Am 12.4.2016 berichtete der Deutschlandfunk in seiner Sendung „Tag für Tag“ von einem französischen Projekt namens „Slam unterm Halbmond“, bei dem muslimische Jugendliche der Pariser Banlieues zu Rappern und Dichtern werden sollen. „Mit diesem Workshop reagieren wir auf ein Problem, das wir in den meisten Banlieues antreffen: Hier wachsen Kinder aus muslimischen Familien auf, die praktisch nichts über die philosophischen Grundlagen des Islams wissen. Sie gehen selten in die Moschee. Die Schule jedoch vermittelt kein Wissen über den Islam. Diese Lücke wollen wir füllen. Außerdem sollen sich die Jugendlichen persönlich ausdrücken, und zwar in einer Form, die sie mögen, nämlich Rap und Slam.“

Nun ist gegen Rap und Slam als Ausdrucksformen nichts einzuwenden, aber warum müssen die Jugendlichen das im Zusammenhang mit ihrer Religion erfahren – und was geht dies den laizistischen französischen Staat an, dass er diese Art der Selbstfindung zum Nachhilfeunterricht in Koranfragen umdeklariert? Kaum zu glauben, dass in christlichen Gegenden Frankreichs oder Deutschlands Jugendliche aufwachsen, die noch nie von den philosophischen Lehren der frühen Kirchenväter Augustinus oder Benedikt von Nursia gehört haben und in einem Streitgespräch über die Thesen eines Thomas von Aquin jämmerlich versagen würden. Welche philosophischen Grundlagen müssen eigentlich Atheisten auf Verlangen aufsagen, um ihre Eignung als Bürger Frankreichs unter Beweis zu stellen?

Das christlich/abendländische Wissensfundament in Frankreich oder auch Deutschland ist im Durchschnitt nicht dicker als eine Hostie, warum wird dort nicht mit ordentlich Staatskohle Abhilfe geschaffen? Die Sektiererei in den Banlieues, ihre Absonderung vom Rest der französischen Gesellschaft wird durch die Betonung des genuin muslimischen nur noch verstärkt. Man belästigt die Jugendlichen mit ausgewählten Aspekten ihrer Religion, anstatt sie zu ermuntern, diese Religion einfach mal beiseite zu lassen, um endlich ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Wer nun glaubt, das sei ein französisches Problem, der schaue auf die Arbeit der Islam-Verbände in Deutschland, ihre Forderungen und ihre Wortmeldungen. Sylvie Forestier von „Slam unterm Halbmond“ beklagt, dass es „Immer mehr private Koranschulen“ gäbe und „…Frankreich Stellen und Geld für Sozialarbeiter, Erzieher und Vereine zusammenstreiche“. Privates Engagement und private Finanzierung ist in Frankreich für alle anderen Religionen eine Selbstverständlichkeit. Was ist anders am Islam, dass man ihn staatlich anleiten und in die richtige Richtung drücken muss?

Der so genannte Kopftuchstreit schlug vor einigen Jahren in Deutschland hohe Wellen. Ein Symbol der Unterdrückung sei dieses Kleidungsstück und vom Kopftuch zur Burka sei es ein vorgezeichneter Weg wie vom Kiffen zum Heroin. Wer die Kunst des unpassenden Vergleichs beherrschte hielt dagegen, dass man gleich alle „religiösen Symbole“ aus der Öffentlichkeit verbannen sollte – Kopftuch, Kippa, Kruzifix…alles sei abzulehnen, eine Nonne oder ein Mönch im Habit seien ebenfalls unzulässig und Zeichen von Zwang und Intoleranz. Den Vergleich Kopftuch vs. Nonnentracht fand ich immer besonders putzig, denn die Verhüllung der Frau aus Angst vor sexueller Erregung ihrer männlichen Umwelt mit der Zugehörigkeit zu einem religiösen Orden zu vergleichen, ist einfach nur dämlich. Außerdem legt eine Nonne ihren Habit nach ihrer symbolischen „Vermählung mit Gott“ an, während das Kopftuch eine Art Frischhaltefolie sein soll, die man nur aus praktischen Erwägungen auf dem Kopf und nicht zwischen den Beinen der keuschen Töchter platziert hat. Eigentlich ist es mir aber egal, wie und warum jemand eine wie auch immer geartete Uniform trägt. Die Gründe interessieren mich aber. Und die freie Wahl der Bekleidung. Wissen Sie was, wir kommen darauf zurück.

