Die Deutschen sind verliebt in ihre Währung. Zwei totale Zusammenbrüche nach Weltkrieg Eins nebst Weltwirtschaftskrise der Zwanziger Jahre und dem Zweiten Weltkrieg haben hierzulande die Evolution zur „Schwäbischen Hausfrau“ erst möglich gemacht. „Schaffe, schaffe: Häusle baue“ einerseits, „Hund verkaufed‘, selber belled“ auf der anderen. Kaum ein anderes Land ist so besessen vom Sparen und der „hohen Kante“ oder argwöhnt derart bei „Kredit“ und „Pump“. Zugegeben, das klappt auch hierzulande nicht immer wirklich gut. Bund, Länder und Kommunen sind im Grunde über beide Ohren verschuldet und einige Kommunen – wie so manche Stadt im Ruhrgebiet – haben auch die Ohren nicht mehr über Wasser, aber alles in allem kann Deutschland seinen Schuldendienst pünktlich bedienen. Die Alliierten gaben den Westdeutschen die D-Mark (und schufen damit de Facto auch für die nicht so weit entfernten Ost-Deutschen den Währungsstandard, weil es eben „echte“ und „Alublechmark“ gab) welche zu einer Stabilen Währung wurde, der die Menschen vertrauen. Regierungen kamen und gingen, die D-Mark blieb wie sie war. Das stetige Wirtschaftswachstum mit nur wenigen „Knicks“ sorgte dafür, dass die Deutschen nach dem Krieg nie eine massive Abwertung ihres Geldes hinnehmen mussten, wie etwa Frankreich, Italien oder Griechenland dies zu tun gezwungen waren. Der Sog der D-Mark machte es 1990 auch unmöglich, einen anderen, für die marode DDR-Wirtschaft schonenderen Weg als die bedingungslose Kapitulation einzuschlagen: Die schnellstmögliche Wiedervereinigung – die eigentlich ein Beitritt war – erwies sich als unumgänglich.
Nun hatten wir sie endlich alle, die geliebte D-Mark! Zugegeben, die einen hatten mehr, die anderen weniger davon, aber die Richtung war klar. Unvergesslich ist mir eine Begebenheit, die sich 1991 in einem kleinen Café in Bad Harzburg zutrug und deren Ohrenzeuge ich wurde: Zwei ältere Herren saßen am Nachbartisch, offenbar Wessi und Ossi. Der Westdeutsche dozierte lang und breit über die wirtschaftlichen Fehler, die offensichtlich im Osten Jahrzehntelang gemacht wurden, dass man das doch alles hätte sehen müssen und wie man dort nur so blind und dumm sein konnte. Der Ossi sagte nichts, hörte nur zu. Am Ende der Leviten sagte er nur knapp: „Wissen’se was? Die Russen ham‘ 1945 einen Fehler jemacht. Die hätten euch befrei’n müssen – bei euch hätte der Sozialismus funktioniert!“
Wer nur hatte dann eigentlich die Idee mit dem Euro? Also wirklich als erster? War es Kohl, Weigel, Mitterand? Und wer hatte die Idee, die flexible, virtuelle Währungseinheit ECU (oder ECUE) in € umzubenennen, auf Papier zu drucken und in Metall zu prägen? Fakt ist, dass die Umsetzung dieses Plans ein Preis für die deutsche Einheit war. Zugespitzt könnte man sagen: Indem die Ostdeutschen unbedingt die D-Mark wollten, haben sie ihre Abschaffung besiegelt oder doch zumindest beschleunigt. Aber egal, der Euro erwies sich nach anfänglicher Skepsis als D-Mark 2.0 – mit schickeren Münzen und Scheinen und als Bonus konnte man nur auch auf Ibiza und im Amsterdamer Coffee-Shop mit ihm bezahlen. Deutschland brummte und Europa brummte mit. Und wer keine Puste zum brummen hatte, der brummte auf Kredit. Es war ja auch so einfach, man gehörte jetzt schließlich zur großen Familie und die Banken und „Institutionen“ gaben das Geld gern und zu Top-Konditionen. Es hat was von „Adress-Ranking“: Wer in der Schlossallee wohnt, darf auf Rechnung zahlen, während man früher in der Bahnhofsstraße immer Vorkasse leisten musste. Alle wohnten nun in der Euroland-Schlossallee…und dann kam der Gerichtsvollzieher.
Der Rest ist bekannt, das generelle Vertrauen in den sogenannten „Euroraum“ ist dahin, man schaut nun wieder genauer nach, welches Land Kredit verlangt – und was mit einem Finanzsystem passiert, dem die Grundwährung abhandenkommt, wissen wir. Nein, ich rede nicht von Geld. Geld ist nur der Schmierstoff. Die Währung mit der Gehandelt wird, ist Vertrauen. Und das ist nicht beliebig reproduzierbar. Man kann es durch langfristige gute Geschäfte erlangen, man kann es sich durch Blendung und Posen kurzfristig ergaunern, man kann Vorschüsse darauf erhalten (das ist dann Gottvertrauen), es kann größer werden oder schwinden…aber wenn es weg ist, wächst an derselben Stelle lange keins mehr.
