Da Erinnern derzeit sehr in Mode ist, will auch ich mich erinnern. Ich erinnere mich z. B. an eine Weihnachtsfeier im Kollegenkreis, sie ist – wie die Zeit vergeht – inzwischen mehr als 25 Jahre her. Die Kollegen sind längst nicht mehr dieselben, die Zeit ist nicht mehr dieselbe und auch bin nicht mehr derselbe, befürchte ich zuweilen. Es war eine feucht-fröhliche Weihnachtsfeier und es wurde reichlich getanzt und getrunken. Zu fortgeschrittener Stunde tanzte ich mit einer Kollegin, nicht unattraktiv, aber nicht unbedingt mein Typ. Und dann mitten beim Tanzen, war da plötzlich dieser Blick von ihr und in derselben Minute waren schon ihre Lippen auf den meinen und ihre Zunge bahnte sich den Weg in meinen Mund.
Als Mann finde ich solche Überfälle grundsätzlich nicht unangenehm und aus der Rückschau muss ich sagen, es hätte durchaus ein paar mehr davon geben können. An dem Abend war mir das Ganze jedoch eher peinlich. Ich war verheiratet (und bin es immer noch, sogar mit derselben Frau), es gab Kollegen, die das Ganze gesehen hatten und ich war wohl auch noch zu nüchtern, um nicht die Konsequenzen einer intensiveren Kontaktaufnahme mit der offensichtlich heftig entflammten und enthemmten Kollegin zu sehen. So bin ich an dem Abend brav nach Hause gegangen und bald war der kleine Vorfall vergessen.
Wäre ich eine Frau, dann sollte ich das Ganze nun wohl bei #MeToo öffentlich machen. Oder kann man das auch als Mann? Allerdings würde doch ein Mann, der sich über ein solches Geschehen beklagt, als ein ziemlicher Depp angesehen werden, oder? Als Frau ist das natürlich anders. So hat z. B. auch Uschi Glas in ihren Erinnerungen gekramt und - viele Jahrzehnte ist es her - ein ganz ähnliches Geschehen ausgegraben. Die Welt ist erschüttert! Läuft der Mann noch frei rum? Unerhört!
Man hat den Eindruck, jede Frau, die etwas auf sich hält, ist bei #MeToo dabei. Kein Vorfall kann zu banal, zu geringfügig erscheinen, um dort nicht gepostet und mit wohlig-schauriger Gänsehaut zur Kenntnis genommen zu werden. Es ist geradezu ein #MeToo-Wettlauf im Gange, wer nicht seine ganz persönliche Betroffenheit dort aller Welt mitgeteilt hat, ist sowas von out. Es wird immer deutlicher sichtbar, die ganze Welt ist voller böser, belästigender, vergewaltigender, schlimmer Männer. Ergo, alle Männer sind furchtbar, gehören abgeschafft, an die Wand gestellt, vernichtet, zumindest aber kastriert.
Ich finde das alles furchtbar grotesk. Da beschweren sich heute Frauen darüber, dass ein Herr Weinstein sie sexuell belästigt habe, dass es Rollen nur gegen Sex gab. Aber dieses Geschäft war doch nur möglich, weil sich Frauen darauf eingelassen haben! Hätte jede gesagt: Mit mir nicht, wäre sein Geschäftsmodell sehr schnell zusammengebrochen. Natürlich, für schauspielerisch eher unbegabte, dafür aber einigermaßen gutaussehende und in bestimmter Hinsicht nicht ganz prinzipienfeste junge Frauen war dies der einfachste und wohl einzig gangbare Weg ins Business und zu Millionengagen. Der Deal materielle Vorteile gegen Sex ist so alt wie die menschliche Gesellschaft. Neu ist allerdings, dass sich frau Jahrzehnte später darüber beschwert. Sozusagen heute profitieren, morgen denunzieren.
