Ich weiß nicht, ob Politik und Politiker in Deutschland vor 30 oder 40 Jahren wirklich besser waren. Aber es steht zu vermuten, denn schlechter als im Moment geht es kaum noch. Bundespräsident Joachim Gauck hat dafür vor ein paar Tagen - genau am 25 Jahrestag des Mauerbaus - einen eindrucksvollen Beleg geliefert. In einem ZDF-Interview hat er mit Bezug auf das Mantra der Kanzlerin geäußert: "Ich mag mir eine Regierungschefin nicht vorstellen, die vor das Volk tritt und sagt, wir schaffen das nicht. Also, warum sollte man eine solche Person wählen?“
Diese zwei Sätze sind entlarvend, im Hinblick auf Gauck wie den Politikbetrieb insgesamt. Zum einen zeigen sie, wie erschreckend beschränkt das Denken Gaucks ist und wie grenzenlos er als Bundespräsident offensichtlich überschätzt wird. Herr Gauck kann und mag sich also eine Kanzlerin nicht vorstellen, die ihrem Volk sagt, dass etwas nicht zu schaffen sei. Und er liefert die Begründung gleich mit - weil eine solche Person nicht wählbar sei. Oh Gott, wie unendlich dumm ist dieses Denken, wie unendlich dumm ist die Politik, für wie dumm halten die das Wahlvolk und vor allem wie gefährlich ist diese Denke der Politik!
Innerhalb eines Jahres sind über eine Million Menschen, über eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Man hat es bis heute nicht geschafft, alle ordnungsgemäß zu registrieren, man hat es nicht geschafft, sich einen Überblick zu verschaffen, ob darunter auch Terroristen sind, man hat es nicht geschafft, abgelehnte Asylbewerber in ausreichendem Umfang wieder abzuschieben, man hat es nicht geschafft und wird es auch so bald nicht schaffen, diese Menschen zu integrieren und ihnen einen Job zu verschaffen. Aber alles dies wird ausgeblendet und durch die Parole des "Wir schaffen das" ersetzt.
Aber es geht hier eigentlich gar nicht um die Flüchtlinge. Die Worte Gaucks machen deutlich, woran Politik derzeit grundsätzlich krankt: Sie hat es sich zur Gewohnheit gemacht, das Volk zu belügen, Probleme klein zu reden und sie will jedermanns Darling sein. Politik ist heute unfähig, dem Volk reinen Wein einzuschenken und ehrlich zu sagen, was eben nicht zu schaffen ist. Es ist nämlich nicht Aufgabe der Politik, das Blaue vom Himmel zu versprechen und Probleme zu negieren, nein Politik muss auch den Mut haben Grenzen zu ziehen, zu sagen, was nicht möglich ist. Das aber geschieht nicht. Statt dessen wird ein Wolkenkuckucksheim nach dem anderen gebaut, in der Flüchtlingspolitik, bei der sogenannten Energiewende, in der Europapolitik, in der Bildungspolitik usw. usf.
Und Leute wie Gauck und große Teile der politischen Klasse meinen auch noch, eine solche Haltung mache einen Politiker wählbar. Ich weiß nicht, wer da bei Gauck oder Merkel oder wie sie alle heißen auf der Leitung steht, aber bekommen die nicht mit, dass die Unzufriedenheit der Menschen wächst, dass sich das Volk nicht mit einem einfachen "Wir schaffen das" ohne Substanz abspeisen lässt, egal ob in der Flüchtlingsfrage oder sonst wo. Gauck wird aus Altersgründen nicht wieder als Bundespräsident antreten. Dass sich eine Abkehr vom beschränkten Denken der Politik, das Gauck in zwei Sätzen unfreiwillig so schön auf den Punkt gebracht hat, vollzieht, ist jedoch nicht zu erkennen. So wird es wohl auch künftig - egal in welcher Frage - heißen: Wir schaffen das!
Tobias Kleinschmidt www.securityconference.de – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:MSC_2014_Gauck_Kleinschmidt_MSC2014.jpg