Russland wird ja gerne hier entweder glorifiziert und als unverwundbar dargestellt oder als Bande von Bozos die sich nichtmal die Schuhe binden können. Das realistische Mittelstück fehlt irgendwie komplett. Da wir denke ich Alle ein Interesse daran haben die Sowjetunion nicht wieder aufleben zu lassen sollten wir uns jetzt mal gemeinsam ansehen was Russland an Mitteln in der Hand hat und wie es die aktuellen Herausforderungen stemmt.

Ich denke die Mehrheit des Westens hat sich von den Sanktionen mehr versprochen als tatsächlich am Ende dabei rumkommt. Das hat verschiedene Gründe. Wir gehen sie der Reihe nach durch.

Sanktioniert werden wir ohnehin!

Die russische Wirtschaft wird seit 2014 durchgehend sanktioniert. Sanktionen über solch einen Zeitraum erlauben es einer Wirtschaft sich entsprechend zu adaptieren. Aus einer Strafe die man auf jeden Fall vermeiden will wird ein Erschwernis und Overheadkosten. Im Laufe der Zeit kommt dann der durchschnittliche russische Unternehmer natürlich auch zum Schluss: Es ist eh wurscht was wir machen denn so oder so werden wir sanktioniert. Und russische Unternehmer sind, wenn es darum geht ihre Firmen zu erhalten und nicht unter der Brücke zu landen, ebenso kreativ wie Unternehmer im Westen. Man passt sich an oder geht unter. Und die Russen hatten viel Zeit sich anzupassen. Damit die Sanktionen wirklich greifen bräuchte es eine Exit-Strategie die man der russischen Bevölkerung zeigt und die für diese auch umsetzbar sind.

Die Einbrüche sind signifikant

Das BIP vor dem Ukrainekrieg war klar auf Wachstum: Ein Plus von 5,6%. Nun ist bei -3%. Das ist ein massiver Einbruch. Es ist kein Todesstoß aber weh tut es trotzdem.

Ich kann etwas billiger und schlechter machen

Auf den ersten Blick kriegt man in Russland eigentlich Alles was man bei uns auch bekommt. Die Produktionen laufen im Großen und Ganzen weiter, Unternehmen wie Nestle haben sich noch nie von sowas Lächerlichem wie "Gesetze" am Geld scheffeln hindern lassen... die Regale in Supermärkten sind gefüllt, wenn ich ein Auto haben will kann ich eines kaufen... Alles ok also für die Russen right?

Nun ja... fast. Die Qualität russischer Produkte hat seit Beginn des Ukrainekriegs dramatisch abgenommen. Das beginnt bei Autos die keine Servolenkung haben, geht über Medikamente und endet bei Milchpulver welches so in keinem westlichen Land verkauft werden würde.

Die Maßnahmen Russlands

So. Was hat Russland nun für Zaubertricks angewandt und wie hält es die Wirtschaft am Laufen? Spoiler: Die Entscheidungen die man jetzt trifft sind keine Neuerfindungen. Die Konsequenzen sind immer die gleichen: Während ich die zunehmend desaströseren Auswirkungen auf meine Wirtschaft wie einen Schneeball vor mir herschiebe halte ich zwar alles am Laufen: Am Ende wird der Schneeball aber zur Lawine und reisst Alles in seiner Schneise mit sich. Da es aber darum geht einen Krieg zu gewinnen und Kapitulation keine Option ist kann man mit unvernünftigen Entscheidungen den Laden sehr lange am Laufen halten.

Kriegswirtschaften sind sehr selten so schnell kollabiert wie man es sich wünschte. Im ersten Weltkrieg kollabierten Kriegswirtschaften deshalb weil die Bevölkerung den Herrschern die Entscheidungen ob man den Krieg fortführen möchte abgenommen hat.

- Zwangsumtausch

Wenn man Fremdwährung einnimmt (zB. Dollars oder Euros) muss man einen Teil davon in Rubel umtauschen.

Vorteil des Tricks: Damit kann man den Rubel künstlich stabilisieren.

Nachteil des Tricks: Man entwertet damit die Unternehmen die mit Fremdwährungen arbeiten und schreckt Investoren auf Jahrzehnte ab.

- Beschlagnahmung von ausländischen Unternehmen: Ritter Sport hat es ganz gut zusammengefasst: Ob die nun in Russland bleiben oder nicht ändert nix an der Sache, dass dort Schokolade produziert wird. Wenn Rittersport aus Russland abgezogen wäre, wäre die Fabrik am nächsten Tag von jemand anderem betrieben worden. Also halt bleiben.

Nachteil des Tricks: Ausländische Firmen werden sich hüten dort etwas Neues aufzubauen. Der Trick funktioniert außerdem nicht bei komplexen Gütern. Mag sein, dass Russland nun zB. ein paar Autofabriken besitzt die es vorher nicht hatte. Aber ein Auto entsteht nicht in einer Fabrik sondern Dutzenden. Russland kann also bei komplexen Gütern nur irgendwelche Husks zusammenbauen oder auf Komponenten zweiter oder dritter Klasse ausweichen.

