„Jedes Kind hat Talent“. Wen kümmert’s?

Mein Kind hat einen Einser auf die Deutschschularbeit. Mein Kind hat überhaupt lauter Einser im letzten Jahreszeugnis der dritten Klasse Volkschule. Bis auf Mathematik. Denn mein Kind hat eine Rechenschwäche.

Jenes Kind, das vor 3 Jahren, also in der 1. Klasse Volksschule, von einem beliebig föderalistisch österreichischen Schulsystem als Schülerin mit Sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) eingestuft worden wäre. Und zwar in allen Fächern. Ich wiederhole, in allen Fächern. Das hätte bedeutet: Das Kind wird in seinen sonstigen Fähigkeiten und Begabungen weit unter seinen Möglichkeiten gefördert. Das hätte bedeutet: Das Kind schleppt den SPF womöglich bis in die Mittelschule weiter (als Eltern hat man kein Mitspracherecht!). Das hätte bedeutet: Dem Kind ist der Umstieg in ein Gymnasium verwehrt. Das hätte bedeutet: Das Kind kann nicht die Matura machen. Das hätte bedeutet: …

Weil: Blöd, dass wir in Wien wohnen. Weil: Blöd, dass wir im 13. Bezirk wohnen. Weil: Hier ist kein Teil-SPF vorgesehen – also gesonderte Förderung für die betreffende Lernschwäche. Da teilt der hiesige Bezirksschulinspektor die Kinder lieber über einen Kamm. Rechenschwäche? Na, dann wird das Kind wohl auch für alle anderen Fächer nicht g‘scheit genug sein, um dem regulären Lehrplan folgen zu können. (Wäre das Kind Legastheniker schauert die Sache übrigens schon wieder anders aus. Da gibt es Teil-SPF-Status. Schüler mit Dyskalkulie, also Rechenschwäche, fallen leider durch den Rost.)

Unsere Lösung war keine einfache: Das Kind musste schultechnisch emigrieren. Nach Niederösterreich. Denn dort gibt es nicht nur einen Teil-SPF (den unser Kind im Übrigen bisher niemals in Anspruch nehmen musste!), sondern auch spezielle Dyskalkulie-Förderung.

Die gute Nachricht: Wir verfügen über ausreichend finanzielle Mittel (Privatschule, zusätzliche externe Förderung), über ausreichend logistische Unterstützung und Flexibilität (langer Schulweg) und auch über den ausreichend langen Atem für eine Auseinandersetzung mit Ämtern und Schulgesetzen, um in Eigeninitiative unser Kind bestmöglich zu fördern. – Was ist mit jenen Kindern, deren Eltern in solchen Fällen nicht auf die Barrikaden steigen (können)?

„Jedes Kind hat Talent“? – Wen kümmert’s?

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fischundfleisch

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Claudia Braunstein

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Kristallfrau

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WasMichBewegt

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