Irgendetwas ist anders geworden, aber was?
Ab wann fing es an, dass sich etwas (ungewisses) zu ändern begann? Es gab die ersten Krisen (überschaubare im Gegensatz zu den Heutigen). Allerdings konnte in diesem "Nährboden" eine andere Ideologie fußfassen, die reine Marktwirtschaft.
Was früher bedarfsorientierte, soziale Marktwirtschaft war ist heute leistungsorientierte Marktwirtschaft; wer nichts leistet braucht auch nichts zu essen. Was früher Nachfrageorientierung, gute, dauerhafte Qualität, war ist jetzt Angebotsorientierung. Unzählige mehr oder weniger nützliche Produkte, endlose Neuerschaffungen des Gleichen. Die Produktion und der Verkauf stehen über allem, Qualität ist Nebensächlich und auf Grund der real sinkenden Löhne für viele nicht mehr leistbar.
Lange Zeit war es still, die Menschen zehrten noch von den guten Zeiten in denen es wirklich fast allen möglich war etwas Eigenes aufzubauen. Die ständige Wohlfühlpropaganda, dass es uns allen so gut geht und jeder erreichen kann was er/sie will, wenn sie/er sich nur genug anstrengt (Leistungsorientiert) überdeckte erste Anzeichen des nunmehr allgegenwärtigen Niedergangs des sozialen Gefüges. Wir konnten vielfach nicht sehen, was passiert, denn oberflächlich betrachtet war es doch wirklich eine Welt des Überflusses und des Wohlstandes.
Langsam fällt es immer mehr Menschen auf, dass sie eigentlich zu den Verlierern zählen. Mit jeder Krise gab es mehr Verlierer und einen immer kleiner werdenden Kreis aus Leuten die selbst aus der Krisen noch Kapital zu schlagen vermochten.
Die letzte Krise hat den Kapitalismus wieder vermehrt in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Zu Recht bemühen sich jetzt Soziologen und Philosophen um die Umstände die in die Krise geführt haben und wie wir da alle wieder rauskommen. Zu lange wurde der Bock zum Gärtner gemacht indem Ökonomen für das Wohl der Bürger verantwortlich waren. Ökonomen kümmern sich um die Wirtschaft nicht um die Menschen.
Wirtschaft und Politik gehorchen zwar unterschiedlichen Regeln stehen aber in Abhängigkeit zueinander. Einerseits soll in einer Demokratie das Volk mitregieren können, andererseits sollen unberechtigte Machtansprüche im Zaum gehalten werden. Denn natürlich, je größer die individuelle Freiheit und das Vermögen umso großer die Ansprüche und die Möglichkeiten diese auch durchzusetzen. Die Angst der Vermögenden ist, dass ihr Vermögen vermehrt besteuert und ihre Rechte beschnitten werden. Demokratie, als Regierungsform wurde daher seit jeher nur soweit toleriert solange weder Rechte beschnitten noch Vermögenswerte unangetastet wurden.
Das Problem; Demokratien sind anfällig für soziales Ungleichgewicht und bleiben nur so lange stabil, so lange die Bevölkerung das Gefühl hat wirklich gefragt, nicht über Tisch gezogen werden und weite Teile der Bevölkerung einen angenehmen Lebensstandard pflegen können.
Für eine Weile, nach dem 2. Weltkrieg, konnte dieser fast paradiesische Zustand eines ausgewogenen Wohlfahrtsstaates etabliert werden. Die goldenen Jahre des Wirtschaftswunders.
Die Anerkennung des Marktes und die soziale Gerechtigkeit koexistierten in der sozialen Marktwirtschaft. Das Zusammengehörigkeitsgefühl einer starken, kämpferischen Arbeiterschaft vertreten durch ihre Sozialpartner machten es Jahrzehnte möglich, dass die seit jeher bestehenden gesellschaftlichen Klassen, zumindest zum Teil aufgehoben wurden. Die Gewerkschaften fungierten als kooperatives Bindeglied zwischen Politik, Wirtschaft und dem arbeitenden Bürgertum. Niemand fühlte sich übervorteilt bis zu den ersten Krisen, von da an wurde das konservative politische Lager stärker und orientierte sich vermehrt am amerikanischen Vorbild der neoliberalen Marktwirtschaft. Sie sahen den breiten Konsens in der Bevölkerung als Schwächung ihrer Rechte und musste umgehend beseitigt werden.
