Es wäre ja auch zu schön gewesen: Der Mörder springt aus dem LKW, wird von einem beherzten Zeugen verfolgt und kurze Zeit später von einem Streifenwagen gestellt. Flüchtling isser, zum Glück kein Syrer, zum Glück noch nicht „voll integriert“ weil noch in einer Notunterkunft – das hätte viele Auswege offen gelassen für gesellschaftliche Schuldzuweisungen und Erklärungsversuche der Migrationsexperten. Es kam aber anders, denn der Pakistaner war es offenkundig nicht. Nun sucht man einen Tunesier*, dessen Asylpapiere man überraschend unter dem Fahrersitz des für den Anschlag gestohlenen LKW fand. Inwieweit der zunächst scheinbar schnelle Fahndungserfolg eine weiträumige Absperrung und Großfahndung verhindert hat, mag ich nicht beurteilen. Aber die Zeitspanne zwischen der Verhaftung und ersten Zweifeln an der Schuld des zuerst Festgenommenen war doch groß genug für eine ordentliche Strecke, fürchte ich.
Diese Art des Terrors ist seit Jahren Realität in Israel
Dass es keinen Sprengstoff oder Waffen im herkömmlichen Sinn braucht, um Terroranschläge zu begehen, wissen wir aber nicht erst seit Nizza. Auch dass es nicht immer junge übersteuerte Männer sein müssen, die zuschlagen, haben wir nicht erst durch die Messerattacke von Hannover gelernt. Beides sind Ausprägungen islamistischen Terrors, die in Israel leider längst zum Alltag gehören: Messerattacken out of the blue und Autos, die in Menschenansammlungen in Bushaltestellen gejagt werden. Die Täter sind religiös und von islamistischer Propaganda und Lügen verblendete Männer, Frauen und sogar Kinder. Diese bittere Realität ist nun endgültig auch in Deutschland angekommen. Deutschland hat jedoch keinerlei territoriale Konflikte mit islamischen Ländern und unsere Truppen stehen auch nicht in Tunesien. Wie kommt man also auf die Idee, möglichst weit gehende Zugeständnisse durch Israel an die Hamas würden im Nahen Osten für Frieden sorgen – und welche Territorien sollte Deutschland „räumen“ oder welche Aggression „beenden“, um nicht weiter Opfer terroristischer Anschläge zu werden? Genügt es, mehr Weihnachtsmärkte zu Wintermärkten zu machen, Trump als Teufel in Menschengestalt zu bezeichnen, Kirchen zu Moscheen umzuwidmen oder Kirchenglocken zu Absperr-Pollern umzuschmelzen?
Einen kleinen Vorgeschmack auf das zukünftige Gefühl der Unsicherheit im Land gab uns bereits der Amokläufer von München, der sich jedoch zum Glück nicht lange auf freiem Fuß befand. Nun jedoch ist ein erwiesener Terrorist schon länger auf der Flucht und untergetaucht, es handelt sich nicht mehr nur um eine „potenzielle Bedrohung“, die man zwar nicht genau kennt und von der man wenig weiß, die man aber gegen jede Art von voreiligen Verdächtigungen in Schutz nehmen soll. Selbst dann, wenn die Angaben in funkelnagelneuen Ausweispapieren „auf eigenen Angaben“ beruhen. Heute ist die Bedrohung sehr konkret und sehr allgemein.