- Der Sturz aus dem Fenster: Ein Klassiker für Unternehmer die nicht in der Spur bleiben: Sie fallen gerne aus Fenstern, haben Unfälle oder begehen Selbstmord. Die Firma läuft dann bei jemand weiter der mehr an seinem Leben hängt und der Besitz geht in russischem Staatsbesitz auf.

Nachteil des Tricks: Sowas ist klassisch "Only in russia" Und geht nur deswegen weil die Russische Mafia im Herzen der russischen Regierung ist. Also: Wer möchte gerne sein Glück in Russland versuchen? Seit dem Ukrainekrieg hat Russland nicht nur eine beachtliche Menge an Selbstmorden unter Unternehmern: Viele sitzen auch auf gepackten Koffern. Wie gut ist es für ein Land langfristig seine Unternehmer umzubringen oder zur Flucht zu treiben?

- Der Griff ins Sparschwein: Russland profitiert aktuell von einer Wirtschaft die konstant wuchs, einem jahrelangen Haushaltsüberschuss und umfangreichen Arsenalen aus dem Kalten Krieg. Diese Ressourcen werden nun aufgebraucht.

Nachteil des Tricks: Es wird noch eine Zeit lang dauern bis Russland sich durch seine Ersparnisse und seine Arsenale gearbeitet hat. Aber der Tag kommt. Man kann Ersparnisse nunmal nur einmal ausgeben.

- Höhere Sparzinsen und "Kriegsbonds": Wenn man dafür sorgen will, dass die Bevölkerung nicht ihr Geld unter der Matratze hortet aus Angst enteignet zu werden oder kein Geld mehr aus dem Automaten zu bekommen: Erhöht die Zinsen die das Volk für das Geld bekommt. Damit kann man das Geld der Bevölkerung da investieren wo es gebraucht wird: In den Krieg.

Nachteil des Tricks: Mit erhöhten Zinsen für Sparer steigen auch die Kreditzinsen. Unternehmen die zur falschen Zeit investiert haben können dadurch einen Genickbruch erleiden. Zudem müssen die Zinsen bedient werden. Das Geld das ich jetzt bekomme kommt mir in Zukunft teuer zu stehen.

- Werft die Druckerpressen an: Wenn man Geld braucht als Staat dann ist nichts einfacher als welches zu drucken.

Nachteil des Tricks: Das geht wunderbar denn es dauert eine Zeit bis all das schöne, neue Geld durch die Wirtschaft gerauscht ist. Das Ergebnis am Ende der Straße ist Hyperinflation aber wenn man einen Krieg am Laufen halten will dann ist man mehr im "Jetzt und Hier" fixiert als auf "In 5 Jahren"

- Preiskontrollen: Mit all den Maßnahmen hat man nun aber das Problem das die Währung irgendwann kollabiert. Man kann dem gegensteuern mit Preiskontrollen. Eine Ware darf dann nicht mehr als einen fixen Deckel kosten.

Nachteil des Tricks: Wenn ich eine Ware mit Verlust verkaufen muss werde ich sie nicht mehr produzieren. Wenn man also die Firmen am Laufen halten will die Waren herstellen muss man auch ihre Rohstoffe mit Preisdeckeln versehen. Das hat in Amerika während dem zweiten Weltkrieg zur Gründung einer eigenen Behörde geführt die praktisch alle Preise reglementiert hat: Die OPA. Die Inflation kann man damit, wenn man es gut macht, lange unter Kontrolle halten. Viele Fehler darf man sich dabei aber nicht erlauben. Die Resultate wo man dabei scheitert sind häufiger als die Erfolge.

Das sind längst nicht alle Maßnahmen die man als Staat ergreifen kann um sich in einem Krieg zu halten. Es sind die, die Russland ergriffen hat. Russland hat schnell und entschieden auf die westlichen Maßnahmen reagiert und dabei überkorrigiert aber das Ziel haben sie vorübergehend erzielt: Niedrige Arbeitslosigkeit und niedrige Inflation. Der russische Kollaps aufgrund eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs - er wird nicht so schnell kommen.

Fazit

Aufmerksame Leser werden gemerkt haben, dass diese Aussagen so in Teilen auch auf den Westen zutreffen. Kurz: Weder leidet nur Russland noch sind wir davon unberührt. Ich denke nicht, dass Russland diesen Krieg gewinnen kann. Alle Wirtschaftsdaten sprechen dagegen. Ein Teil der Maßnahmen oben wurden auch in Europa getroffen. Nur längst nicht in der Härte und dem Umfang wie in Russland. Der Grund dafür ist eben, dass all diese Maßnahmen etwas kosten. Nicht heute aber in 5, 10 Jahren.

Daher: Wir sollten nicht so tun als wären die Russen ein Haufen unfähiger Vollidioten die sich nichtmal selber die Schuhe binden könnten. Das sind sie weder wirtschaftlich noch militärisch. Russland ist lernfähig. Und seinem Gegner die Lernfähigkeit abzusprechen ist ein sicherer Weg eine schmerzhafte Lektion zu erlernen. Und eine sehr teure.

Krieg ist ein ruinöses Unterfangen. Es ist nach wie vor verwunderlich, dass er dennoch immer wieder geführt wird, denn danach steht man selten besser da als vorher.

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