Aufrechte Demokraten erkennt man daran, dass allein sie definieren, was und wer demokratisch ist und was und wer nicht. Demokratisch sind natürlich nur sie selbst und diese höchste Form der Demokratie ist mit der selbstverliehenen Lizenz verbunden "Feinde der Demokratie" mit allen Mitteln, auch undemokratischen, bekämpfen zu dürfen. Der Zweck heiligt die Mittel. Das ist übrigens der Stoff, aus dem Diktaturen gemacht sind, die nationalsozialistische ebenso wie die sozialistische.

Um zu sehen, wie das funktioniert, werfen wir wieder einmal einen Blick in die deutsche Provinz: In die Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts Magdeburg. Der wohl schwärzeste Tag in der Geschichte der Stadt ist - neben deren Eroberung und Zerstörung durch die Truppen Tillys im Jahr 1631 - der 16. Januar 1945. Damals gab es einen Bombenangriff amerikanischer und vor allem britischer Bomber. Es würde zu weit führen, die dem Ganzen zugrunde liegende Strategie zu erörtern, daher nur kurz der Hinweis, dass die in der Area Bombing Directive von 1942 festgeschriebene britische Strategie der Flächenbombardements das Ziel formulierte, möglichst viele Zivilisten zu töten. Ob das die feine englische Art war oder aber exakt das, was man gemeinhin als Kriegsverbrechen bezeichnet, lassen wir jetzt einmal außen vor.

Am 16. Januar 1945 erlebte die Stadt Magdeburg einen solchen Angriff. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch mindestens 185.000 Menschen in der Stadt, ein Jahr zuvor waren es über 300.000 gewesen. Im Zuge des Angriffs wurden 90% der Innenstadt völlig zerstört und 60% des gesamten Stadtgebietes. Noch bis vor einigen Jahren war von 16.000 Toten die Rede. Wie in anderen deutschen Städten auch reduzierte sich die Zahl der Toten seither jedoch auf wundersame Weise drastisch. Inzwischen soll das Inferno nur noch 2.000 bis 2.500 Opfer gefordert haben. Was umso erstaunlicher ist, als die Einwohnerzahl der Stadt im April 1945 nur noch bei 90.000 lag. In ein paar Jahren wird man womöglich feststellen, dass es am 16. Januar nur mehr Zerstörungen, aber kaum Tote gegeben habe. Und man wird wohl konstatieren, dass deren Tod nur gerecht gewesen sei. Schließlich fordern linke Politiker wie z. B. der Grüne Matthias Oomen in Bezug auf Dresden immer wieder "Do! It! Again!" also eine erneute Bombardierung der Stadt. Übrigens ohne dass das irgendwelche Konsequenzen für sie hätte.

Entsprechend wird das Erinnern an die Bombenangriffe auf Deutschland im Zweiten Weltkrieg immer verschämter. Kann man denn heute noch um die Opfer unter der deutschen Zivilbevölkerung trauern? Ist das nicht schon rechtsextremistisch? Kann man gar diese Luftangriffe als ein Verbrechen darstellen, wie man das noch in der DDR tat? Nein, dieses Erinnern ist uns Deutschen inzwischen unangenehm. Am liebsten würden wir die Toten des 16. Januar 1945 und der Angriffe auf Dresden oder Hamburg und andere deutsche Großstädte totschweigen und aus unserem Erinnern löschen. Genau das ist der Grund dafür, dass schon seit einer ganzen Reihe von Jahren dieses Erinnern immer stiller und verschämter ausfällt. Die offizielle Politik würde sich dieses Erinnerns am liebsten ganz entledigen. Das Problem; in die "Erinnerungslücke" stießen andere. Im Fall von Magdeburg war es die NPD, die seit dem Jahr 1999 immer wieder Aufmärsche in Magdeburg veranstaltete und den Angriff auf die Stadt thematisierte.

