Ich bin ein pragmatischer Reisender. Besonders wenn ich nicht zum Zweck der Erholung und allein unterwegs bin, stecke ich so mache Absteige locker weg. Selbst wenn mich das Reisefieber in ferne Länder treibt, gilt mein Interesse eher dem Land, seinen Menschen und den Kulturellen Highlights, die mich dorthin gezogen haben. Mit anderen Worten: Als professioneller Hoteltester würde ich elendiglich verhungern! Dabei ist es natürlich nicht so, dass ich Mängel nicht sehe, im Gegenteil! Ich kann aber im Interesse von Stimmung, Laune und den zu erwartenden Abenteuern lächelnd über vieles hinweg sehen. It’s not an Bug, it’s a feature! Fahrstuhl defekt und das Zimmer liegt im fünften Stockwerk? Man soll ja sowieso mehr für seine Fitness tun. Ein Blitz hat das Wifi des Hotels außer Gefecht gesetzt? Zum Glück war ich noch nicht da! Auf der Fahrt zum abgelegen Hotel irgendwo in Mecklenburg überfahre ich fast einen Strauß? Safari hatte ich gar nicht gebucht, ein kostenloses Extra! Aus Dusche und Wasserhahn plörrt verschiedenfarbiges Wasser? In Ägypten soll man selbiges ja sowieso nicht mal zum Zähneputzen verwenden. Sicher schickt das Hotel so eine Warnung durch die Leitungen.
Gerade jetzt sitze ich aber in Hamburg in einem, nun ja, so steht es draußen an der Fassade, Hotel und dieses scheint einer hiobesken Wette zwischen Gott und Satan entsprungen zu sein. „Siehe, Satan“ sprach Gott. „Völlig egal, welch Unbill ich ihm in den Weg gelegt, seine Stimmung und Laune ward nimmer vergrätzt. Sein Leiden bleibt still und unsichtbar!“ „Du hast dich nur noch nicht richtig angestrengt“ sagt Satan.
Und nun sitze ich in diesem Hotel. Das heißt, eigentlich schwebe ich mehr auf diesem schmalen, kunstlederbezogenen Stühlchen, weil dessen Lehne die Neigung hat, sich mehr als sie sollte nach hinten zu neigen. Statisch kann das nicht gut ausgehen, deshalb lasse ich ab von der Lehne und lehne lieber nicht. Wie bin ich nur hier gelandet? Lese ich nicht stets aufmerksam Berichte der Vormieter? Wäge ich nicht stets ab und gebe lieber ein paar Euro mehr aus? In Wahrheit bin ich in letzter Zeit nachlässig geworden. Das Buchungsportal das ich nutze hat sich als zuverlässig erwiesen, nie gab es Katastrophen, für die ich nicht im Geist genügend große „Schwamm drüber“ Pflaster dabei hatte. Du musst morgens zur Rushhour durch Hamburg fahren – das war das Mantra, das ich im Kopf hatte. Such etwas, möglichst nahe am Veranstaltungsort! Nahe, das war in diesem Fall knapp sechs Kilometer. Das klang sehr verlockend. Zu verlockend. Und Gott strengte sich an.
Das Zimmer liegt im Nebenhaus. Kein Fahrstuhl. Dafür wäre augenscheinlich auch kein Platz, denn die Fassade ist mit „eine Hand breit“ großzügig beschrieben. Aber ich weiß ja das kostenlose Fitnessprogramm zu schätzen. Die Tür des Zimmers öffnet sich und mir rutscht ein „Oh“ heraus. Wenn ich es betrete, bin ich eigentlich schon wieder draußen.
Rückblende: „Ist das scharf“ fragt die Frau eines Freundes ihren Mann im chinesischen Restaurant und zeigt auf das Glas mit Sambal Oelek. Klare Antwort: „Ja“. Wenig später schimpft sie heftig und beschwert sich, dass er sie nicht gewarnt hätte. „Doch, ich hab JA gesagt“ erwidert er. „Das schon“ sagt sie. „Aber nicht, dass es sooo scharf ist!“.
Zurück zur Tür in der ich stehe. Economy-Size habe ich gebucht. „Small“ sei das Zimmer hatte das Portal geschrieben. Das Zimmer misst zwei auf dreieinhalb Meter. Inklusive einer „Nasszelle“. Ich schlucke. Wer hätte ahnen können, dass es sooo klein ist!
