Ich erinnere mich an eine kürzlich auf fisch+fleisch gelesene Replik von Anneliese Rohrer. Sie schrieb darin über einen ihr unterlaufenen Fauxpas, als sie das Team Stronach mit dem Kinderlied „Zehn kleine Negerlein“ verglich. Ein pointierte Aussage darüber, dass sich eine vermeintlich regierungsfähige politische Partei in Österreich kontinuierlich selbst dezimiere. Darauf folgte eine Welle der Empörung: das dürfe man nicht sagen, das wäre ein Akt unbedachter Diskriminierung, und eine junge Frau, so schrieb Anneliese Rohrer, meinte ihr gegenüber: wäre sie bei der Diskussion gewesen, sie hätte ihr ordentlich die Meinung gesagt.
Wir sind empfindlich gegenüber leichtfertigen Pointen. Und zurecht. Jeder Mensch hat das Recht auf respektvolle Behandlung. Auch die Verunglimpfung einer Gruppe, der sich ein Mensch zugehörig fühlt, beleidigt den sich zugehörig Fühlenden.
Die Pointe ist das schneidende Schwert, das sowohl den Finger in die Wunde legt als auch die Wunde zufügt. Oder wenn man so will: der Stift. Dabei haben wir eine Pointen-Kultur entwickelt, die uns hilft, mit Problemen unserer tatsächlichen Kultur und den Alltäglichkeiten, denen wir zumeist machtlos gegenüber stehen, umzugehen. Wir sind Kabarettisten, Comedians, Karikaturisten bzw. Cartoonisten für ihre Pointen dankbar, weil sie uns mit dem von ihnen verursachten Schmunzeln/ Lächeln/ Lachen ein Stück Zorn herausschneiden, der uns ansonsten im Hals stecken bleiben würde. Hierzulande und auch anderswo.
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Aber es gibt dabei ungeschriebene Gesetze. So gern Schotten einen Schottenwitz erzählen, so ungern hören sie einen Nicht-Schotten einen erzählen. Es gibt ein unsichtbares Rahmenwerk, in dem Pointen erlaubt, jenseits dessen Pointen unpassend sind.
Jenseits dieses Rahmenwerkes liegt offenbar die allgemeine Öffentlichkeit. Denn sie setzt sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher Menschen zusammen. Auch solchen, die über manche Pointen nicht lachen können, sondern sich dadurch beleidigt fühlen. Und da beginnt es für uns kompliziert zu werden.
Worüber dürfen wir Scherz treiben? Worüber dürfen wir die Schärfe einer gepfefferten Pointe ausstreuen? Was dürfen wir – wie es so schön heißt – uns herausnehmen? Und welche Reaktion ist als Empörung darüber akzeptabel?
Terrorismus ist definitiv inakzeptabel. Empörung über eine Verunglimpfung dessen, woran man glaubt, womit man sich selbst identifiziert, dessen, was einem heilig ist, ist nachvollziehbar. Sie ist sogar wichtig, um weiter für das „Richtige“ einzustehen. Gewalt ist es nicht. Sie erzeugt Gegengewalt. Sie macht Angst. Und damit werden wir alle, jeder einzelne, schwer fertig. Die Pointe hat jedoch nicht nur die verletzende, sondern auch die andere, die heilende Kraft. Auch daran sollten wir uns erinnern.
Wir sollten dieser Tage auch nicht vergessen, dass 1,57 Milliarden Muslims sich über die Pointe nicht empört hatten. Wir dürfen nicht vergessen, dass es brutale Akte des Terrors auch von den eigenen Mitbürgern gegeben hat, gibt und geben wird. Die Empörung gegenüber Moslims ist deshalb ebenso unangebracht. Die Empörung – und das ist die Krux an der Sache – hat keine eindeutige Richtung. Es sind zwar Moslims, die diesen aktuellen Terrorakt begangen haben bzw. eventuell gerade immer noch begehen; Anders Behring Breivik allerdings war kein Moslim.
Wir sind empfindlich geworden. Wir sind terrorisierbar geworden. Von innen und von außen. Wir haben Fehler gemacht – wir als die, die unsere Vertreter in der Öffentlichkeit gewählt und akzeptiert haben. Wir haben Verantwortungen, die wir oft erfüllen und oft nicht erfüllen können. Aber dadurch sind wir auch wieder ein wenig unzulänglicher, ein wenig mehr Mensch geworden. Wir erkennen, dass ein Lachen verletzt. Wir erkennen, dass eine Pointe oftmals eher unangebracht als sinnstiftend ist.
Die Franzosen standen am Mittwoch auf und proklamierten in der Öffentlichkeit: Not Afraid. Das wird es jetzt brauchen. Denn nur wer keine Angst hat, kann frei und hellauf lachen. Dazu brauchen wir die Macht der Pointen. Wenn wir uns auch klar werden müssen, an wen welche Pointen zu richten sind. Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, haben mit Pointen umgehen zu können, die gegen sie gerichtet sind. Menschen, die Pointen liefern, müssen wissen, über wen sie gemacht und an wen sie gerichtet sein können. Hierin liegt auch eine Verantwortung der Medien.
Man verstehe mich „um Gottes willen“ nicht falsch. Die Terrorakte sind alles andere als eine Pointe. Aber der vermeintliche Grund dafür bestand darin. Und der Tragödie der Opfer und deren Angehöriger gehört unsere volle Betroffenheit. Aber: Wir brauchen die Pointe. Und wir wollen sie auch nicht aufgeben. Aber wir lernen allmählich, in welchen Rahmen sie gehört.