Wer seit 30 oder 40 Jahren in Deutschland oder Frankreich lebt, seine Religion immer noch nicht als Privatangelegenheit betrachtet, seine Kinder Mohammed oder Hussein nennt und sich bei jeder Gelegenheit über mangelnde Perspektiven und Vorurteile beklagt, hat nicht verstanden, dass Integration etwas mit Leistung zu tun hat. Und damit ist nicht die Leistung gemeint, die man beantragen kann, sondern die, die man selbst erbringen muss. Anpassungsleistung zunächst. Es hat lange gedauert, bis in Deutschland französische oder russische Vornamen selbstverständlich und Mode wurden. Mein Großvater musste meinen Vater noch Reiner nennen, weil das französische Rainer verpönt war. Es hat so lange gedauert, weil auch Vornamen als politisches und religiöses Statement wahrgenommen werden und über manche geschichtlichen Vorkommnisse buchstäblich Gras wachsen muss. Namen wie Adolf oder Hermann zum Beispiel sind für Generationen „verbrannt“. Man tut seinen Kindern keinen Gefallen damit, sie so zu nennen. Der Terror, mit dem die islamische Welt den Westen und sich selbst seit Jahren überzieht, schafft unweigerlich eben solche Vorurteile in Bezug auf muslimische Vornamen. Ist das falsch? Sicher! Ist es ein Fakt? Auch!

Der Frühling ist vorbei, der Winter wird kommen

Als die Demonstranten des arabischen Frühlings die Despoten in Tunesien, Libyen und Ägypten zum Teufel jagten, dachten in Europa nicht wenige, nun sei quasi über Nacht die Demokratie in Nordafrika ausgebrochen. Eine freie Wahl noch, dann sei es geschafft – Pustekuchen! Wer heute zum Beispiel in Tunesien Menschen auf der Straße befragt, stellt fest, dass die Enttäuschung über den Ausgang der Revolution mittlerweile groß ist. Was fehlt den Menschen, die doch nun frei sind? Aus allen Antworten kann man eine Aussage destillieren und erkennt sofort das Dilemma, in dem die gesamte islamische Welt steckt: „Die Regierung schafft keine Arbeitsplätze“. Diese Aussage enthält einen fundamentalen Denkfehler und zeigt gleichzeitig, warum sich die radikale Linke in Europa so zur „Arabellion“ hingezogen fühlte. Die Linke denkt nämlich genauso! Der Staat soll Arbeitsplätze schaffen! Der starke Staat, versteht sich! Und gut bezahlte Jobs sollen es bitte auch sein. Griechenland lässt grüßen…

In vielen arabischen Ländern hat das Abschütteln der Diktaturen nur dazu geführt, dass man nun in großer Hoffnung auf die Hände der frei gewählten neuen Regierungen schaut, diese würden weiße Kaninchen aus dem Hut zaubern können. Dabei gibt es nur eine einzige Möglichkeit für die Menschen, aus ihrer Misere herauszukommen: Eigeninitiative. Und je weniger sich eine Regierung hier in privates einmischt, umso besser kann es laufen. Regulierung kommt später fast von allein. Wie schwer ist diese Eigenverantwortung aber für einen Menschen, der nicht als Individuum, sondern als kleines, unbedeutendes Atom in einer großen Gruppe sozialisiert wurde? Einem Menschen, dem Familie, Clan, Gemeinde und religiöse Führer stets gesagt haben, wo sein Platz ist? Anders gefragt: wie konstruktiv kann eine Religion wie der Islam sein, wenn es darum geht, Regeln für das Zusammenleben in einer modernen Gesellschaft zu schaffen? Ich sage, er wirkt destruktiv!

Seit ein glück- und farbloser Bundespräsident die Behauptung aufgestellt hatte, der Islam gehöre zu Deutschland, werden immer wieder Inklusion- oder Exklusion-Debatten geführt. Manche Parteien fühlen sich neuerdings fälschlicherweise sogar aufgefordert, in ihrem Programm Aussagen dieser Art zu machen. Ich sage, weder der Islam, noch Christentum, Judentum noch Buddhismus oder eine beliebige andere Religion gehört zu Deutschland. Sehr wohl aber Muslime, Christen, Juden, Buddhisten und eben auch etwa 30% Atheisten. Wenn Deutschland ein Land der vielfältigen Religionen wird und aufhört, ein Land der vielfältigen Menschen zu sein, wird es nicht mehr funktionieren. Wir schleppen noch aus der Zeit nach den napoleonischen Kriegen Regelungen mit uns herum, die mit der in der Verfassung festgelegten „Trennung von Kirche und Staat“ nicht wirklich vereinbar sind. Der Staat treibt Kirchensteuern ein, bezahlt die Gehälter des Klerus und überträgt den Amtskirchen gesellschaftliche Aufgaben. Das Erstarken der Islamverbände hat dazu geführt, dass auch die christlichen Kirchen nach mehr Zuwendung, Anerkennung und gesellschaftlicher Bedeutung verlangen. Unvergessen der Ausspruch von Frau Käßmann, Angst vor volle Moscheen mit vollen Kirchen zu bekämpfen.

