Der NDR hat ein Spottlied auf Erdogan verfasst. Der diplomatische Ärger blieb nicht aus. Ohne Zweifel, das Lied ist Satire. Ohne Zweifel, es ist sogar ein wenig lustig. Aber ist es auch klug? Ist der NDR mutig? Ohne Zweifel nein. Denn auf Erdogan einprügeln ist ok. Nun hat ZDF neo nachgelegt. Der Herr Böhmermann hat ein Gedicht geschrieben. Das wohl lustig sein soll, es aber nicht ist. Zudem hat er den Beweis erbracht: Er kann ebenso schlecht rezitieren wie moderieren. Nun ja. Ich hätte da zwei Anmerkungen in Richtung der Kreativen.
1.
Wir Deutschen sind Willkommensweltmeister. Zumindest die etablierten Parteien und die etablierten Medien. Wir können gar nicht oft und laut genug „Refugees welcome“ rufen. Angesichts von über einer Million Menschen, die das nun dummerweise wörtlich genommen haben, beschleicht aber inzwischen auch den besten Gutmenschen so ein klein wenig ein ungutes Gefühl. Wir wollen nicht mehr. Aber wir wollen das nicht sagen. Das ist nicht gut fürs Image. Und wir wollen noch weniger selber etwas dagegen tun.
Was ist da die Lösung? Ergo Erdogan! So ist denn unsere geschätzte Willkommens-Angie dem bösen Erdogan bis zum Anschlag in den Anus gekrochen (Das ist natürlich auch nur Satire, hat sie nicht gemacht, NEIN!). Das Ergebnis: Er macht für uns die Drecksarbeit – die Grenzen dicht und wir müssen das nicht selber tun. Wir können weiter „Refugees welcome“ rufen – und hoffen, dass Erdogan sich an die Verabredung hält. Dafür, vom ganz hohen moralischen Ross herunter, kriegt er ein Spottlied geschenkt und ein Gedicht dazu - vom Staatsfunk.
2.
Ich möchte nicht in der Türkei leben. Und ja, man kann einiges an Erdogan kritisieren. Aber wäre es auch vorstellbar, dass der NDR mal ein solches Liedlein auf Obama textet? Ganz gewiss nicht. Ist auch nicht nötig? Ich hätte da einiges:
In weiten Teilen der USA gibt es immer noch die Todesstrafe. In der Türkei wurde sie übrigens abgeschafft, ebenso in Russland, nur mal so zum Vergleich.
Die USA unterhalten zumindest auf dem US-Stützpunkt Guantanamo ganz offiziell ein Foltergefängnis. Bald werden es 15 Jahre, dass dort Menschen einsitzen, ohne die Chance auf ein faires Strafverfahren zu bekommen. Und die Vergangenheit hat gezeigt, dass es keineswegs nur Terroristen waren, die - oft reichlich willkürlich - dort gelandet sind.
Die USA maßen sich an, Herrscher über Leben und Tod zu sein. So wurden Osama bin Laden und Mitglieder seiner Familie mit Billigung und auf Befehl des Friedensnobelpreisträgers Obama exekutiert. Wenn die Beweise gegen bin Laden, was eine Beteiligung an 9/11 betrifft, so erdrückend waren, warum wurde ihm nicht, wie es sich für einen Rechtsstaat geziemt, der Prozess gemacht? Ihn aus Pakistan in die USA zu bringen, wäre kein Problem gewesen. Wenn aber eine Verurteilung aus Mangel an Beweisen zweifelhaft war, ist dann seine Tötung nicht erst recht verwerflich?
Bleibt noch die Terroristenjagd per Drohne. Wann immer wieder einmal bei den chirurgisch präzisen Angriffen (man kann nur hoffen, nie an Chirurgen zu geraten, die mit solcher „Präzision“ arbeiten) mal wieder eine Hochzeitsgesellschaft statt mutmaßlicher Terroristen getroffen wurde, gab es nur ein kurzes „Sorry – tut uns leid. Kann schon mal vorkommen“, jedoch kein Lied vom NDR und keinen Gedichtversuch von Böhmermann. Aber ganz sicher wieder ein paar Kämpfer mehr für den Dschihad, was uns im Westen irgendwie total verwundert.
So ist das mit den Weltverbesserern. Mutig sind sie nur da, wo es nichts kostet und kein Ärger droht. Da dann aber immer feste drauf.
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