Seither stellen jede Regierung und jede Partei den Wohlfahrtsstaat an sich in Frage, was nicht ohne Folgen blieb. Wenn immer wieder die gleichen Slogans von den „faulen Arbeitslosen“ den „sozialen Hängematten“, dem „Leistung muss sich wieder lohnen“ zu hören sind dann fühlen sich selbst jene schuldig die auf staatliche Leistungen angewiesen sind. Leistungsorientierte „Wettbewerbsideologie“ ist unser neues Mantra. Die Gewerkschaften verloren ihre Mitlieder und wurden nachhaltig so geschwächt, dass sie sogar Lohnverzicht zustimmten. Aus war es mit dem Sozialstaat, wenn der Rückhalt in der Bevölkerung fehlt, kann das Gesetz „Leistung und Anpassung an die Bedürfnisse des (freien) Marktes“ endlich in Kraft treten.
Erst durch die Entmachtung der Sozialpartnerschaften war es möglich diese politische Strömung durchzusetzen.
Mit wachsenden Einfluss der Medien konnte man der breiten Bevölkerung weitreichende soziale Einschnitte und zunehmende Nicht-Partizipation als deren Vorteil „verkaufen“, denn tatsächlich handelte es sich beim Wohlfahrtsstaat um die Zurücknahme des Staates zum Wohle der Bürger indem er ein umfassendes soziales Netz zur Verfügung stellte, die Bürger in ihren Rechten aber nicht beschnitt sondern förderte. Wer kann sich noch an die Zeit erinnern wo nicht ständig reglementiert, zertifiziert und dokumentiert wurde. Man vertraute auf die Selbstbestimmtheit der Menschen ohne sie ständig anweisen und gängeln musste.
Je weiter sozialstaatliche Aspekte aus der Politik verdrängt wurden umso größer wurde und wird das Desinteresse am politischen Geschehen. Die Menschen fühlen sich immer weniger von der Politik, die sie mitbestimmen sollen, betroffen.
Es gibt im Grunde nichts zu bestimmen, und wenn doch, dann ist das Resultat bloße Makulatur, letztendlich kommt es doch anders als das Volk entschieden hat. „Politikverdrossenheit?“ und „Glaubwürdigkeitsverlust!“. Erhalten blieb eine Zuschauerdemokratie; die Regeln bleiben bestehen, die Entscheidungen werden aber von Wirtschaftsinteressen geleitet.
Damit die Bevölkerung so wenig wie möglich von der Scheindemokratie mitbekommt braucht es ein umfassendes Mediensystem zur Gleichschaltung und Ablenkung. Die Absicht des Neoliberalismus ist, und das ist eine politische Entscheidung die durch alle Lager hindurch mitgetragen wird, die Rolle des Marktes zu stärken. Alles was nicht „Markt“ ist muss dagegen geschwächt werden, Infrastruktur, öffentlicher Dienst, Gemeinwohl, soziale Dienste, ….
Es heißt die Demokratie wäre in der Krise. Es heißt wir wären demokratiemüde, das Interesse fehlt und wir könnten diese Errungenschaft der Demokratie in der Zeit der allgemeinen Übersättigung nicht mehr schätzen.
Ein Blick zurück in die lange Geschichte der Demokratie zeigt, Demokratie war seit jeher unbeliebt besonders unter jenen die Einfluss zu verlieren hatten.
So auch jetzt, mit allen Mittel wird immer mehr die freie Marktwirtschaft durchgedrückt, dafür braucht es abhängige, desinteressierte Menschen.
Wie konnte ganz ohne Druck eine Gesellschaftsform etabliert werden die ganz weitrechende, negative Einschnitte für die Bevölkerung brachten?
Der Druck auf die Gesellschaft nimmt heute eine meist wohlwollende, freundliche Form an und macht sich daher unsichtbar und vor allem unangreifbar. Freiwillige Selbstdurchleuchtung und freiwillige Selbstausbeutung. Niemand ist sich der Tatsache bewusst, dass an allen Ecken und Enden Ausbeutung und Kontrolle stattfindet. Die neoliberale Wirtschaftsform ist deshalb so erfolgreich, weil sie mit dem Deckmäntelchen der absoluten Freiwilligkeit daherkommt.
Zwei Dinge waren Notwendig.
Erstens musste die Politik mitmachen und vorbehaltlose Wirtschaftspolitik und größtmögliche wirtschaftliche Freiheit gewährleisten.
Zweitens brauchte es den Rückhalt in der Bevölkerung. Grenzenlose Freiheit war das Zauberwort; Werbung und Lobbying bereiteten den Weg und sorgten dafür, dass ihnen nichts in die Quere kam.