Die freie Ausübung der Religion hat Verfassungsrang, ist aber nicht Staatsziel. Es würde dem Funktionieren Deutschlands nicht guttun, wenn wir eine zunehmende Konfessionalisierung statt der gebotenen Säkularisierung im öffentlichen Raum betreiben. Religion muss Privatangelegenheit bleiben, ebenso die Nicht-Religiosität. Die Säkularität des Staates ist die Grundvoraussetzung für das friedliche Zusammenleben der unterschiedlichen Religionen. Die Regeln für das Zusammenleben der Menschen im Land dürfen nicht von Religionen geschrieben werden. Nicht mal auf lokaler Ebene darf das erlaubt sein. Religiöse Gebote und Verbote haben keine Gesetzeskraft, weshalb es der Staat ist, der auch die Freiheit des Einzelnen garantieren muss, religiöse Pflichten nicht einhalten zu müssen. Ein Pilot oder Rettungssanitäter hätte wahrscheinlich Schwierigkeiten, islamische Gebetszeiten einzuhalten. Ein jüdischer Arzt wird sicherlich den einen oder anderen Sabbat sausen lassen müssen. Was der Staat hier von seinen Bürgern verlangen kann, gilt auch umgekehrt. Es ist nicht hinzunehmen, das öffentliche Gelder dazu verwendet werden, Jugendlichen ihre Religion zu erklären oder die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf bestimmte Aspekte dieser Religion zu lenken. Wenn die Lesart einer Religion nicht kompatibel zur säkularen Gesellschaft ist, wenn sie mit unserem Recht kollidiert, muss sie bekämpft werden – mit Mitteln des Rechtsstaates.

Es gibt übrigens einen einfachen Test, um die Kompatibilität des Glaubens mit unserer Gesellschaft festzustellen. Man prüfe ihn auf Durchlässigkeit in beide Richtungen. Was passiert, wenn ein Gläubiger sich dazu entschließt, nicht mehr zu glauben oder etwas ganz Anderes? Was passiert, wenn eine Frau, die „freiwillig“ eine Burka trägt, diese aus freiem Willen wieder ablegt? Die Haltung des Rechtsstaates hierzu ist klar – die der islamischen Religionsgemeinschaften und Clan-Strukturen leider auch. Die Intoleranz einer Religionsgemeinschaft gegen Atheisten und Apostaten ist der Lackmustest, den der Islam derzeit schlicht nirgends besteht. Eine Nonne, die sich dazu entschließt, den Schleier wieder abzulegen, wird von der katholischen Kirche oder ihren Mitschwestern nicht mit dem Tod bedroht, sie kann sogar ihren Glauben weiter praktizieren. Eine Muslima, die aus ihrer patriarchalen Familie ausbricht, um mit ihrer lesbischen Freundin zusammen zu ziehen und Tanz zu studieren, kann nicht mit Milde rechnen. Die Situation in Deutschland ist dabei noch vergleichsweise komfortabel, weil wir (noch) keine muslimische Mehrheitsgesellschaft sind. Es ist deshalb immer nützlich zu schauen, wie sich das Recht ändert, wenn eine Religionsgemeinschaft diese Mehrheit erlangt. Es gibt kein einziges mehrheitlich muslimisches Land, das nicht die Scharia in unterschiedlicher Weise als Quelle seines Rechtssystems anwendet. Wie würde Deutschland aussehen, wie sähe seine Rechtspraxis aus, wenn der Anteil der Muslime 60 oder mehr Prozent betrüge? Man schaue in den Satzungen und Webseiten der Islamverbände, zum Beispiel auf www.islam.de nach. Die Frage mit dem gemeinsamen Schwimmunterricht für Mädchen und Jungen wäre längst geklärt – und vieles andere auch.

Die schlechte Angewohnheit deutscher Regierungen, gesellschaftliche Dialoge zu institutionalisieren, führte zur Aufwertung muslimische Verbände wie dem ZDM, deren Weltbild leider so gar nicht zu Religionsfreiheit, Emanzipation, Menschenrechten und Individualität passt. Es stünde der Bundesregierung und auch der französischen Regierung gut zu Gesicht, die Religionszugehörigkeit der Menschen in ihren Ländern auszublenden und sie einfach nur als Bürger zu behandeln. Die Frage, welche Religionen zu Deutschland oder Frankreich gehören, stellt sich nämlich nicht.

„Freiheit ist die Freiheit zu sagen, dass zwei plus zwei vier ist. Wenn das gewährt ist, folgt alles Weitere.“ – George Orwell

shutterstock/Christian Bertrand

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Grummelbart

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