Um ein Zeichen "gegen Rechts" zu setzen, rief man in Magdeburg darum im Jahr 2009 eine "Meile der Demokratie" ins Leben. Seither nehmen im Umfeld des 16. Januar Jahr für Jahr alle im Landtag vertretenen Parteien, Gewerkschaften, verschiedene Organisationen, die Kirchen, Schulen, Künstler, aber auch linksextremistische Gruppen regelmäßig daran teil. So wurde, wie angenehm, der Tag des Erinnerns an das Bombardement vom 16. Januar 1945 mehr und mehr zu einem Kampftag gegen Rechts. Der eigentliche Anlass verschwand im öffentlichen Bewusstsein zunehmend und das durchaus gewollt.

Dann geschah etwas unerwartetes. Die AfD bekam 2017 bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt fast 25% der Stimmen und meldete ihre Teilnahme an der "Meile der Demokratie" am 20. Januar 2018 an. Nun war guter Rat teuer. Man hätte die Teilnahme einer solchen, nicht wenigen unangenehmen, nichts desto trotz aber demokratischen und demokratisch gewählten Partei an der Meile einfach tolerieren und sich, so nötig, mit ihr inhaltlich auseinandersetzen können. Doch weit gefehlt. Das hieße für einige der mit dem Alleinvertretungsanspruch für Demokratie Gesegneten ein Sakrileg begehen. Nein, im Kampf gegen "falsche Demokraten" dürfen schon einmal die Spielregeln der Demokratie außer Kraft gesetzt werden.

So sagten denn einige die Teilnahme an der Meile der Demokratie aus Protest ab, z. B. der Paritätische Wohlfahrtsverband und der "Verein Miteinander" (sic). Andere griffen zu der kämpferischen Taktik, der bösen AfD die Teilnahme an der Meile der Demokratie so richtig zu vermiesen. Ein paar Beispiele gefällig? Die aufrechten Demokraten von der IG Metall und anderen Gewerkschaften ließen den Stand der AfD, den die Stadt Magdeburg mit der Zuteilung des Standplatzes ohnehin schon optisch ausgegrenzt hatte, hinter einer hohen Pappmascheemauer verschwinden versehen mit dem Warnhinweis: "Achtung, sie verlassen hier die demokratische Meile". Damit auch gleich mal klar ist, wer hier definiert, was Demokratie ist. Auch das Bespucken von AfD-Landtagsabgeordneten gehörte zum Repertoire der Freunde der Demokratie und Toleranz und natürlich lautes Schreien und das Bewerfen des Standes mit braunen Papierklumpen, die Fäkalien darstellen sollten. Auch eine Demo durch die Innenstadt unter dem Motto "Blau ist das neue Braun" gehörte dazu, damit jeder kapiert, dass die AfD mindestens genauso schlimm ist, wie weiland die Nationalsozialisten.

Apropos Nationalsozialisten: Bleibt noch das Vergnügen, die Berichterstattung in den beiden Regionalzeitungen Sachsen-Anhalts zu lesen. Auch dort bekommt die böse AfD ziemlich unverhohlen ihr Fett weg für ihre Unverschämtheit, sich an der Meile der Demokratie beteiligt zu haben. Mit ein wenig Übung könnte bald der Stil dem "Völkischen Beobachter" alle Ehre machen oder zumindest dem "Neuen Deutschland" der DDR.

So ist das nun mal, ob Nationalsozialisten oder Sozialisten, wenn man sich die Demokratie nach seinen Vorstellungen zusammenhobelt, fallen Späne und selbige bleibt auf der Strecke. Denn gefährlich sind vor allem die, die sich lauthals als ihre Wächter und Bewahrer präsentieren und dabei bereit sind, ihre sehr merkwürdige Vorstellung von Demokratie um jeden Preis durchzusetzen. Oft genug endet es so: Erst kostet es die Freiheit, dann das Leben, aber immer nur um das Gute zu schützen und zu bewahren. Versteht sich.

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der gesunde Westfale

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