Die Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und Deutschland zu verfolgen, ist schon lustig. Und ich muss zugeben, dass ich mich schon lange nicht mehr so gut amüsiert habe. Es kann natürlich nicht schaden, etwas zynisch veranlagt zu sein. Wer das ist, dem ist jedoch jede Menge Spaß sicher im Schaulaufen der Eitelkeiten. Man bekommt einen Eindruck davon, wie früher durch Borniertheit gepaart mit völliger Verblödung Kriege entstanden. Heute sind wir davon wohl noch etwas entfernt. Obwohl, sicher kann man sich da nicht sein.
Doch zunächst einmal das positive. Die Auseinandersetzungen um Auftritte türkischer Politiker in Deutschland waren sehr, sehr gut für Deutschland und die deutsche Politik, denn sie haben ein großes Versöhnungswerk vollbracht. Von der äußersten Linken über SPD, Grüne, CDU bis zur ach so schlimmen AfD: Sie alle sind friedlich geeint, wenn es darum geht, den Türken mal so richtig den Marsch zu blasen und Auftritte türkischer Politiker bei uns abzulehnen. Ist das nicht schön? Ist da nicht fast so etwas wie eine Einheitsfront entstanden? Ist man nicht versucht zu sagen: So Leute, nun drückt Euch mal und habt Euch lieb, denn zwischen Euch passt kein Blatt Papier, ihr gehört zusammen wie Pech und Schwefel?
Man sollte den Türken nun aber auch nicht zu gram sein, denn sie haben unheimlich viel für die öffentliche Sicherheit getan. Sie haben die deutschen Behörden und die alten Schnarchnasen darin mal so richtig auf Trapp gebracht. Beispiel Hamburg: Erst als der türkische Außenminister Cavusoglu in Hamburg-Wilhelmsburg auftreten wollte, haben die Hamburger Beamten und Beamtinnen (so viel Zeit muss sein) sich die Veranstaltungshalle mal so richtig angesehen und auch prompt festgestellt, dass dort gar keine Brandschutzanlage vorhanden ist. Vielen, vielen Dank, lieber Cavusoglu. Wenn Du dort nicht hättest reden wollen, wie viele weitere Jahre wären Hunderte, ja Tausende HamburgerInnen in diese Halle zu Veranstaltungen gepilgert, nicht wissend, dass sie im Falle eines Feuers völlig schutzlos gewesen wären?! Obwohl man nun natürlich fragen kann, warum den Hamburger Behörden offensichtlich das Schicksal der eigenen Leute.... und sie erst beim Besuch eines Türken... ? Aber Schwamm drüber.
Ganz, ganz schlimm ist natürlich, dass die Türken uns nun einfach als Nazis titulieren, nur weil sie hier nicht Wahlkampf für ihr Referendum machen können. Dieser inflationäre Gebrauch des Begriffs Nazi, das ist wirklich nicht fein. Auf das würden wir in Deutschland selber nie kommen - nun ja, vielleicht bis auf eine Ausnahme. Diejenigen, welche die Einwanderungspolitik unserer Kanzlerin nicht voll und ganz mittragen, sondern wagen, kritische Fragen zu stellen, sind natürlich Nazis, aber richtige. Und damit das klar ist - ihr Türken - das Recht, jemanden - auch inflationär - zum Nazi zu erklären, das lassen wir uns nicht streitig machen! Wir bestimmen immer noch selber, wer Nazi ist, basta!
Zugegeben, wir haben Millionen von Türken nach Deutschland geholt. Und viele durften ihre Staatsbürgerschaft behalten und wir finden die doppelte Staatsbürgerschaft voll geil. Daher haben wir nun 2,2 Mio. türkische Staatsbürger bei uns, die, so volljährig, an türkischen Referenden teilnehmen können. Allerdings: Die haben wir doch zum Arbeiten geholt und nicht zum Wählen! Wenn der Erdogan und seine Minister hier nun Wahlkampf machen wollen, ist das nicht eine Einmischung in unsere Angelegenheiten, auch wenn es letztlich um die Machtverhältnisse in der Türkei geht?