Während der Glühwein dem Wetter entsprechend für ein wohliges Bauchgefühl sorgen sollte, kriecht uns ein anderes, kaltes Gefühl die Beine hoch. Was jedoch in weiten Kreisen der Politik als „Generalverdacht“ gegeißelt wird, ist in Wirklichkeit eine unschöne aber menschlich nachvollziehbare Empfindung. Ein Beispiel: zur selben Stunde, als der Weihnachtsmarkt in Berlin angegriffen wurde, stand ich mit Freunden auf dem Weihnachtsmarkt in Hannover. Zwei junge Frauen schlenderten an uns vorbei, von denen eine einen Hidschab trug. Mein Blick fiel in dem Moment auf die Marktbudenverkäuferin gegenüber, die mit zusammengekniffenen Lippen den beiden Mädchen mit den Augen folgte, als können die Hidschab-Trägerin jederzeit explodieren oder ein Messer ziehen, weil sie sich von „Glühwein mit Schuss“ oder „Schaschlik vom Schwein“ provoziert und beleidigt fühlt. Schlägt man im Mimik-Lexikon unter „Misstrauen“ nach, findet man genau diesen Gesichtsausdruck. Die verschärfte Sicherheitslage nach dem Anschlag in Berlin macht es nicht besser. Und was, wenn nicht ausgerechnet dieses verbreitete Misstrauen kann jetzt noch zur Verhaftung des Täters führen? Die Medaille hat leider – wie immer – zwei Seiten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter in Folge der Grenz-und-Pass-Anarchie aus dem letzten Jahr ins Land gelangt sein könnte, ist hoch. Es ist deshalb unredlich, einerseits durch politische Fehleinschätzungen und grobe Fehler in der Vergangenheit für eine Verschärfung und Verschlechterung der Sicherheitslage zu sorgen und andererseits den Bürgern einreden zu wollen, sie müssten sich jetzt immer noch genauso vertrauensvoll verhalten wie immer, weil sie sonst den Terroristen in die Hände spielen würden. Wie schwer es zum Beispiel der Bundeskanzlerin immer noch fällt, korrekte Begriffe für die aktuelle Lage zu verwenden, zeigt ihr folgender Satz zum möglichen Fluchthintergrund des Täters.
„Dies wäre besonders widerwärtig gegenüber den vielen Deutschen, die tagtäglich in der Flüchtlingshilfe engagiert sind“, sagte Merkel, „und gegenüber den vielen Menschen, die unseren Schutz tatsächlich brauchen und sich um Integration in unser Land bemühen.“
Sie tut es leider immer noch! Das sprachliche glattrühren der Begriffe Flucht, Schutz und Integration zu einem klebrigen Teig, der einfach nicht aufgehen will. Es ist falsch Sand, Wasser und Backpulver zusammenzukippen und zu erklären, man würde Kuchen backen! Nicht, wenn die Beteiligten Bäcker älter als fünf Jahre sind! Allerdings scheinen nicht wenige unserer Politiker die Bevölkerung für leicht „plemm plemm“ oder im Vorschulalter steckengeblieben zu halten, kommen doch gerade wieder die Nullsätze und Füllsel wie am Fließband.
Ralf Stegner zum Beispiel twitterte „Absolute Sicherheit gibt es in einer freiheitlichen Demokratie niemals“ was in etwa so viel neue Information enthält, wie ein gedrucktes SPD-Parteiprogramm Vitamin C.
Katrin Göring-Eckardt von den Grünen drückt es noch verschwurbelter aus: „Umso wichtiger ist es, jetzt unsere offene und freie Gesellschaft zu verteidigen.“ Das bedeutet leider nichts anderes, als dass man sich vor allem nicht verteidigen soll – nicht im Sinn des Wortes jedenfalls, höchstens im Göring-Eckardt-Sinne, indem man weiterhin so tolerant wie möglich bleibt und die Islamisten damit in die Verzweiflung treibt. Viel Spaß dabei.
Die Berliner Linke ruft indes gleich mal zur „Kundgebung für Anteilnahme und Solidarität und gegen die Instrumentalisierung durch Nazis“ auf, weil es auch gerade Nazis gewesen sind, die das ganze Land in Aufruhr versetzt haben und die es nun dringend mittels einer Kundgebung zurück in ihre Höhlen zu treiben gilt. Was soll das Gelaber? Wer ist Adressat solcher „Botschaften“? Wie nennt man diese Abwehr-Reflexe, die umso deutlicher ins Leere laufen, je weniger Feinde sie antreffen und je resoluter sie vorgetragen werden? In der Medizin jedenfalls wäre die Diagnose klar: Autoimmunerkrankung!