Man muss Herrn Weinstein nicht mögen, wahrscheinlich ist er sogar ein Arschloch, doch was da jetzt über die Bühne geht, ist schon reichlich scheinheilig. Ein Weinstein musste sich gewiss nicht groß ins Zeug legen. Ich wette, da hat ein bestimmter Typ Frau bei ihm geradezu Schlange gestanden, um etwas vom Glamour zu profitieren. Und wenn man sich manche Fotos ansieht, erscheint eher der Weinstein wie das Opfer. Wie dem auch sei; die männlichen Sex-Monster sind scheinbar überall. Auch der alte George Bush ist, wer hätte das geahnt, ein ganz schlimmer Finger, der Frauen selbst noch aus dem Rollstuhl übel mitspielt. Gibt es denn überhaupt noch einen Mann, der nicht "Dreck am Stecken" hat?
Wir leben inzwischen in einer Gesellschaft, in der nicht allein wirkliche sexuelle Übergriffe von Männern auf Frauen verfolgt werden, was gut und richtig ist, sondern wir leben in einer Welt, in der Männer unter Generalverdacht gestellt werden, in der selbst ein falscher Blick, eine linkische Berührung schon eine sexuelle Belästigung darstellen, die praktisch einer Vergewaltigung gleich gestellt wird. Einer Welt, in der Frauen aus verschiedensten Motiven heraus, sei es Eifersucht, Verschmähtwerden oder Karrieresucht, mit dem Vorwurf der sexuellen Belästigung oder Vergewaltigung Existenzen von Männern fast gefahrlos vernichten können. Konsequenzen müssen sie nur in den seltensten Fällen befürchten, auch wenn sich ihre Vorwürfe als völlig haltlos herausstellen.
Lange schon gilt auf diesem Gebiet des Strafrechts nicht mehr die alte Regel: Im Zweifel zugunsten des Angeklagten. Da muss gar nicht der Fall Kachelmann bemüht werden. Da ist der Student in den USA, der mit einer wahren Hasskampagne vernichtet werden sollte. Eine Kommilitonin behauptete, von ihm vergewaltigt worden zu sein und schleppte die Matratze, auf der das geschehen sein soll, wochenlang über den Campus. Alle Medien sprangen dankbar darauf an. Als sich herausstellt, dass die Vorwürfe gegen ihn haltlos waren, keinen interessiert's. Da ist der Lehrer, der nach falschen Anschuldigungen einer Kollegin sogar ins Gefängnis muss und dessen Leben zerbricht, egal!
Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, wird es bald kein junger Mann mehr wagen, eine Frau anzusprechen, die ihm gefällt. Auf seine abendliche Frage „To Me?“ könnte er am nächsten Morgen die Antwort bei #MeToo nachlesen. Schon heute gibt es männliche Führungskräfte und Prominente, die aus Selbstschutzgründen nur noch in Gegenwart von Zeugen mit Frauen sprechen oder arbeiten.
Feministinnen mögen das feiern. Für talentlose Schauspielerinnen werden künftig aber wohl härtere Zeiten anbrechen. Der Weg zu Millionengagen ist ihnen dann versperrt. Wenn's der Qualität der Filme dient, nur zu. Schlimmer ist, was diese Hysterie im Verhältnis von Mann und Frau bewirkt. Wenn jeder Blick, wenn jede ungeschickte Berührung, jedes unbedachte Wort zum Fall für den Staatsanwalt, mindestens aber für den öffentlichen Pranger wird, dann scheint mir, wird das eine ziemlich freudlose Welt werden. Bevölkert von Frauen, denen es an Selbstvertrauen mangelt, die Sex nur als Instrument der Unterdrückung durch den Mann ansehen, die den anerkennenden Pfiff des Bauarbeiters nicht stolz als Bestätigung guten Aussehens nehmen können (einer Hässlichen pfeift keiner hinterher), sondern als Kampfansage und Quasi-Vergewaltigung. Souveränität und Gelassenheit? Fehlanzeige! Na dann mal viel Spaß in dieser sterilen, asexuellen #MeToo-Welt.
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