Nun klebe ich also am Kunstleder des Nicht-Lehn-Stuhls fest und werde mich in Kürze entscheiden müssen. Öffne ich das Fenster, um etwas frische Luft in meinen Verschlag zu lassen, oder sperre ich den Hamburger Straßenverkehr aus, um Schlaf zu finden? Ich frage mich, ob das Raumvolumen meinen Sauerstoffbedarf für die Nacht decken könnte und schaue zur flachen Decke aus bröseligen Styroporplatten. Luft gibt es durch die Decke offenbar genug, beinahe als hätte ein Kind mit einem Bleistift viele Luftlöcher in einen Schuhkarton gestochen, damit der darin untergebrachte Wellensittich atmen kann. Ich riskiere es also, das Fenster zu schließen und kämpfe mich dazu durch ein Monster von Vorhang aus knitterigem Goldbrokatimitat, das für die Turbane eines ganzen Sarazenenballets in Mozarts Entführung aus dem Serail ausgereicht hätte und sperre den Lärm aus. Einen weiten Weg hatte der rechte Arm nicht, der Tisch, über den er langen musste und auf dem sich mein Notebook kippelig Platz geschaffen hat, ist kaum größer als eine Schachtel einer Joeys-Familienpizza, der auch noch die linke vordere Ecke fehlt. Schließlich muss man ja auch noch irgendwie ins Bad gelangen.
Diese Perle der Sanitärkultur nimmt ein Viertel des gesamten Raumes ein und besteht aus sandgestrahltem Glas. Meine linke Hand kann ich sitzend ganz bequem auf die Klinke legen, welche sich aber nicht bewegen lässt. Öffnen lässt sich die Kammer indem man die Tür aus ihrer umlaufenden Gummidichtung drückt. Das Geräusch erinnert eher an ein Einmachglas als an eine Tür – sofort aufkommende beklemmende Gefühle verschwinden nach einem Blick an die Decke im Sanitär-Gemach: Dort, wo aus einer kleine Glühbirne frei am Draht baumelnd Licht tropft, klafft ein faustgroßes Loch in der Decke. Für Luft ist also gesorgt. Und für Licht! Licht an, Tür zu, das Bad wird zur Lampe, die das Zimmer zumindest räumlich gut ausfüllt.
Die offen liegenden Leitungen unter dem Hosenknopfgroßen Waschbecken sind gespenstisch, sie führen ein Eigenleben. Ständig zucken und bewegen sie sich, als zögen unsichtbare Muskeln und Sehnen an ihnen. Ich bin offenbar nicht allein in diesem Hotel. Eine Dusche gib es nicht, weil das ganze „Bad“ eine Dusche ist! Ähnlich wie man das von kleinen Booten kennt. Ein Teak-Imitat-Boden liegt auf einem undefinierbaren Metallgerüst auf, durch das das Duschwasser ablaufen soll. Das kann ja heiter werden! Segelfeeling kommt auch bei der Toilette auf. Weil diese inkontinent und absolut nicht dazu zu bringen ist, das Wasser im Spülkasten zu halten, kann man an einem „Seeventil“ die Wasserzufuhr unterbrechen. Mit einem Schmatzen schließe ich die Gummidichtung der Bad-Tür wieder. Ich möchte jetzt doch lieber nur die Leuchtfunktion dieser Nasszellen-Zumutung nutzen.
Da es beim besten Willen keinen Platz für einen Schrank gibt, werde ich meine Sachen also an den drei kläglichen Kleiderbügeln an der Garderobe über dem Bett parken müssen. Auf einem der Bügel steht PLEASE geschrieben. Ich drehe ihn um, gewiss, auf der anderen Seite das Wort HELP lesen zu können. Aber ich habe mich getäuscht. Ich gehe zu Bett, froh darüber, dass zumindest dieses die Erwartungen übertrifft, die in der Beschreibung des Hotels zu erfahren waren. Es ist nämlich nicht nur acht, sondern ganze achtzig Zentimeter breit und morgen darf ich dieses Loch hier wieder verlassen, was gerade Hochstimmung in meiner Magengegend erzeugt. Gott muss sich wohl noch mehr anstrengen. Aber morgen gibt’s ja noch Frühstück.