Man kann sich fragen, wie es 1933 möglich war, dass die Nationalsozialisten ein Land komplett umkrempeln konnten und alle haben mitgemacht? Das gleiche kann man sich fragen in Bezug auf die Geschichte der DDR. Beobachtet man allerdings aufmerksam die Entwicklung der letzten Jahre in Deutschland, beantwortet sich die Frage eigentlich von selbst. Es ist gerade wieder sehr in Mode, dass die Einpeitscher und Blockwarte der einzig zulässigen Meinung Menschen diskreditieren, in die (rechte) Ecke stellen, ausgrenzen und denunzieren. Es ist das gleiche widerwärtige Personal im Geiste, das, wie schon 1933 oder in der DDR, diesen Job erledigt. Und das unter den Gegebenheiten einer noch halbwegs intakten Demokratie, die jedoch Tag für Tag immer weniger als solche zu bezeichnen ist.

Beispiel gefällig? Da ist der ehemalige DDR-Dissident Siegmar Faust. Über 400 Tage hat er in der DDR in Einzelhaft gesessen, weil er es wagte, seine Meinung offen zu vertreten. Er wurde schließlich vom Westen freigekauft und seit der deutschen Wiedervereinigung führte er Besucher durch die ehemaligen Stasi-Gefängnisse Berlin-Hohenschönhausen und Cottbus, in denen er eingesessen hatte. Heute darf der 73-jährige das nicht mehr. Der Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, hat die Zusammenarbeit mit Faust beendet, in Cottbus haben sie gleiches getan. Was hat Faust verbrochen? Ist er straffällig geworden? Hat er eine Bank überfallen oder schwere Körperverletzung begangen? Nein, schlimmer. Er hat seine Meinung frei geäußert. Er hat sich sozusagen als ein politisch unzuverlässiges Element entlarvt (so hätte man in der DDR wohl gesagt) und ihm muss somit jede Möglichkeit genommen werden, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Was ist geschehen? Bei einer Führung in Hohenschönhausen geriet Faust in die Hände von Markus Decker, einem frustrierten linken Journalisten, dessen Weltbild angesichts des wachsenden Zuspruchs rechts-konservativer Parteien in Deutschland und Europa und des offensichtlichen Scheiterns der Merkelschen Willkommenspolitik einer schweren Prüfung ausgesetzt ist. Dabei hat er einen Schuldigen ausgemacht, den deutschen Osten und die Menschen, die hier leben. Ganz besonders arg ins Gericht geht er mit den Bürgerrechtlern der DDR, von Barbe über Lengsfeld bis zu Vaatz. Wobei es für ihn schon ein Sakrileg darstellt, wie Barbe von der SPD zur CDU zu wechseln. Dabei unterliegt der gute Mann - leider nicht nur hier - einem grandiosen Irrtum. In seiner kleingeistig-engen Linkswelt hat er sich die Bürgerrechtler der DDR offensichtlich als "veredelte" Sozialisten vorgestellt, sozusagen als Ost-Varietät der Alt-68er des Westens.

So übersteigt es seinen Horizont, dass diese BÜRGERrechtler eben oft das repräsentierten, was man bürgerlich-konservativ nennt und was im Westen immer mehr aus der Mode gerät. Der Schriftsteller Uwe Tellkamp ist hier ein gutes Beispiel. Sie alle haben nach den Erfahrungen der DDR genug von sozialistischen Experimenten und Versuchen der weltumspannenden Menschheitsbeglückung. Dass Decker nichts kapiert hat, macht er nun denen zum Vorwurf. Und so kennt er praktisch nur noch ein Thema, an dem er sich, nicht sonderlich gekonnt, dafür aber umso engagierter, tagaus, tagein abarbeitet, er ergießt seinen Hass über den bösen Osten und wird nie müde in diesem Tun. Er ist dabei gewiss nicht die hellste Kerze auf der Torte des deutschen Journalismus. So ist sein Bekenntnis "Ich bin wieder Wessi" in der "Zeit" einfach nur zum Fremdschämen, auch ob der Weinerlichkeit, die hier zum Ausdruck kommt. Die Grenze zur Peinlichkeit überschreitet er dann vollends mit dem tränenschweren Bekenntnis: "Ich habe den Osten immer so verteidigt". Das erinnert fatal an die Worte des Stasi-Chefs Erich Mielke vor seiner Entmachtung: "Ich liebe Euch doch alle." Die beiden sind scheinbar irgendwie Brüder im Geiste, weitgehend talentfrei, doch fest im Glauben an den richtigen Klassenstandpunkt.

