Oder: Wer hat den schnellsten?
Was kann man mit 100 Euro alles kaufen? Vor einigen Jahren antwortete Claudia Schiffer auf diese Frage „100 Euro? Dafür bekomme ich ja nicht mal ein T-Shirt!“. Heute könnte man dafür je nach Talent und Bedürfnissen in Europa zwischen einer Stunde und einem Monat leben, 5-7 mal ins Kino gehen, zweimal volltanken oder zwei Monatskarten für Bus und Bahn kaufen.
Sie könnten dafür auch morgens um 9 Uhr einen Kredit über 1.000 Euro aufnehmen, das Geld für die Anzahlung eines 10.000 Euro Kredites verwenden und zu einem schnellen Computer gehen, der den internationalen Handelsplätzen in New York, London oder Frankfurt möglichst nahe ist (es geht wirklich um jeden Meter). Sie müssen sich beeilen, denn ihre Kreditgeber erwarten 1.100 Euro bzw. 11.000 Euro um 18 Uhr von Ihnen zurück. Aber der Yen steht gerade günstig, Sie haben vielleicht einen Freund bei Toyota der Ihnen verraten hat, dass die Gewinne in diesem Quartal besser oder schlechter als erwartet sein werden. Es kann losgehen, Sie haben ja einen schnellen Computer. Sie kaufen und verkaufen Yen und Toyota-Aktien (die Sie sich vielleicht auch gerade geliehen haben), einige Millionen mal pro Sekunde. Sie wissen Bescheid, Sie sind im Vorteil, also halten Sie sich ran! Ihr Algorithmus ist ein ganz schlauer denn er sorgt dafür, dass Sie an jeder Transaktion in der 5. Stelle nach dem Komma verdienen.
Wenn Ihr Computer schnell genug ist, können Sie in wenigen Minuten oder Stunden ihre Kredite zurückzahlen, einige hundert oder tausend Euro verdienen und wenn Sie dies alles nicht mit ihrem eigenen Geld, viel viel mehr Geld und jeden Tag von 9 bis 18 Uhr machen, sind Sie Trader und arbeiten für ein großes Finanzinstitut! Willkommen im unendlichen, phantasmagorischen Mikrokosmos unseres Finanzsystems!
Zeit ist Risiko, Risiko kann man versichern, diese Versicherungen kann man handeln
Sie handeln also mit Zeit! Sie kaufen, verkaufen, machen Gewinne und Verluste. Daran ist nichts Schlechtes! Aber was hat die Allgemeinheit, die Gesellschaft davon? Das Land, auf dessen Straßen Sie gerade mit ihrem Maserati unterwegs sind, dessen Schulen Ihre Kinder besuchen, dessen Feuerwehr den Brand in Ihrem Nachbarhaus löschte oder dessen Außenminister gerade ein bilaterales Abkommen mit Japan aushandelt, damit Toyota mehr Autos in Europa verkaufen kann? Ihr Einkommen ist hoch, das freut uns. Sie zahlen Steuern, das ist gut. Aber jeder Computer, den Sie kaufen, jeder Kugelschreiber den Sie benutzen, jeder Kaffee, den Sie trinken, selbst der Maserati, den Sie fahren unterliegt der Mehrwertsteuer. Ihre Käufe und Verkäufe im Bereich von Milli-, Micro- und Nanosekunde, die in Summa weltweit das Mehrfache der realen Wirtschaft ausmachen, tun dies nicht!
Es war einmal…ein Rechnungsdatum
Rechts oben, unter dem Briefkopf stand und steht es. Gültig von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Exakt zwischen gestern und morgen. Unter dem Nettobetrag steht eine Zahl, die den Anteil angibt, den jeder Geschäftsabschluss an die Allgemeinheit abzutreten hat. Einen Zehnt, einen Obolus – ein Betrag, ein Wert, Geld. Dieses Geld ist nicht verloren, weil es nicht auf Ihrem eigenen Konto erscheint. Es sorgt dafür, dass Straßen benutzbar, Städte sicher, Politik verlässlich und Gesundheit erschwinglich bleibt. Rechnungen, die im Bereich von Nanosekunden erstellt und beglichen werden, mögen nicht mehr auf Papier gedruckt oder als PDF-Datei verschickt werden. Sie werden aber zu Datensätzen, sie werden zu Buchgeld, zu Umsätzen und auf diese sollte eine Umsatzsteuer erhoben werden. Keine Sorge, es müssen ja nicht 19% sein wie auf Ihren Maserati. Wenn Sie an der 5. Stelle nach dem Komma verdienen, reicht uns die 6. Stelle hinter dem Komma. Sagen wir 0,000005%? Was könnte das doch für ein tolles Gefühl für Sie als Trader sein, 5 Milliarden Euro an einem Handelstag zu bewegen und damit 25.000 Euro für Schulen, Krankenhäuser, Straßen, Polizei und Feuerwehr erwirtschaftet zu haben! Sie wären ein Held!
Helden können wir gut brauchen! Sprechen Sie doch mal mit Ihrem Arbeitgeber, sonst müssen wir das tun.
Keine neuen Namen bitte!
Seit einigen Jahren versuchen unsere Politiker mit unterschiedlicher Verve, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. Die Finanzbranche wehrt sich heftig, spricht von unbezahlbaren Lasten und sieht Lebensgefahr für die Londoner City, Frankfurt oder die Wall Street. Kein Bürger schaut da so genau hin und fragt sich, was das eigentlich sein soll und übersieht dabei, dass er selbst diese Steuer schon immer bezahlt! Sie heißt nur anders, es ist die Umsatz- oder Mehrwertsteuer. Wenn also mal wieder neue Plakate für den Wahlkampf gedruckt werden sollen, schreibt es offen und ohne das sperrige Wortungetüm. Sagt den Menschen einfach, das die Finanzbranche endlich auch Umsatzsteuer zahlen soll!