Wir im Westen machen sowas nicht. Daher ist es auch nichts als ein böses Gerücht, dass westliche Politiker im Winter 2013/14 in Kiew auf dem Maidan kräftig mitgemischt und Reden gehalten haben, um einen Regime-Change zu erreichen. Nein, der Senator McCain hat dort keine Rede gehalten. Und Frau Nuland hat keine Kekse verteilt und diskutiert und die EU-Außenbeauftragte Ashton ist dort natürlich nicht über die Barrikaden gestiegen und auch sonst war kein westlicher Politiker da. Und natürlich hat Gauck 2014 nicht an der Uni Ankara gesprochen und dabei Erdogan im eigenen Land kräftig kritisiert. Alles böswillige Unterstellungen. Und selbst wenn es so wäre. Wir dürfen das, wir sind die Guten. Gauck dürfte natürlich in der Türkei Sätze sagen wie "Wo Bürger nicht oder nicht ausreichend informiert, nicht gefragt und nicht beteiligt werden, wachsen Unmut, Unerbittlichkeit und letztlich auch die Bereitschaft zur Gewalt". Denn wir alle wissen ja, dass dies nur, wirklich nur auf die Türkei zutrifft, stimmt's?
Aber nun mal ehrlich, ist es nicht schlimm, wie der Erdogan seine präsidiale Macht in der Türkei stärken will? Nachher kommt er noch auf die Idee, Dekrete erlassen zu wollen, ohne das Parlament vorher einzubeziehen? Oder Gesetzentwürfe des Parlaments mittels Veto einfach abzulehnen, die das Parlament dann nur mit Zweidrittelmehrheit wieder durchdrücken kann? Womöglich maßt er sich an, die höchsten Richter des Landes zu ernennen oder Vereinbarungen mit anderen Staaten auszuhandeln, die nicht der Zustimmung des Parlaments bedürfen? Das wäre unerhört und daher soll dies bitte weiter nur dem Präsidenten der USA vorbehalten bleiben. Wie z. B. Obama, der in seiner Amtszeit 279 Mal vom Instrument der "Executive Order", also des Regierens per Dekret, Gebrauch gemacht hat. Nein, was wir den US-Präsidenten durchgehen lassen, darauf haben die Türken noch lange keinen Anspruch. Gewisse Unterschiede müssen gemacht werden.
Darum sollten wir den Türken auch endlich "klare Kante" zeigen, wie es immer so schön heißt. Ich stelle mir gerade vor, wie die Angela und die Frauke, in ihrer Ablehnung der Türkei vereint und alle alten Gräben zuschüttend, gemeinsam bei den Osmanen einmarschieren und den bösen Erdogan so richtig vermöbeln. Die Uschi und die Bundeswehr haben natürlich vorher den Weg freigeschossen, zur Not auch um die Ecke mit dem neuen Sturmgewehr von Heckler. Und der Martin wird - auch ohne Abi - deutscher Statthalter in Ankara. Der spricht bestimmt auch türkisch, wenn nicht, dann lernt er es gewiss ganz schnell, ist ja ein Sprachgenie der Mann. Ach, wäre das herrlich und man wird ja wohl noch träumen dürfen.
Kleiner Nachtrag: Wir sollten Erdogan für das Referendum dankbar sein. Rund zwei Drittel der Türken in Deutschland besitzen die türkische oder neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft. Ist der Ausgang des Referendums in Deutschland nicht ein wunderbarer Gradmesser für deren erfolgreiche Integration in unsere Gesellschaft? Und lassen sich daraus nicht Schlüsse auf die Integration all derer ziehen, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind? Nicht vergessen, die Türken sind westlicher geprägt als die meisten ihrer arabischen Glaubensbrüder und oft seit Jahrzehnten hier. Also, ich rechne mit einer überwältigen Ablehnung für die Pläne Erdogans bei den Türken in Deutschland. Oder sieht das jemand anders? (Für alle, die alles immer wörtlich nehmen - ja, in diesem Text blitzt gelegentlich eine kleine Prise Ironie hervor, aber wirklich nur eine ganz, ganz kleine.)
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