Decker hört also von Wolf Biermann, dass es da einen Herrn Faust gibt, einen ehemaligen DDR-Dissidenten, der nun aber wohl AfD wähle. Das Hassobjekt und einzige Thema Deckers also. Da muss doch was draus zu machen sein, denkt sich Decker und fährt zu Faust nach Hohenschönhausen. Decker führt ein längeres Gespräch mit Faust und findet, wonach er gesucht hat, Material für einen erneuten Hetzartikel über den Osten. Denn Faust, im törichten Glauben an die Freiheit der Meinung im Deutschland des Jahres 2018, macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. So kritisiert er die unüberlegte Willkommenspolitik Merkels, nimmt die AfD in Schutz gegen die Anwürfe Deckers und bringt als ehemaliger politischer Häftling seine Verwunderung darüber zum Ausdruck, dass Horst Mahler - von dessen Anschauungen er sich ausdrücklich distanziert - als über 80-jähriger wegen Holocaustleugnung nun schon seit mehr als 10 Jahren in deutschen Gefängnissen einsitzt. Der Mielke habe doch nur sechs Jahre gesessen. Das ist es. Jetzt hat Decker, was er braucht. Er schreibt in der "Berliner Zeitung" einen Artikel über Faust, stellt ihn als Dumpfbacke dar, der kaum in der Lage sei die Führungen interessant zu gestalten, vor allem aber muss er ein Holocaustleugner und Nazi sein. Und so jemand führt Schüler durch eine Gedenkstätte für die Opfer des Stalinismus! Das ist das Totschlagsargument.

Decker erreicht, was er will, er hat Faust ans Messer geliefert. Die Gedenkstätte Hohenschönhausen verbietet Faust noch am Tag des Erscheinens des Artikels weitere Führungen. Ja, es geht noch weiter. Im Wochenrhythmus legt Decker in der "Berliner Zeitung" nach. Auch der Vorsitzende des Fördervereins der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Jörg Kürschner, ist nun untragbar. Er soll ebenfalls mit der AfD sympathisieren und regelmäßig Artikel in der "Jungen Freiheit" veröffentlichen. Hubertus Knabe als Leiter der Gedenkstätte erweist sich als würdiger Nachfahr derer, die hier zu DDR-Zeiten das Sagen hatten und stellt auch die Zusammenarbeit mit dem Förderverein ein. Während dessen weiß Denunziant Decker zu berichten, dass es im Umfeld des Fördervereins und der ehemaligen Dissidenten etliche geben könne, die rechte Anschauungen pflegten, der AfD womöglich nahestünden und dass da gründlich aufgeräumt werden müsse. Oh ja, die Treibjagd auf das Andere, die unbequeme politische Meinung ist eröffnet und sie macht Decker als auch Knabe offensichtlich Freude. Politische Säuberungen, das beglückt das Sozialistenherz.

Dass Stiftungsratsvorsitzender der Gedenkstätte mit dem Politiker der Linken Klaus Lederer ein Vertreter just der Partei ist, die in gerader Linie Nachfolgerin der SED ist, welche das Gefängnis Hohenschönhausen zu verantworten hatte, stört ganz offensichtlich ebenso niemanden wie dass es in dieser Partei etliche gibt, z. B. in der Kommunistischen Plattform, die die DDR gern wieder hätten mit all ihren Hohenschönhausens und ihrem Klassenkampf. Dafür verkündet der Stiftungsrat gnädig, man werde Faust natürlich noch einmal anhören, an der Entscheidung der Gedenkstätte, ihn künftig nicht mehr mit Führungen zu betrauen, wird das natürlich nichts ändern. Es gibt halt lediglich einen kleinen, aus DDR-Zeiten gut bekannten, Schauprozess, in dem man dem Delinquenten noch einmal die ganze Verwerflichkeit seines Tuns vorhalten wird. Man pflegt halt Traditionen in Hohenschönhausen.

Worin besteht die Untat Fausts nun eigentlich? Die Merkelsche Politik zu kritisieren, die inzwischen in ganz Europa und sogar auch in Deutschland zunehmend kritisiert wird? Einem Journalisten gegenüber gewisse Sympathien für die AfD zu äußern, die eine demokratische Partei ist und im Bundestag sitzt? Zu hinterfragen, warum ein offensichtlich geistig verwirrter 82-jähriger Horst Mahler seit zehn Jahren im Gefängnis sitzt? Das hat genauso schon Otto Schily getan. Wird der nun aus der SPD ausgeschlossen? Und muss man Jörg Kürschner meiden, weil er für die "Junge Feiheit" schreibt? Für die haben übrigens auch schon Peter Scholl-Latour, Franz Alt und Hans-Olaf Henkel geschrieben. Interviews gaben der Zeitung Egon Bahr, Roman Herzog oder Dunja Hayali.

Die Demokratie in Deutschland gefährden nicht die Fausts und Kürschners, sondern die Deckers und Knabes. Mit einem so merkwürdigen Verständnis von Demokratie wie Hubertus Knabe ist man nicht geeignet, eine solche Gedenkstätte zu leiten. Denn er betreibt genau das Geschäft, was dort über 40 Jahre betrieben wurde: Menschen, die demokratische Grundrechte wahrnehmen wollen und ihre Meinung frei äußern, auszugrenzen und kalt zu stellen. Zu Decker und seinem Beitrag über Faust hat ein Leser auf der Onlineseite der Berliner Zeitung treffend angemerkt: "Woher kommt diese offensichtliche Vernichtungsenergie des Autors? Müssen mittlerweile Merkel-Kritiker mit allen, auch unlauteren Mitteln diskreditiert werden? Soll aus einem vergifteten Umgang miteinander etwas Gutes entstehen? Ich bin empört über diesen haßtriefenden Artikel." Dem ist nichts hinzuzufügen.

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