Der stärkste Mann am Bosporus
D einzige Gewinner
Am 1. November hat die Bevölkerung der Türkei in Neuwahlen über ihre Zukunft abgestimmt. Das Resultat war wohl auch für die größten AKP Sympathisanten eine Überraschung. Trotz zahlreicher innen- und außenpolitischer Probleme konnte die regierende Partei ihre Stimmen von etwa 40% auf über 49% steigern. Damit hat die AKP die nötige Parlamentarieranzahl für eine absolute Mehrheit im Parlament. Die AKP und Erdogan sind die einzigen Gewinner der Wahl.
Die Verlierer
Somit sind alle anderen politischen Fraktion die eigentlichen Verlierer der Wahl. Trotz starker Umfragewerte stagnierte die sozialdemokratische Oppositionspartei CHP mit 25% und verlor einige ihrer Bastionen an die AKP. Die größte Überraschung der Wahl im Juni, die kurdennahe HDP, verlor ebenfalls an Stimmen und konnte die 10% Hürde nur relativ knapp mit 10,4% der Stimmen, durch die Unterstützung von Auslandstürken (zum Beispiel in der Schweiz oder in Großbritanien wo sie erneut die stärkste Fraktion wurden), überwinden. Der größte Verlierer der Wahl ist zweifelsohne die ultranationalistische MHP. Ihr Stimmanteil ist von 16,29% auf unter 12% gesunken.
Neben den Oppositionsparteien zählen auch alle türkischen Meinungsforschungsinstitute zu den Verlierern der Wahl. Wie schon in Österreich, Griechenland, Kanada und Großbritanien gab es auch in der Türkei eine große Abweichung zwischen den Prognosen der Institute und dem tatsächlichen Wahlresultat.
Mögliche Gründe für den Wahlerfolg
Zum jetzigen Zeitpunkt kann über den unerwarteten Erdrutschsieg der AKP nur spekuliert werden. Fakt ist, dass es ihr gelungen ist den nahezu umöglichen Spagat zwischen koservativen Kurden sowie türkischen Nationalisten zu machen und aus beiden Lagern zu fischen. Das Abwerben des Sohnes des Gründungsmitglieds der Ultranationalisten und die koalitionsunwillige Haltung dieser Partei dürften einige der Gründe für die Wanderung der Stimmen von der MHP an die AKP gewesen sein. Wie die AKP trotz dem Wiederaufleben des Kurdenkonflikts, in Kurdengebieten an Stimmen gewinnen konnte, ist aber wesentlich schwieriger zu beantworten. Sogar in der Kurdenhochburg Diyarbakir konnten sie sich von 14%auf 22%steigern. Nach dem Verlust von einigen Gebieten in Südostanatolien bei den letzten Wahlen hat sich die AKP dort neu aufgestellt und ihre Kandidaten verändert. Zudem ist die fundamentalistisch-islamistische kurdische Kleinpartei HÜDAPAR diesmal nicht angetreten und dies könnte ebenfalls zum Erfolg der AKP beigetragen haben. Womöglich könnten aber auch konservative Kurden aus Protest gegen die PKK und deren Aktionen die AKP unterstützt haben. Die bisherigen Erklärungsversuche wirken aber nicht zufriedenstellend. Nahezu alle Türkeiexperten waren sich einig, dass die zunehmende Nationalisierungspolitik der AKP und die Gefechte zwischen dem Militär und der PKK in Stimmenverlusten in der kurdischen Bevölkerung resultieren würden. Dass, die Kurdenfrage differenzierter zu betrachten ist, dürfte spätestens jetzt auch bei westlichen Medien angekommen sein.
Der stärkste Mann am Bosporus
Der eigentliche Gewinner der Wahl dürfte Recep Tayyip Erdogan sein. Sein Plan die absolute Mehrheit durch Neuwahlen zu erringen ist aufgegangen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung war die Türkei so stark polarisiert, dass größere Umschwünge von Wählerstimmen äußerst unwahrscheinlich erschienen. Entgegen aller Prognosen (inklusive meiner) ging die AKP in die Neuwahlen und überraschte die ganze Welt. Mit einem aktiven und semi-legalen Wahlkampf -man darf nicht vergessen, dass rein technisch betrachtet, Erdogan als amtierender Präsident keine Partei öffentlich unterstützten dürfte- mobilisierte Erdogan die Wählerschaften die der Premier Davutoglu zuvor bei den Wahlen im Juni nicht mobilisieren konnte. Die Wahlbeteiligung stieg bei den Neuwahlen sogar an und erreichte mehr als 85% - ein Wert, der für viele westliche Länder unvorstellbar ist.
Zukunft des Landes
Für die Oppositionellen jeglichen Spektrums ist dieses Resultat keine gute Nachricht. Möglicherweise wird sich die AKP in ihrem autoritären und repressiven Führungsstil der letzten Jahre bestätigt fühlen und die Repressalien fortsetzen oder sogar intensivieren. Erst letzte Woche wurde in der oppositionelle Koza-Ipek Mediengruppe eine Razzia durchgeführt. Beide TV Kanäle dieser Gruppe wurden vom Staat beschlagnahmt und es wurde bekanntgegeben, dass es eine redaktionelle Neuausrichtung geben wird. Es nicht unwahrscheinlich, dass auch in Zukunft weitere kritische Medien „umfunktioniert“ werden.