In Griechenland haben die Menschen offensichtlich ihr Vertrauen verloren. Aber nicht in den Euro, den tragen sie gerade körbeweise aus den Banken und horten pro Kopf mehr Bargeld als jedes andere Euro-Land. Das Vertrauen in das System ist dahin. Die Regierung, die „Institutionen“, die Parteien…man schaltet auf Hurrikane-Modus und hortet Vorräte. Und mal ehrlich: Jeder hierzulande würde dasselbe tun!
Was mich aber wirklich sprachlos macht sind die Verhandlungspartner Griechenland und EZB. Die Regierung Tsipras agiert wie ein Alkoholiker der verspricht, mit dem Saufen aufzuhören, wenn er jetzt noch eine Flasche Schnaps bekommt. Die EZB sagt immer wieder „Nein, ich glaube dir nicht“ und schenkt ihm Glas um Glas ein. Konkret geht es ja „nur“ um die restlichen 7,2 Milliarden Euro, die „letzte Tranche“ aus dem zweiten Rettungspaket. Seit Wochen schießt die EZB aber jeden Tag fast eine Milliarde Euro ungesicherte Notkredite nach, (der Städtische Kämmerer aus Wuppertal würde säuerlich „Kassenkredite“ sagen) die die Griechen dann in Körben aus der Bank tragen und die die griechische Notenbank dann der EZB schuldet – von der Wertschöpfung durch diese Bargeldausgabe mal ganz abgesehen, welche unter den Euro-Ländern aufzuteilen währe. Kurz: Eine Woche Verhandlungen über 7 Milliarden Euro kosten 7 Milliarden Euro. Plus Zinsen. Zyniker könnten sagen, die Griechen haben die „letzte Tranche“ als Bargeld längst in Brüssel abgehoben.
Wie geht es weiter oder – wie soll das nur enden?
Ich bin sicher, Griechenland wird die 7 Milliarden Euro bekommen und Ende Juni nicht pleite sein. Rechnerisch jedenfalls. Im Juli werden die Zeitungen vielleicht sogar mal ein echtes Sommerloch haben und wieder Krokodile in Badeseen melden. Aber im August geht es wieder los. Es wird sich nämlich zeigen, dass die Investoren nicht Schlange stehen, um in Griechenland fette Investitionen zu tätigen und Jobs zu schaffen. Warum auch? Es gibt derzeit nichts in Griechenland das mittelfristig Jobs schaffen kann außer Oliven, Käse, Gemüse und Tourismus. Vor allem gibt es eben das wichtigste nicht: Vertrauen. Die „reichen Griechen“? Längst über alle Berge. Reedereien? An Bord arbeiten Philippinos, keine Griechen – und die Reeder selbst sind ohnehin fein raus. Industrie? Keine Infrastruktur, zu viel Korruption, die gut ausgebildeten jungen Menschen verlassen das Land. HighTech? Dasselbe Problem…wohin man schaut, Probleme. Probleme die sich seit mehr als 40 Jahren immer weiter verfestigten und summierten. Mit dem Euro in seiner aktuellen Form kommt Griechenland nicht auf die Beine. Es sei den man akzeptiert in Europa und insbesondere in Deutschland, jährlich 10-20 Milliarden Euro direkte Nothilfen nach Athen zu überweisen. Ich bin mir nicht sicher ob das nicht eine viel größere Verletzung der griechischen Ehre wäre, als die aktuelle GREXIT-Diskussion.
Es wird teuer, wenn Griechenland Zahlungsausfall meldet. Für Deutschland dürften dann insgesamt etwa 90 bis 100 Milliarden Euro auf der Soll-Seite stehen. Aber die Rettung der HypoRealEstate war teurer und das sollte uns die Solidarität schon wert sein. Griechenland braucht eine eigene Währung und die Hilfe seiner Partner aus EU und Nato, um wieder auf die Beine zu kommen. Hier denke ich auch an den östlichen Nachbarn Türkei – von dort könnten wertvolle Signale kommen, die Sultan Erdoan nicht einmal etwas kosten würden. Im nächsten Schritt sollten Merkel, Hollande und ihre Kollegen nochmal etwas länger mit ihrem britischen Kollegen Cameron reden und ihm genau zuhören. Ich denke, das „weniger Europa“ das er sich vorstellt ist geeigneter, um heil durch zukünftige Finanz- und andere Krisen zu kommen, ohne Schiffbruch zu erleiden. Die aktuelle EU ist ein Supertanker mit mehr als einem Leck.
Wenn man merkt, dass man auf einem toten Pferd reitet, muss man absteigen. Kommissionen zum besseren reiten toter Pferde reiten tote Pferde nicht besser. (Alte Apachen-Weisheit)