich noch in der Volksschule, als Kurt Cobain seinem Leben in einer schäbigen Garage und damit auch dem Grunge ein Ende setzte.

Ein US-Forscher, der sich mit Fernsehserien beschäftigt (ein Traumjob, nicht wahr?) meinte in einem Interview einmal zu mir, dass Serien heute die Kultur am meisten vorantreiben und die meisten Tabubrüche am Bildschirm passieren. Tony Soprano und Walter White sind also für uns heute das, was Elvis Presley und die Beatles früher waren. So sehr ich „Breaking Bad“ und „Die Sopranos“ schätze: Wenn diese brüchigen Charaktere, die mit einem Bein im Kriminal stehen, unsere Generationen-Rammböcke sein sollen, dann schaut es wirklich traurig aus.

Aber die Trostlosigkeit hat Programm. Ein befreundeter Filmproduzent, der an einer Filmschule unterrichtet, der genervt war von den braven Filmchen, die seine Schüler abgaben, fragte einmal seine Klasse, warum sie denn nicht mehr anecken würden: „Fragt euch mal: Was treibt eure Generation an? Was ist das große Lebensgefühl, das ihr alle in diesem Alter teilt?“ Da zeigte ein Schüler auf und meinte: „Ich glaube, uns vereint, dass wir sind alle depressiv.“

Doch warum ist die Grundstimmung unserer Generation zu erdrückend? Warum passiert da nicht einmal mehr ein Fünkchen des Aufbäumens?

Natürlich konnten sich unsere Großeltern noch leichter an Kirche und Gesellschaft die Hörner abstoßen – doch sie hatten damals dafür kaum die Möglichkeiten, die sich uns heute bieten.

Gut, wir sind die Generation Praktikum, die irgendwann zur Generation Projekt heran wächst und trotz bester Ausbildung nur noch mickrig bezahlte Jobs abstaubt.

Doch wäre nicht gerade das genau ein Grund, sich gegen die bestehenden Verhältnisse aufzubäumen?

Unsere Großelterngeneration hat uns sehr wohl den Weg geebnet (wir erinnern uns: Noch nicht vor allzu langer Zeit konnten Frauen nicht wählen und brauchten für sämtliche Behördenwege die Unterschrift des Ehemannes) – doch verteidigen wir dieses Erbe auch gut? Aber wie sollen wir darum kämpfen? Gegen wen sollen richten wir unseren Zorn? Die Politik? Die Konzerne? Den Klimawandel?

Ich habe auf diese Frage selbst keine Antwort, schließlich gehöre ich auch der Generation Fragezeichen an. Ich hole mir jetzt einen Kaffee mit Soyamilch, setzte mich auf meinen Balkon und gieße meine seltenen Tomatensorten. Vielleicht kommt ja dabei die Erkenntnis.

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Silvia Jelincic

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