Wir werden so lange mit dir diskutieren, bis auch du überzeugt bist...

Vielleicht habe ich ja etwas zu viel "1984" gelesen. Oder vielleicht lese ich etwas zu viel zwischen den Zeilen. Mag alles sein. Dennoch hat mich ein Beitrag aus der "Süddeutschen" verunsichert, um nicht zu sagen beunruhigt. "Wie die besorgten Bürger integriert werden können" fragt sich hier Bernd Kastner. Und mehr noch, er hat sie sogar besucht, die PEGIDA-Anhänger, eine Reise in das "PEGIDA-Land" unternommen, Hausbesuche gemacht nennt er das. Nun, es ist schön, dass sich die Süddeutsche so kümmert - um Ostdeutsche. Aber Hausbesuche machen? Nun, da kommen im Osten womöglich Erinnerungen hoch... Egal.

Herr Kastner hat sich Gedanken gemacht, wie man die irre geleiteten (Ost)deutschen wieder auf den rechten Weg bringt (oh Gott, was schreibe ich hier, "linken Weg" wäre viel besser - aber diese deutsche Sprache und ihre Wendungen, ist sie nicht schon im Kern schrecklich "Rechts"?) Er hat das alles schön in einem Kommentar zusammengefasst. Er meint, man dürfe auf diese PEGIDA- und AfD-Leute nicht einfach nur schimpfen, nein, man müsse mit ihnen reden und das nicht zum Selbstzweck, nein, das Reden muss ein Ziel haben. Und das Ziel lautet "Integration". Genau, die alte Frau Wölk, die Herr Kastner mit einem Hausbesuch beehrt hat, hat es verdient, dass sie nun mit ihren fast 80 Jahren endlich mal integriert wird in unsere deutsche Gesellschaft, in die freiheitlich-demokratische Grundordnung.

Das ist eine gewaltige Aufgabe, die da vor Herrn Kastner und der Süddeutschen und allen, die schon integriert sind, liegt. Und Herr Kastner weiß das auch, denn er schreibt in seinem Kommentar: "Nicht nur Migranten sind die Werte des deutschen Gemeinwesens nahezubringen, sondern auch jenen, die voller Misstrauen gegenüber Behörden, Politik und Medien sind. Es sind diese Einheimischen, die es zu reintegrieren gilt, auf dass sie sich wieder heimisch fühlen in diesem weltoffenen System, in dem jeder seine Meinung äußern darf." Aha. Doch irgendwie bekomme ich bei diesen Sätzen eine Gänsehaut. Irgendwie klingt es in meinen Ohren wie eine unterschwellige Drohung. "Frau Wölk, bitte in Zimmer zwei zum Reintegrationsgespräch!" Vielleicht steigt da aber auch eine Erinnerung herauf aus längst vergangenen Zeiten: "Kollege, stellst du etwa die führende Rolle der Partei der Arbeiterklasse in Frage, lass uns miteinander reden."

Und überhaupt. Herr Kastner schreibt doch vom weltoffenen System, in dem jeder sich heimisch fühlen kann und jeder seine Meinung äußern darf. Nun, wenn das jemand tut, aber dieser jemand eine, sagen wir mal, unbequeme Meinung hat, warum sollte dies Anlass sein zu sagen: "Moment mal guter Freund - du musst aber dringend reintegriert werden mit dieser deiner freien Meinung."

Insofern hat mich der Kommentar von Herrn Kastner auch zum besorgten Bürger gemacht. Ja, ich denke mir, ein wenig Misstrauen gegenüber Politik und Medien kann nicht von Schaden sein. Erst recht nicht, wenn im Land der Meinungsfreiheit ganz offensichtlich in falsche und richtige Meinungen unterschieden wird. Denn wie anders ist die Forderung Kastners nach Reintegration all derer zu verstehen, die nicht der offiziellen (richtigen) Meinung sind? Wohlgemerkt, ich rede nicht von Menschen, die Freiheit und Demokratie in Frage stellen. Es kann aber nicht sein, dass Menschen, die Regierungshandeln und veröffentlichte Meinung ebenso kritisch wie friedlich hinterfragen als Bedrohung für das "System" angesehen werden und als therapiebedürftig.

Insofern sehe ich auch bei Herrn Kastner und der Süddeutschen sowie anderen Medien Reintegrationsbedarf. Meinungsfreiheit gilt nämlich ganz oder gar nicht. Wer Menschen mit unbequemer Meinung meint therapieren zu müssen, ist ganz dicht dran an einem System, das alles andere ist als weltoffen.

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