Aber, es sind nicht nur Werbestrategen und Lobbyisten die Stimmung in die eine oder andere Richtung machen können. Finanzpolitische Druckmittel sind noch weitaus unangenehmere Instrumente um politische Entscheidungen „positiv“ zu beeinflussen. Niemand kann besser Druck auf Staaten und Unternehmen ausüben als die internationalen Finanzmärkte (Banken, Versicherungen, Rating-Agenturen). Eine kleine Drohung, „Kapitalflucht“ oder „Downgrading“, reicht. Sogar der Wirtschaftspresse war es möglich so viel Druck auszuüben, dass politische Entscheidungen über Sozialleistungen, Arbeitsbedingung oder Privatisierung von Unternehmen im Sinne der Wirtschaft getroffen wurden.
Zitat: (www.zeitschrift-luxemburg.de, 14.7.16) Gegen die Kritik von Pierre Bourdieu an der Herrschaft der Finanzmärkte – verbunden mit der Aufforderung an die streikenden Arbeiter in Frankreich, die Errungenschaften des modernen Wohlfahrtsstaates zu verteidigen verwies Hans Tietmeyer, der frühere Chef der Deutschen Bundesbank, auf die »wohltuenden« Wirkungen der internationalen Finanzmärkte: Sie seien in der Lage, gleichsam über Nacht (eben: durch Kapitalflucht) »falsche politische Entscheidungen« nationaler Gesetzgeber zu korrigieren.
Für die Bevölkerung ist effektiver, ihnen einerseits das Gefühl grenzenloser Freiheit zu vermitteln und sie andererseits durch Abhängigkeiten zu „disziplinieren“. Eingelullt von Freiheit und unendlichen Wahlmöglichkeiten und zu müde um für eigenen Bedürfnisse einstehen zu können.
Je ruhiger die Bevölkerung umso gefestigter die neoliberale Staatsform und umso mehr kann der Staats sich jeder Verantwortung entziehen.
Das ist jetzt die Krise die destabilisierend wirkt. Die Bevölkerung hat zumindest teilweise und besonders aufgrund der breiten Öffentlichkeit in sozialen Medien, durchschaut was passiert. Die kritische Öffentlichkeit alleine verhindert, dass Markt-u. Wettbewerbsinteressen sowie die endgültige Rettung der Vermögen vor staatl. Zugriffen noch größere Ausmaße angenommen hat.
Demokratie, als Beschreibung alles Guten und Positiven. Den Begriff „Demokratie“ braucht es aber nur, damit alles bleiben kann wie es ist und die Bevölkerung das zunehmende Ungleichgewicht als unabänderliches Schicksal akzeptiert.
Für uns von Bedeutung ist das amerikanische Demokratieverständnis. Amerika war nie eine Demokratie wie wir den Begriff verstehen. US-Bürger genießen zwar individuelle Rechte und Freiheiten, das war’s dann aber auch. Mitbestimmung ist nicht vorgesehen. Wichtige Entscheidungen wurden immer anhand der Vorgaben von Interessensvertretungen beschlossen.
Demokratie wird in Amerika so interpretiert, dass es den Leuten frei steht zu kaufen und zu verkaufen, Geschäfte zu machen, was immer sie wollen, daher der Fokus auf die Rechte des „Freien Marktes.
Auch der Neoliberalismus, der als Idee auch schon lange existiert ist eine Theorie in der der Staat sich nicht einmischt. Die neoliberale Demokratie ist eine Demokratie in der Politik möglichst wenig kontrolliert, regelt und aufzeigt. Das zwangsläufige Das Ergebnis ist politische Apathie und Unbestimmtheit der Bürger, speziell derer die nicht oder keinesfalls zu den Bestimmenden gehören. Die Gesetze werden nicht für sie gemacht, also brauchen sie sich auch nicht damit befassen, denn schon immer stand für Vermögende der Schutz des Kapitals an oberster Stelle.
Kam es zur Bildung von Demokratien musste die Einflussnahme der Bürger raschest begrenzt werden. Zu den Lieblingsausdrücken von Jay und Adams gehörte der Satz: „Die dieses Land besitzen, sollten es auch regieren.“ Während der Verfassungsdebatten sagte James Madison, das Ziel der Regierung sei es, „die Minderheit der Reichen gegen die Mehrheit zu beschützen“.
Diesem Demokratieverständnis nähert sich nun auch die EU immer weiter an.
Zwar braucht jede Gesellschaft zu einem gewissen Teil Offenheit und liberales Denken damit sich die Gesellschaft entwickeln kann, ungebremster Liberalismus wird sich aber aufgrund der Möglichkeiten des Kapitals immer durchsetzen. Das Wohlergehen der Bürger verschiebt sich damit an den Rand demokratischer Interessen.