Eigentlich wollte ich nur zu Isabelle Daniels Beitrag einen Kommentar schreiben.
https://www.fischundfleisch.at/blogs/jetzt-ich.html?id=2656&view=entry
Doch es funktionierte nicht als Kommentar.
Denn: Tatsächlich ist es eine schwierige Diskussion, weil sie bereits 1979 hätte geführt werden müssen. Damals übernahm Khomeini den Iran, als ersten islamischen Staat. Seine Motivation war es, das Land von der durch westliche Politik und der damit verbundenen Inthronisierung des Shahs einsetzenden "Verlotterung" zu befreien. Wenn also heute im Namen der Demokratie der Iran - und andere islamische Staaten - als Schurkenstaaten und als Boden für den Terrorismus bezeichnet werden, muss man sich zuerst einmal vor Augen halten, dass durch die britisch-amerikanische Inthronisierung des Schahs der Demokratisierungsprozess im Iran unter Hossein Hossein Ali abgebrochen worden war.
Der Grund war damals – wie oftmals auch heute – das Öl.
Damals, als es eine erste "islamische" Reaktion (auch politisch) gab, wäre die Diskussion über "Jihadisten" denkbar sinnstiftend gewesen. Was stattdessen folgte, waren drei Golfkriege: der erste, begonnen von Saddam Hussein gegen den Iran, richtete sich gegen ein mögliches Aufkommen der Shiiten auch im Irak. Der zweite begann mit der Eroberung Kuweits durch Saddam und der geplanten Befreiung Kuweits durch die USA und deren Alliierte. Der dritte war eine – manche meinen völkerrechtswidrige – Invasion von Streitkräften der USA und Großbritanniens im Irak. Die Folgen sind immer noch sichtbar.
Mehr als 40 Jahre hat man es verabsäumt mit diesen Menschen zu reden. Stattdessen wurden Kriege geführt. Natürlich nicht von uns. Wir sind neutral. Aber wir – und ganz Europa – erleben die Folgen der Unterlassung dieser Diskussion.
Ein Professor für arabische Sprache hat mir seine Interpretationdes Jihad gegeben: die Verteidigung der Familie. Er glaubte fest an diese Interpretation.
Andere glauben, dass jeder Feind Allahs (also: jeder Nicht-Muslim) eine Bedrohung darstelle. Wenn man sich anschaut, woher die meisten dieser heute als „Jihadisten“ bezeichneten Menschen kommt, so sind es Menschen aus Ländern, deren Feinde (!) seit Jahrzehnten vom Westen unterstützt werden.
Natürlich ist es grundsätzlich schlecht, wenn man überhaupt Feinde hat – obwohl ja ein deutsches Sprichwort das Gegenteil aussagt („Viel Feind, viel Ehr“). Und natürlich steht es jedem Land und jedem Block frei zu unterstützen, wen immer es für richtig findet. Aber die Verwunderung über die Gegenwehr verwundert.
Wenn heute jemand Berlin kennt, verwundert auch die Verwunderung über die PEGIDA. Der Prenzlauer Berg, einst Vorzeigemeile im Berlin nach dem Mauerfall, ist heute am Boden. Wenn heute jemand Dresden kennt, dann verwundert die Verzweiflung der Menschen dort in keinster Weise. Auch sie sehen den Feind unterstützt: sie sind doch Deutsche! Nicht diese Moslems!
Man hat ihnen das Blaue vom Himmel herunter versprochen – und man hat auch viel getan -, aber letztlich war man nicht in der Lage diese Versprechen auch nur annähernd zu erfüllen.
Das enorme Problem, das wir heute haben, ist: jede fundamentalistische Gewalthandlung (sei es nun islamistisch, deutsch-national, rassistisch, etc.) bringt eine Argumentationsgrundlage für die andere Seite, um ebenso vorzugehen. Das verhängnisvolle daran ist, dass es Europa betrifft. Nicht dass es besser wäre, wenn es andernorts passiert.
Ich denke nicht, dass man Gewalt entschuldigen kann. Ein Leben zu nehmen (ob durch Tod oder Trauma, das ist in gewisser Weise gleichwertig) ist zu endgültig, um entschuldbar zu sein. Das gilt auf jeder Seite. Es gilt auch auf der Seite derer, die Menschen einen Vorwurf daraus machen, aus Angst falsche Schlüsse zu ziehen.
Es bleibt aber dennoch die Frage offen, wie wir aus dem Schlamassel wieder herauskommen.