Allergische Reaktionen einer selbstgerechten Gesellschaft
Das Immunsystem ist normalerweise damit befasst, Krankheiten abzuwehren. Mit manchen wird man bereits von Geburt an ganz gut fertig, anderes Skills kommen im Laufe des Lebens mit all seinen Abwehrkämpfen oder durch Impfungen hinzu, im übertragenen Sinne also durch Erfahrung und Bildung. Doch hin und wieder, besonders wenn es eigentlich keine Eindringlinge zu bekämpfen gibt, langweilt sich das Immunsystem und beginnt, alle möglichen harmlosen oder gar nicht vorhandenen Stoffe zu bekämpfen. Aus „Birkenpollen“ wird so eine gefühlte „Beulenpest“.
Was wir zum Beispiel derzeit als „Kampf gegen rechts“ erleben, ähnelt sogar einem noch schwereren Verlauf, einer Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem ganze Organe, die eigentlich gesund und körpereigen sind, attackiert – selbst wenn wie im Fall des Terroranschlags von Berlin der Angriff eigentlich von außen kommt, geht der Blick nach innen. Es ist gewissermaßen der immunologischen Supergau, den Horror autotoxicus** der Gesellschaft, welche beginnt, das politisch-demokratische Gleichgewicht durch massive Angriffe nach innen zu zerstören und sich damit langfristig selbst zu vernichten – gerade jetzt, da es ganz offensichtlich Bedrohungen durch sehr reale Demokratiefeinde wie den Islamismus gibt, die unsere Aufmerksamkeit fordern. Stattdessen befassen wir uns lieber mit unseren Ängsten, definieren Hass und Wohlverhalten, verpixeln Fahndungsfotos im Netz und sind der festen Überzeugung, dass nur wir uns ändern müssen, um aus der Welt einen besseren Ort zu machen.
So versuchen wir die bittere Erkenntnis noch so lange wie möglich von uns fern zu halten, dass uns längst statt „Lichterketten gegen rechts“ eher bewaffnete Militärstreifen in den Innenstädten mehr Sicherheit bringen würden. Die Polizei allein wird nicht genügen, Sicherheit in dem Maße herzustellen, wie wir es gern wieder hätten – nicht mit der aktuellen personellen Ausstattung und Ausrüstung.
Bisher tut die Politik aber weiter so, als könne sie aber genau das tun und baut zum Beispiel für den Silvesterabend 2017 in Köln Leuchttürme der Sicherheitsillusion. Jedem denkenden Menschen ist jedoch klar, dass dies nur möglich ist, weil man die Sicherheit anderenorts herunterfährt. Nicht jede Stadt kann zu jedem Zeitpunkt in eine Burg verwandelt werden. Für diese Erkenntnis braucht es übrigens keinen „Generalverdacht“. Misstrauen, das aus schlechter Erfahrungen entspringt, genügt völlig.
* Wie SPON berichtet, sollte der gesuchte Tunesier abgeschoben werden. Die Flüchtlingsindustrie wird dies sicher erleichtert zur Kenntnis nehmen, ergibt sich hier doch ein möglicher kausaler Zusammenhang aus Verzweiflung und Tatmotiv. …oder vielleicht ja auch nicht, denn Anis A. war „hochmobil“, hatte dummerweise keine Papiere und benutzte verschiedene Namen – in solchen Fällen ist die Justiz des Hereinwanderungslandes Deutschland natürlich machtlos!
** Ich müsste korrekterweise von Selbsttoleranz sprechen, aber Horror autotoxicus klingt in dem Kontext einfach besser! Verehrter Paul Ehrlich, danke für dieses unfreiwillige aber passende Bild.
Shutterstock/Urheberrecht: 360b