Es ist Adventszeit und damit Zeit für manch rührselige Geschichten. Geschichten, die so recht zu Herzen gehen, von armen Menschen und ihrem unverschuldeten Leid. Und natürlich von hartherzigen Bösen, die hoffentlich geläutert werden. Wie zum Beispiel diese Geschichte:
Da ist ein armer Mann, dem das Schicksal übel mitgespielt hat. Maurer ist er und er hat die 50 längst überschritten. Er gehört zu der Spezies von Zeitgenossen, die ihr Leben einfach nicht in den Griff bekommen. Ein böser Mensch würde sagen, dass er selber Schuld daran sei. Doch heute will keiner ein böser Mensch sein, daher sagen wir also einvernehmlich, dass das System ihn kaputt gemacht hat, die gesellschaftlichen Umstände, die soziale Kälte in diesem Land und gewiss auch eine schwere Kindheit. Der Mann ist ohne Job und ohne Perspektive. Er trinkt, Alkohol, nicht Wasser. Und er ist dabei sein Haus zu verlieren und das kurz von dem Weihnachtsfest. Denn sein Haus ist zur Zwangsversteigerung freigegeben. Und nun haben ihm auch noch die Stadtwerke das Wasser abgestellt. Wie soll er da leben?
Wo kein Wasser, da bleibt schließlich nur der Alkohol. Und wie diese arme, verlorene Seele da so an einer Imbissbude steht und an seinem dritten oder vierten - vielleicht war es aber auch bereits das achte oder neunte - Bier nippt, kommt da plötzlich das personifizierte Böse daher. Der Chef der Stadtwerke, die ihm das Wasser abgedreht haben. Der stellt sich auch an die Imbissbude. Will er unseren armen Mann verhöhnen? Will er ihn selbst hier bedrängen? Kann der arme Mann nicht einmal ungestört sein Bier trinken, wo er doch kein Wasser mehr zu trinken hat?
Nun, der böse Stadtwerkechef ahnt jedoch von alledem nichts. Vielleicht will er sich nur eine Wurst kaufen und um die geht nun auch. Denn unser armer Mann zieht in seiner Not und in seinem Rausch ein Messer, das er immer bei sich trägt und setzt es dem hartherzigen Kerl an den Hals. Dabei verletzt er ihn ein wenig, ein Kratzer auf der Haut, doch das ist ihm egal. Soll der mal fühlen, wie es ist, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, auch wenn es abgestellt ist oder gerade deswegen. Und er schleudert dem bösen Manne seine ganze Wut entgegen mit den Worten: „Du Schwein lässt mich verdursten, und holst Flüchtlinge in die Stadt!"
Moment, hier müssen wir die Geschichte nun leider umschreiben. Die Flüchtlinge ins Spiel zu bringen, das geht gar nicht. Und der Chef der Stadtwerke ist nicht nur das, sondern vor allem Bürgermeister der kleinen Stadt unserer kleinen Geschichte, nämlich von Altena. Und er ist nun bei genauerer Betrachtung kein böser, sondern ein ganz besonders außergewöhnlich einmalig guter Mensch, fast schon ein Heiliger, denn er hat sehr viel mehr Flüchtlinge in seiner Stadt aufgenommen, als diese eigentlich aufnehmen müsste. Er konnte sozusagen gar nicht genug davon bekommen, von den Flüchtlingen. Er ist sozusagen die Angie von Altena. So einem Mann setzt man kein Messer an den Hals, auch wenn er schon mal Arbeitslosen das Wasser abstellen lässt.
Richtig muss die Geschichte nun also wie folgt lauten:
Der umtriebige und engagierte Bürgermeister von Altena will sich von harter Arbeit eine kurze Pause gönnen. Und da er auch nur ein Mensch und zudem sehr volksnah ist, führt ihn sein Weg schnurstracks zu einer kleinen Imbissbude. Während er noch in Gedanken ist, z. B. darüber wie er den Flüchtlingen in seiner Stadt Gutes tun kann oder wo er weitere Flüchtlinge unterbringen könnte und wo er diese in nennenswerter Anzahl herbekommen könnte, stürzt plötzlich ein Rechtsextremist, ein schrecklicher Nazi auf ihn zu und rammt ihm ein gewaltiges Messer tief in den Hals. Gewiss ist der Mann im Auftrag der AfD unterwegs, die immer wieder zu solchen Anschlägen aufruft wie allgemein zu lesen ist, selber aber nie angegriffen wird, weil die Antifa so schnarchnasig ist, sie einfach in Ruhe zu lassen. Nur der Geistesgegenwart des wackeren Bürgermeisters und der Hilfe des Imbissbudenbesitzers ist es zu danken, dass der arme Bürgermeister nicht in seinem Blute verreckt ist. Was für Pack sich doch im beschaulichen Altena herumtreibt. Man sollte es wegsperren, für immer!
Die zweite Fassung der Geschichte können sie überall in deutschen Medien nachlesen, z. B. hier, hier oder hier.
Die erste Fassung, die der Realität dummerweise ganz offensichtlich recht nahe kommt, bekommt man praktisch nirgendwo zu lesen. Man muss schon sehr danach suchen. Dann findet man sie z. B. hier. Immerhin.
Wünsche ein gesegnetes Fest, ganz im Zeichen der Wärme und Nächstenliebe ... und des Kampfes gegen Rechts! Bis auf's Messer, versteht sich.